Übermorgen ist Weltdiabetestag. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Hirnstiftung möchten anlässlich des Aktionstags den Fokus auf das erhöhte Demenz-Risiko von Menschen mit Diabetes lenken. Hier besteht ein deutlicher Zusammenhang, allein 2 % aller Demenz-Fälle können auf Diabetes mellitus zurückgeführt werden. Diabetes-Typ-2-Prävention ist somit auch aktive Demenz-Prävention. Ein gesunder Lebensstil beeinflusst nicht nur das Diabetes-Risiko, sondern auch andere Demenz-Risikofaktoren, wie Cholesterin oder Bluthochdruck. Der additive Effekt für die Hirngesundheit ist somit viel höher als „nur“ 2 %.
Jedes Jahr entwickeln ca. 400.000 Menschen in Deutschland eine Demenz – und das Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) warnt: Die Zahl der von einer Demenz Betroffenen wird nach Prognosen kontinuierlich von heute 1,8 Millionen auf bis zu 2,7 Millionen im Jahr 2050 ansteigen [1]. Auch die Diabetes-Rate (Typ 2) erhöht sich rasant, bis 2050 könnte sich die Zahl der Betroffenen womöglich verdoppeln [2].
Was viele nicht wissen: es besteht ein Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen: Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Demenz-Risiko. Im Jahr 2021 kam eine große populationsbasierte Studie aus Großbritannien [3] sogar zu dem Schluss: Je früher man an einem Typ-2-Diabetes erkrankt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, später eine Demenz zu entwickeln.
Bislang sind 14 Risikofaktoren für Demenz bekannt, die prinzipiell modifizierbar sind und durch medizinische Vorsorge und gesunde Lebensgewohnheiten zum Teil persönlich beeinflusst werden können [4]. Dazu gehören unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, Fettstoffwechselstörungen, soziale Isolation – und eben auch Diabetes mellitus.
Bei Beseitigung aller 14 Risiken wären rund 45 % aller Demenz-Erkrankungen, also fast die Hälfte, vermeidbar – oder könnten zumindest deutlich hinausgezögert werden. Der alleinige Anteil des Diabetes am Demenz-Risiko wird in dieser großen Erhebung auf 2 % geschätzt [4]. Das bedeutet: Allein 8.000 der 400.000 neuen Demenz-Fälle pro Jahr in Deutschland gehen auf das Konto von Diabetes.
„Die Prävention von Diabetes mellitus ist somit ein Investment in die eigene Hirngesundheit“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Wer mit Ernährungsumstellung und viel Bewegung seinen Lebensstil gesundheitsbewusst gestaltet, um Diabetes zu vermeiden, beugt gleichzeitig anderen Erkrankungen und Faktoren vor, die eine Demenz begünstigen, wie z. B. Übergewicht, hohe Blutfettwerte oder Bluthochdruck. Der additive Effekt auf das Demenz-Risiko ist dann viel größer als nur die besagten 2 %.“
Wie schädigt Diabetes das Gehirn und führt zu einer Demenz?
Diabetes kann auf ganz unterschiedliche Weise das Gehirn schädigen: (1) durch Veränderungen an den Gehirngefäßen, denn Diabetes führt zu Gefäßverkalkungen, (2) durch Beeinträchtigung des Zucker- und Insulinstoffwechsels im Gehirn und (3) durch Hypoglykämien (Unterzuckerungen) durch die Diabetestherapie z. B. mit Insulin. Auch ein instabiler Blutzucker-Langzeitwert HbA1c ist mit einem höheren Demenz-Risiko verbunden [5].
Manche Stoffwechseleigenschaften des Diabetes schädigen das Gehirn direkt – ohne Vermittlung durch den Blutzucker: Bei Diabetes-Typ-2 wurde die Abnahme der Expression von Glukosetransportern ( GLUT-1 und GLUT-3) in verschiedenen Hirnregionen beobachtet, auch die Zunahme von Sauerstoffradikalen sowie mitochondriale Veränderungen, die im Zusammenhang mit den pathophysiologischen Veränderungen bei Demenz stehen könnten [6]. Entsprechend wurden bereits moderne Antidiabetika, sog. SGLT2-Inhibitoren, daraufhin getestet, ob sie auch das Demenz-Risiko von Menschen mit Diabetes senken können. Eine aktuelle koreanische Studie gibt Hoffnung, denn die medikamentöse Intervention reduzierte dort das Risiko um 21 % [7].
Ein weiterer demenzfördernder Effekt läuft über den Insulinstoffwechsel im Gehirn, wo es zu einer Art Insulinresistenz der Hirnzellen kommen kann. Dies hat negative Auswirkungen auf die Abbauvorgänge der Eiweißstoffe, Es gibt Forschergruppen, die daher bei der Alzheimer-Demenz vom „Diabetes Typ 3“ sprechen [8].
Der Zusammenhang zwischen Diabetes und Demenz hat auch eine umgekehrte Einflusskomponente: so wirkt sich eine beginnende Demenz negativ auf die Diabetesbehandlung aus, weil die Betroffenen ihre Therapie und ihre Lebensstilfaktoren schlechter handhaben können [9].
Diabetes-Prävention ist Demenz-Prävention
Dennoch: Die Prävention bleibt die wichtigste Säule im Kampf gegen Demenz-Erkrankungen. „Diabetes-Prävention ist weitgehend auch Demenz-Prävention. Die Deutsche Diabetes Stiftung hat elf Präventionsmaßnahmen [10] zusammengetragen, die die Deutsche Hirnstiftung mitträgt. Die aufgeführten Maßnahmen entsprechen zu großen Teilen unseren Empfehlungen für den Erhalt der Gehirngesundheit bis ins hohe Alter. Was wir allerdings noch zusätzlich zur Demenz-Prävention empfehlen, sind soziale Interaktionen und Aktivitäten, die das Gehirn fördern und fordern, z. B. das Erlernen einer Fremdsprache, eines Musikinstruments oder komplexer Schrittfolgen beim Tanzen“, erklärt Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.
Quellen
[1] https://www.dzne.de/aktuelles/hintergrund/faktenzentrale/
[2] GBD 2021 Diabetes Collaborators. Global, regional, and national burden of diabetes from 1990 to 2021, with projections of prevalence to 2050: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet. 2023 Jul 15;402(10397):203-234. doi: 10.1016/S0140-6736(23)01301-6. Epub 2023 Jun 22. Erratum in: Lancet. 2023 Sep 30;402(10408):1132. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02044-5. PMID: 37356446; PMCID: PMC10364581.
[3] Barbiellini Amidei C, Fayosse A, Dumurgier J, Machado-Fragua MD, Tabak AG, van Sloten T, Kivimäki M, Dugravot A, Sabia S, Singh-Manoux A. Association Between Age at Diabetes Onset and Subsequent Risk of Dementia. JAMA. 2021 Apr 27;325(16):1640-1649. doi: 10.1001/jama.2021.4001. PMID: 33904867; PMCID: PMC8080220.
[4] Livingston G, Huntley J, Liu KY et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet. 2024 Aug 10;404(10452):572-628. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01296-0. Epub 2024 Jul 31. PMID: 39096926.
[5] Underwood PC, Zhang L, Mohr DC, Prentice JC, Nelson RE, Budson AE, Conlin PR. Glycated Hemoglobin A1c Time in Range and Dementia in Older Adults With Diabetes. JAMA Netw Open. 2024 Aug 1;7(8):e2425354. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.25354. PMID: 39093563; PMCID: PMC11297381.
[6] Rojas M, Chávez-Castillo M, Bautista J, Ortega Á, Nava M, Salazar J, Díaz-Camargo E, Medina O, Rojas-Quintero J, Bermúdez V. Alzheimer's disease and type 2 diabetes mellitus: Pathophysiologic and pharmacotherapeutics links. World J Diabetes. 2021 Jun 15;12(6):745-766. doi: 10.4239/wjd.v12.i6.745. PMID: 34168725; PMCID: PMC8192246.
[7] Kim HK, Biessels GJ, Yu MH, Hong N, Lee YH, Lee BW, Kang ES, Cha BS, Lee EJ, Lee M. SGLT2 Inhibitor Use and Risk of Dementia and Parkinson Disease Among Patients With Type 2 Diabetes. Neurology. 2024 Oct 22;103(8):e209805. doi: 10.1212/WNL.0000000000209805. Epub 2024 Sep 18. PMID: 39292986.
[8] Janoutová J, Machaczka O, Zatloukalová A, Janout V. Is Alzheimer's disease a type 3 diabetes? A review. Cent Eur J Public Health. 2022 Sep;30(3):139-143. doi: 10.21101/cejph.a7238. PMID: 36239360.
[9] Erbguth F. Diabetes und Gehirn. Der Diabetologe 2015; 11: 300-308
10] https://www.diabetesstiftung.de/11-tipps-zur-praevention
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Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
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