Die Anpflanzung von Bäumen in der Arktis könnte die globale Erwärmung verschlimmern, nicht verbessern, sagen Wissenschaftler*innen u.a. von der TU Berlin / Artikel in Nature Geoscience erschienen
Die Anpflanzung von Bäumen wird weithin als kosteneffiziente Methode zur Verringerung der globalen Erwärmung angepriesen, da Bäume große Mengen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre speichern können. In der Fachzeitschrift Nature Geoscience argumentiert eine internationale Gruppe von Wissenschaftler*innen jedoch, dass die Anpflanzung von Bäumen in hohen Breitengraden die globale Erwärmung eher beschleunigen als verlangsamen wird.
Mit der Erwärmung des Klimas können Bäume zunehmend weiter nördlich gepflanzt werden. Regierungen und Unternehmen fördern deshalb große Baumpflanzungsprojekte in der Arktis als Maßnahme, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuschwächen. Wenn Bäume jedoch an den falschen Stellen gepflanzt werden – wie z. B. in der normalerweise baumlosen Tundra und in Mooren sowie in großen Gebieten des borealen Waldes mit relativ offenen Baumkronen – können sie die globale Erwärmung noch verstärken, so die Forscher*innen, darunter auch Carsten Müller, Professor für Bodenkunde an der TU Berlin.
Laut Assistenzprofessor Jeppe Kristensen von der Universität Aarhus in Dänemark und Erstautor der Studie „Tree planting is no climate solution at northern high latitudes“ eignen sich die spezifischen Merkmale der arktischen und subarktischen Ökosysteme schlecht für die Anpflanzung von Bäumen zur Eindämmung des Klimawandels. „Das fast durchgehende Tageslicht im Frühling und Frühsommer, wenn der Boden noch schneebedeckt ist, macht die Energiebilanz in dieser Region extrem anfällig für eine Oberflächenverdunkelung. Grüne und braune Bäume absorbieren nämlich deutlich mehr Wärme von der Sonne als weißer Schnee“, so Kristensen.
Mikrobieller Abbau des Bodenkohlenstoffs
Die Böden in der Arktis speichern enorme Mengen an Kohlenstoff und stellen somit ein wichtiges Reservoir für die Speicherung von Kohlenstoff dar. „Die Störung des Bodens durch die Anpflanzung, aber auch durch das Wachstum der Bäume selbst, führt zu einem verstärkten mikrobiellen Abbau des Bodenkohlenstoffs und damit zur Emission von Treibhausgasen aus diesen kohlenstoffreichen Böden“, sagt Carsten Müller, Mitautor von der TU Berlin. Sein Fachwissen über die Mechanismen des Kohlenstoffkreislaufs im Boden ist in die Studie mit eingeflossen, und er weist darauf hin, dass viele arktische Böden Kohlenstoff eher in einer Form speichern, die für Bodenmikroben leicht verdaulich ist. Das macht diese Böden anfällig für Veränderungen der Umweltbedingungen, sei es durch den Klimawandel oder durch Maßnahmen wie das Anpflanzen von Bäumen.
Darüber hinaus sind die Regionen um den Nordpol in Nordamerika, Asien und Skandinavien anfällig für natürliche Störungen – wie Waldbrände und Dürren –, die die Vegetation absterben lassen. Durch den Klimawandel würden diese Störungen sowohl häufiger als auch heftiger. „Diese Orte sind riskant für einen Baum, insbesondere als Teil einer homogenen Plantage, die anfälliger für solche Störungen ist“, so Kristensen. „Der in diesen Bäumen gespeicherte Kohlenstoff könnte durch Störungen freigesetzt und innerhalb weniger Jahrzehnte wieder in die Atmosphäre abgegeben werden.“
Für die Forscher*innen ist das Pflanzen von Bäumen in hohen Breitengraden ein gutes Beispiel für eine Klimaschutzmaßnahme, die in einem Kontext die gewünschte Wirkung hat, im anderen jedoch die gegenteilige Wirkung zeigt.
Albedo-Effekt ist wichtiger als die Kohlenstoffspeicherung
„Die Klimadebatte ist sehr kohlenstofflastig, denn der Mensch hat das Klima der Erde im letzten Jahrhundert vor allem durch die Emission von Treibhausgasen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe verändert“, so Kristensen. „Aber im Kern ist der Klimawandel das Ergebnis davon, wie viel Sonnenenergie in die Atmosphäre gelangt und wie viel sie wieder verlässt – die sogenannte Energiebilanz der Erde. Treibhausgase sind ein wichtiger Faktor dafür, wie viel Wärme aus der Atmosphäre unseres Planeten entweichen kann. Laut den Forscher*innen ist jedoch an hohen Breitengraden die Menge an Sonnenlicht, die ins All zurückgestrahlt wird, ohne in Wärme umgewandelt zu werden (der sogenannte Albedo-Effekt), für die gesamte Energiebilanz wichtiger als die Kohlenstoffspeicherung.
Deswegen fordern sie eine ganzheitlichere Betrachtung von Ökosystemen, um wirklich sinnvolle naturbasierte Lösungen zu identifizieren, die das übergeordnete Ziel nicht gefährden: den Klimawandel zu verlangsamen. „Ein ganzheitlicher Ansatz ist nicht nur eine nachhaltigere Art, die Klimaauswirkungen naturbasierter Lösungen zu betrachten, sondern er ist zwingend erforderlich, wenn wir in der realen Welt etwas bewirken wollen“, sagte der Letztautor der Studie, Professor Marc Macias-Fauria vom Scott Polar Research Institute der Universität Cambridge. Er und seine Kolleg*innen räumen jedoch ein, dass es auch andere Gründe für die Anpflanzung von Bäumen geben kann, wie z. B. die Selbstversorgung mit Holz. In diesen Fällen dürfe es aber keine Boni für den Klimaschutz geben. „Die Forstwirtschaft im hohen Norden sollte wie jedes andere Produktionssystem betrachtet werden und somit auch ihre negativen Auswirkungen auf das Klima und die biologische Vielfalt kompensieren“, so Macias-Fauria. „Man kann nicht alles gleichzeitig haben, und man kann die Erde nicht täuschen. Wenn wir Aufforstung im Norden als Klimaschutzmaßnahme verkaufen, betrügen wir uns nur selbst.“
Wie kann die globale Erwärmung in hohen Breitengraden abgemildert werden?
Die Forscher*innen schlagen vor, in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften nachhaltige Populationen großer Pflanzenfresser wie Rentiere zu fördern. Dies könne eine praktikablere naturbasierte Lösung für den Klimawandel in arktischen und subarktischen Regionen sein als das Pflanzen von Millionen von Bäumen. „Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass große Pflanzenfresser die Pflanzengemeinschaften und die Schneeverhältnisse in einer Weise beeinflussen, die zu einer Nettokühlung führt“, so Macias-Fauria. „Dies geschieht sowohl direkt, indem Tundra-Landschaften offengehalten werden, als auch indirekt durch die Auswirkungen der winterlichen Futtersuche von Pflanzenfressern, wodurch sie den Schnee verändern und seine Isolierfähigkeit verringern, was die Bodentemperaturen und das Auftauen des Permafrosts reduziert.“
Die Forscher*innen betonen, dass die biologische Vielfalt und die Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften bei der Suche nach naturbasierten Lösungen für das Klima unbedingt berücksichtigt werden müssen. „Große Pflanzenfresser können den klimabedingten Verlust der biologischen Vielfalt in arktischen Ökosystemen verringern und eine wichtige Nahrungsquelle für die lokalen Gemeinschaften bleiben“, so Macias-Fauria. „Biodiversität und lokale Gemeinschaften sind kein zusätzlicher Nutzen von naturbasierten Lösungen: Sie sind grundlegend. Zudem müssen alle naturbasierten Lösungen von den lokalen Gemeinschaften angeführt werden, die an der vordersten Front des Klimawandels leben.“
Lesen Sie die ganze Studie „Tree planting is no climate solution at northern high latitudes“: https://www.nature.com/articles/s41561-024-01573-4
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr. Carsten W. Müller
Fachgebietsleiter Bodenkunde
TU Berlin
E-Mail: cm@boku.tu-berlin.de
Criteria of this press release:
Journalists
Environment / ecology, Oceanology / climate
transregional, national
Research results
German
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