Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen sind Geflüchtete deutlich häufiger von sozialer Isolation und Einsamkeit betroffen. Elf Prozent der geflüchteten Frauen und drei Prozent der Männer haben nach eigenen Angaben auch nach sieben bis neun Jahren in Deutschland keine oder nur selten Kontakte zu Personen, mit denen sie nicht verwandt sind. Eine neue Studie des Forschungszentrums für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) beleuchtet verschiedene Aspekte von sozialer Isolation und Einsamkeit unter Geflüchteten.
Soziale Isolation, also ein Mangel an sozialen Beziehungen und Kontakten, sowie Gefühle von Einsamkeit sind Themen, die in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen haben. Dabei sind die Aspekte von Einsamkeit vielschichtig, ebenso wie auch die negativen Konsequenzen, die Kontakt- und Beziehungsarmut nach sich ziehen können. Besonders für Geflüchtete, die sich nach ihrer Flucht ein neues Leben in einem neuen gesellschaftlichen Umfeld aufbauen müssen, wiegen die Folgen von sozialer Isolation schwer und wirken lange nach: „Unsere Daten zeigen, dass auch Geflüchtete, die schon seit mehreren Jahren in Deutschland leben, doppelt so häufig keine engen Freundschaften führen, verglichen mit Personen ohne Migrationshintergrund“, weiß Dr. Jan Eckhard, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ.
Der neue Forschungsbericht des BAMF-FZ beschreibt die Verbreitung sozialer Isolation und Einsamkeit bei Geflüchteten in Deutschland und deren Entwicklung über die Zeit hinweg, analysiert Hintergründe und zeigt Handlungsoptionen auf. Für die Analysen werden Daten der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten aus den Jahren 2016 bis 2022 genutzt. Betrachtet werden geflüchtete Personen, die in den Jahren 2016 bis einschließlich 2019 nach Deutschland eingereist sind. In den Analysen werden auch Vergleiche zu zugewanderten Personen ohne Fluchterfahrung sowie zu Personen ohne Migrationshintergrund vorgenommen, wofür zusätzlich die Daten der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe und des sozioökonomischen Panels (SOEP) verwendet werden.
Geflüchtete Männer haben häufig überhaupt keine enge Bezugsperson
Enge persönliche Beziehungen spielen in der Alltagsbewältigung eine große Rolle. Gerade in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland könnten Geflüchtete etwa bei Behördengängen, bei der Wohnungs- und Jobsuche, beim Deutschlernen und bei der Verarbeitung ihrer Fluchterfahrung maßgeblich von persönlichen Kontakten profitieren und erleben soziale Isolation daher umso mehr als gravierenden Nachteil. „Tatsächlich sind Geflüchtete im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen häufiger von Beziehungsarmut, also dem Fehlen enger Bezugspersonen, betroffen. Dabei sind geflüchtete Männer häufiger ohne jegliche enge Bezugsperson, bei den Frauen haben 74,7 Prozent enge Bezugspersonen ausschließlich im Familienkontext und vergleichsweise häufig überhaupt keine Kontakte zu Personen, mit denen sie nicht verwandt sind“, so Studienautor Dr. Jan Eckhard. Die Kontaktarmut, das Fehlen auch von „lockeren“ Kontakten zu nicht-verwandten Personen, ändert sich mit zunehmender Aufenthaltsdauer der Geflüchteten nur langsam – bei den geflüchteten Frauen liegt der Anteil mit nur sehr wenigen familienübergreifenden Kontakten nach einer Aufenthaltsdauer von sieben bis neun Jahren noch bei 11 Prozent, bei den Männern bei drei Prozent.
Fehlende Freundschaften und Diskriminierungserfahrungen verstärken die gefühlte Einsamkeit
Etwas anders sieht es bei Kontakten zu Deutschen aus: Die Häufigkeit dieser Kontakte nimmt mit der Aufenthaltsdauer stetig zu, wobei der Zuwachs bei den geflüchteten Männern stärker ist als bei den Frauen. „Dennoch haben wir festgestellt, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Geflüchteten auch mehrere Jahre nach der Einreise nur selten Kontakt zu Deutschen hat. Besonders Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften leben oder Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, stehen seltener in Kontakt mit Deutschen. Wir sehen aber auch, dass sich das Risiko der Kontaktarmut erheblich verringert, sobald die Geflüchteten eine Erwerbstätigkeit oder Ausbildung aufnehmen. Auch Kenntnisse der deutschen Sprache bringen häufigere Kontakten zu Deutschen mit sich“, resümiert Dr. Jan Eckhardt. Die Analyse zeigt, dass Sprachkenntnisse unmittelbar zur sozialen Vernetzung der Geflüchteten beitragen und das Risiko reduzieren, ohne jegliche Kontakte zu sein. Im Jahr 2021 gab ein gutes Fünftel der Geflüchteten an, sich oft oder sehr oft sozial einsam zu fühlen. Verglichen mit anderen Bevölkerungsgruppen tritt damit das Gefühl sozialer Einsamkeit bei Geflüchteten besonders häufig auf: Bei anderen eingewanderten Personen traf dies nur auf rund zehn Prozent und bei Personen ohne Migrationshintergrund nur auf rund sechs Prozent zu. „Geflüchtete laufen vor allem dann Gefahr, sich sozial einsam zu fühlen, wenn sie wenig in die Aufnahmegesellschaft eingebunden sind. Auch Diskriminierungserfahrungen, ein unsicherer Aufenthaltsstatus und fehlende Kontakte oder Freundschaften verstärken das Gefühl der sozialen Einsamkeit“, sagt Dr. Manuel Siegert, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ.
Integrationskurse reduzieren die soziale Einsamkeit und fördern die soziale Vernetzung
Der Forschungsbericht identifiziert diverse vulnerable Gruppen, die mit einem erhöhten Risiko der sozialen Isolation konfrontiert sind. Dazu gehören beispielsweise ältere Geflüchtete, Geflüchtete mit einem niedrigen Bildungsstand oder erwerbslose Geflüchtete. Auch geflüchtete Männer, die ohne Partnerin und Familie in Deutschland leben, sind einem höheren Isolationsrisiko ausgesetzt. „Uns ist es wichtig, auf das Problem der sozialen Isolation und gefühlten Einsamkeit bei Geflüchteten aufmerksam zu machen und belastbare Daten zu liefern“, erklärt Dr. Manuel Siegert, „Unsere Analyse macht deutlich: Je besser die Geflüchteten die deutsche Sprache beherrschen, desto niedriger deren Isolationsrisiko. Daher sollte der Förderung des Sprachenlernens weiterhin ein hoher integrationspolitischer Stellenwert eingeräumt werden“, betonen die Studienautoren. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass die Teilnahme an einem Integrationskurs auch unabhängig vom Lernerfolg förderlich für die soziale Einbindung der Geflüchteten ist, da sie ein wichtiger Baustein für die soziale Vernetzung der Geflüchteten ist.
Weitere Informationen:
Zur Datenbasis der Publikation: Der Forschungsbericht basiert auf sieben Befragungswellen der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten aus den Jahren 2016 bis 2022. Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten ist eine seit 2016 laufende bundesweite Längsschnittbefragung von Personen, die im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis einschließlich 31. Dezember 2019 nach Deutschland gekommen sind und hier einen Asylantrag gestellt haben, unabhängig von Verlauf und Ausgang des Asylverfahrens. Zusätzlich werden die Haushaltsmitglieder dieser Personen befragt. Grundlage für die Stichprobenziehung war das Ausländerzentralregister (AZR). Ein Teil der Auswertungen dieses Forschungsberichts greift zudem auf Daten des SOEP und der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe zurück. Alle Angaben beziehen sich auf Selbsteinschätzungen der Geflüchteten.
Den Forschungsbericht 50 „Soziale Isolation und Einsamkeit von Geflüchteten in Deutschland“ finden Sie hier:
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb50-sozi...
Weiterführende Informationen zur IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: https://www.bamf.de/SharedDocs/ProjekteReportagen/DE/Forschung/Integration/iab-b...
Ansprechpartner für Medienanfragen:
Jochen Hövekenmeier
Pressestelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Telefon: +49 911 943 17799
E-Mail: pressestelle@bamf.bund.de
Über das BAMF-Forschungszentrum:
Mit der Arbeit des 2005 gegründeten Forschungszentrums kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seiner gesetzlichen Aufgabe nach, wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen zu betreiben. Das Forschungszentrum betrachtet das Migrationsgeschehen nach und von Deutschland und analysiert die Auswirkungen der Zuwanderung. Es begleitet Integrationsprozesse und trägt mit seinen Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Weitere Informationen unter: https://www.bamf.de/DE/Themen/Forschung/forschung-node.html
Dr. Jan Eckhard, Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Kontakt: https://www.bamf.de/SharedDocs/Struktur/Personen/DE/WissenschaftlicheMA/eckhard-...
Dr. Manuel Siegert, Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Kontakt: https://www.bamf.de/SharedDocs/Struktur/Personen/DE/WissenschaftlicheMA/siegert-...
Eckhard, J. & Siegert, M. (2024). Soziale Isolation und Einsamkeit bei Geflüchteten in Deutschland (Forschungsbericht 50). Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. https://doi.org/10.48570/bamf.fz.fb.50.d.2024.sozisolation.1.0
Forschungsbericht 50 "Soziale Isolation und Einsamkeit bei Geflüchteten"
BAMF
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
Social studies
transregional, national
Research results
German
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