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12/09/2024 10:18

Nationaler Strategieplan Labormedizin: “Wir müssen auf die nächste Pandemie vorbereitet sein”

Markus Wolters Geschäftsstelle
Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin e. V.

    Eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und technologisch fortschrittliche Labormedizin ist essenziell für die Gesundheitsversorgung in Deutschland – angesichts dieser Tatsache hat die Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) ein wegweisendes Positionpapier mit dem Titel “Nationaler Strategieplan Lobormedizin” verfasst. Im Gespräch mit MedLabPortal gehen der Präsident der DGKL, Prof. Harald Renz, und der Bevollmächtigte des Präsidiums der Fachgesellschaft, Jan Wolter, auf den nationalen Strategieplan ein.

    MedLabPortal: Das aktuelle Positionspapier der DGKL hat es in sich und erscheint uns innovativ-disruptiv, kommt aber in Zeiten eines gewissen politischen Vakuums in Berlin. Wer genau sind die Adressaten des Papers?

    Wolter: Der Labormedizin kommt in der medizinischen Versorgung eine strategische Schlüsselposition zu. Von daher haben wir uns ganz bewusst für einen „Nationalen Strategieplan“ entschieden. Ein kleinteiliges Denken, hier ein wenig am EBM rumschrauben, dort eine Fördermaßnahme, das wird der Bedeutung der Labormedizin nicht gerecht. Dies muss jedem in der Politik klar sein, der sich mit Gesundheitspolitik beschäftigt oder auch innerer Sicherheit oder Digitalisierung.

    MedLabPortal: Sie wollten also bewusst parteiübergreifend vor den Bundestagswahlen am 23. Februar ein Zeichen setzen. Warum jetzt?

    Renz: Es wird Zeit, dass die Laboratoriumsmedizin auch in der politischen Arena adäquat „verankert“ wird. Wir nehmen wahr, dass viele Beteiligte des Gesundheitswesens gar nicht genau wissen, welche Leistungsfähigkeit die Labormedizin eigentlich auszeichnet, wie sie zur Resilienz des Gesundheitswesens beiträgt und auch im Sinne von Pandemic Preparedness eine große Rolle spielt. Hieraus entwickelt sich auch unser Forderungskatalog.

    Wolter: Ich sehe Deutschland zudem an einem Scheideweg. Wir erleben eine ganze Reihe von Umbrüchen, von denen jeder einzelne für sich schon von enormer Bedeutung ist: Globale (Un-)Sicherheit, instabile politische Allianzen, Klimawandel, gesellschaftlicher Wandel, Industrieumbrüche, Digitalisierung, … Deutschland muss hier seine Rolle klarer definieren und sich strategisch positionieren. Für eine so komplexe Fachdisziplin, wie wir es sind, mag das für die Politik seltsam klingen – aber wir spielen in vielen dieser Kompetenzfelder eine ganz entscheidende Rolle.

    MedLabPortal: Wir fanden das Papier sehr innovativ-disruptiv. Denn im Grunde, und das ist bundesweit neu, ist die Stellungnahme Ihrer Fachgesellschaft nichts anderes als ein Masterplan für nationale Krisen im Gesundheitswesen. So fordern Sie beispielsweise die Politik auf, für eine Fallpauschalen-unabhängige Vergütung zu sorgen. Das würde die Laborleistungen aus der unsäglichen Ökonomisierung der Medizin befreien, behandelnde Krankenhausärzte müssten demnach nicht mehr auf die Kosten achten, sondern auf das Wohl der Patienten. Auf welche Weise würde das die Diagnosequalität im Krankenhaus erhöhen?

    Renz: Ein Grundproblem, vor dem wir heute stehen, ist die Quadratur des Kreises. Auf der einen Seite steht ein unaufhaltsamer medizinischer Fortschritt mit immer besseren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten für die Patienten, auf der anderen Seite ist das verbunden mit immer höheren Kosten. Wie wollen wir gesellschaftlich-ethisch verantworten, dass manches, das was zum Wohle des Patienten geleistet werden kann, aus ökonomischen Gründen nicht beim Patienten ankommen darf? Hier braucht es einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs, in dem natürlich Prioritäten gesetzt werden müssen. Wie schwer es der Politik fällt, Prioritäten zu setzen, erleben wir gerade in der Frage rund um die Haushaltsplanungen und die Schuldenbremse.

    MedLabPortal: Rückgrat Ihrer Strategie ist die Tatsache, dass die Labormedizin systemrelevant ist. Entsprechend sollte auch die Politik reagieren, fordern Sie. Wer steht im Fokus des Papers?

    Renz: Im Mittelpunkt steht selbstverständlich der Patient. Und zwar flächendeckend in der Region, egal, ob er in Berlin, München oder auf dem flachen Lande wohnt. Eine gute, moderne, solide Diagnostik muss allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sein. Als Nächstes ist darauf zu achten, dass wir auch die medizinische Leistungsfähigkeit behalten und erhalten. Hier sind besondere Aktivitäten notwendig, um den Nachwuchs sicherzustellen, und zwar im technischen wie auch im ärztlichen Sektor.

    MedLabPortal: Uns ist aufgefallen, dass die DGKL im Bereich der Labormedizin Hochsicherheitslabore fordert. Will man dadurch potenzielle Sabotageakte – und somit die Paralyse des gesamten Gesundheitswesens – umgehen?

    Wolter: Unter dem „One-Health“ Ansatz, der der engen Vernetzung zwischen Gesundheit der Menschen, der Tiere und der Ökosysteme Rechnung trägt (z.B. Zoonosen, Umweltmedizin etc.) blicken wir mit einer gewissen Sorge auf die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen hinsichtlich Infektionskrankheiten. Hinzu kommen wachsende internationale Spannungen mit beträchtlichem Eskalationspotenzial. Auch die wachsende Instabilität innerhalb von Nationen spielt eine Rolle bei der Risikobewertung. Deutschland sollte sich zwingend auf entsprechende Szenarien vorbereiten.

    MedLabPortal: Und wie sieht es mit dem Nutzen von BSL-4 Hochsicherheitslaboren jenseits von Sabotage und Terror aus?

    Renz: Gute Frage. Betrachten wir doch zur Veranschaulichung die Pandemic Preparedness. Wir müssen auf die nächste Pandemie vorbereitet sein, die früher oder später sicherlich kommen wird. Wenn wir dann wieder den Werkzeugkasten erst zusammenbauen müssen, verlieren wir viel Zeit, Ressourcen – und am Ende des Tages sogar Menschenleben. Das ist völlig unnötig, denn wir können vorsorgen. Teil dieses präventiven Werkzeugkastens sind die erwähnten Hochsicherheitslabore.

    MedLabPortal: Auch die Einführung eines Cyber-Cent wird in Ihrem Positionspapier empfohlen. Damit sollen Labore, auch privatwirtschaftliche, in mehr Cybersicherheit investieren können. Die Idee ist löblich, nur: Auf welche Weise kann man gewährleisten, dass der Cyber-Cent nicht einfach in die Kassen der Beteiligten fließt, ohne dass er für andere Zwecke ausgegeben wird?

    Wolter: Fakt ist, dass Labore als absolut kritische Infrastruktur besser geschützt werden müssen. Dieser Schutz muss finanziert werden, und die Labore benötigen hierfür zusätzliche Mittel. Der Cyber-Cent ist dabei eine einfache, unbürokratische Möglichkeit. Alternativ könnte der Cyber-Cent auch nicht direkt an die Labore gehen, sondern in einen Cyber-Security-Investitionsfond. Daraus könnten dann wiederum gezielt und an Maßnahmen gebunden Mittel vergeben werden. Der Verwaltungsaufwand würde die Einnahmen jedoch vermutlich zu einem guten Teil auffressen. Ich bin daher für unkomplizierte Lösungen. Labore, die trotz zusätzlicher Mittel nicht in ihre IT-Sicherheit investieren und Standards vernachlässigen, könnten anderweitig sanktioniert oder im Schadensfall entsprechend haftbar gemacht werden.

    MedLabPortal: Apropos Geld. Die Errichtung eines Innovationsfonds für die Labormedizin ist ein weiterer Aspekt, auf den Sie die Politik hinweisen. Benötigen Unternehmen, die Milliardengewinne mit Laborbefunden einfahren, wirklich Geld vom Staat?

    Renz: Innovation hat ja auch etwas mit Evidenz zu tun. Es müssen nicht nur neue Therapiemöglichkeiten auf ihre Evidenz hin überprüft werden, sondern das Gleiche gilt auch für diagnostische Strategien und diagnostische Tests. Hier fordern wir einen besonderen Fond innerhalb des Innovationsfonds, der gerne reserviert ist, um die Evidenz der Diagnostik zu überprüfen.

    MedLabPortal: Es geht demnach primär um die Stärkung der unabhängigen, universitären Forschung. In Kombination bedeuten die Punkte des Positionspapiers doch eins: Universitäten und Krankenhäuser werden im Bereich der Labormedizin eine Art Rückgrat sein – autark, finanziell abgesichert und selbst im Falle von physischen Ausfällen in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung immer noch einsatzbereit. Bliebe nur die Frage: Warum sollte die kommende Bundesregierung Geld in die Hand nehmen, und darauf eingehen?

    Renz: All das, was wir oben aufgeführt haben, kostet selbstverständlich auch Geld. Umsonst ist die Pandemic Preparedness nicht zu bekommen, die Resilienz des Gesundheitswesens ist kostspielig. Die Versorgung der gesamten Bevölkerung, auch und gerade im ländlichen Raum und in der Fläche mit optimaler Diagnostik, wird nicht umsonst zu haben sein. Dies sind einige wenige Beispiele, die zeigen, dass es auch bei limitierten Ressourcen einer Priorisierung innerhalb der Politik bedarf, und hier werden wir dafür kämpfen, den Stellenwert und die Bedeutung der Labormedizin herauszuarbeiten.

    MedLabPortal: Herr Prof. Renz, Herr Wolter Danke für Ihre Zeit.

    Die Fragen stellten MedLabPortal Redakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu

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    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Biology, Chemistry, Economics / business administration, Environment / ecology, Medicine
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Transfer of Science or Research
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