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01/07/2025 11:15

Versunkene Welten unter dem Pazifik?

Peter Rüegg Hochschulkommunikation
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

    Geophysiker:innen der ETH Zürich machen im unteren Erdmantel Bereiche sichtbar, in denen sich Erdbebenwellen anders verhalten als angenommen. Das deutet auf Gesteinszonen, die kälter oder anders zusammengesetzt sind als das umgebende Gestein. Diese Erkenntnis stellt das bisherige Verständnis von der Plattentektonik in Frage.

    Niemand kann ins Erdinnere blicken. Auch kann niemand tief genug bohren, um Gesteinsproben aus dem Erdmantel zwischen der Lithosphäre und dem Erdkern zu holen oder dort Temperatur und Druck zu messen. Deshalb nutzen Geophysiker:innen indirekte Methoden, um zu sehen, was sich tief unter unseren Füssen abspielt.

    So verwenden sie beispielsweise Seismogramme, also Erdbebenaufzeichnungen, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen zu ermitteln. Damit berechnen sie die innere Struktur der Erde. Das ist fast so, wie Mediziner:innen, die mittels Ultraschall Organe, Muskeln oder Adern im Körperinneren abbilden, ohne dafür den Körper zu öffnen.

    Seismische Wellen liefern Informationen

    Und das geht so: Bebt die Erde, breiten sich vom Herd seismische Wellen in alle Richtungen aus. Auf ihrem Weg durch die Erde werden sie gebrochen, gebeugt oder reflektiert. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen hängt vom jeweiligen Wellentyp ab, aber auch von der Dichte und Elastizität des Materials, das die Wellen durchlaufen. Seismografische Stationen zeichnen diese unterschiedlichsten Wellen auf, und anhand dieser Aufzeichnungen können Geophysiker:innen auf die Struktur und die Beschaffenheit der Erde schliessen und die Vorgänge im Erdinnern untersuchen.

    So bestimmten Erdwissenschaftler:innen anhand der seismischen Aufzeichnungen die Lage von untergetauchten tektonischen Platten im gesamten Erdmantel. Sie fanden sie stets dort, wo sie diese erwartet hatten: im Bereich von sogenannten Subduktionszonen, also dort, wo zwei Platten aufeinandertreffen und die eine unter die andere ins Erdinnere abtaucht. Dies hat den Wissenschaftlern geholfen, den plattentektonischen Zyklus zu erforschen, also die Bildung und Zerstörung von Platten an der Erdoberfläche im Laufe der Erdgeschichte.

    Plattenreste, wo es keine geben kann

    Nun aber macht ein Team von Geophysiker:innen der ETH Zürich und des California Institute of Technology eine überraschende Entdeckung: Mit einem neuen hochauflösenden Modell finden sie im Erdinnern weitere Bereiche, die nach Resten von untergetauchten Platten aussehen. Diese liegen aber nicht dort, wo sie erwartet wurden, sondern auch unter grossen Ozeanen oder im Innern von Kontinenten – weit entfernt von Plattengrenzen. Dort aber gibt es keine geologischen Hinweise auf längst vergangene Subduktion. Diese Studie wurde vor kurzem in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.

    Das Neue an ihrem Modellansatz ist, dass die ETH-Forschenden nicht nur einen Typ von Erdbebenwellen nutzen, um die Struktur des Erdinnern zu untersuchen, sondern alle. Fachleute nennen das Verfahren Full Waveform Inversion. Das macht das Modell sehr rechenintensiv, weshalb die Forschenden den Supercomputer Piz Daint am CSCS in Lugano benutzten. Liegt unter dem Pazifik eine vergangene Welt?

    «Offenbar sind solche Zonen im Erdmantel viel weiter verbreitet, als bisher angenommen», sagt Thomas Schouten, Erstautor und Doktorand am Geologischen Institut der ETH Zürich.

    Eine der neu entdeckten Zonen liegt unter dem westlichen Pazifik. Dort sollte aber nach gängigen plattentektonischen Theorien und Erkenntnissen kein Material von abgetauchten Platten vorhanden sein, weil es unmöglich ist, dass es in der jüngeren geologischen Geschichte Subduktionszonen in der Nähe gab. Um welches Material es sich handelt, ist den Forschenden jedoch nicht bekannt, auch nicht, was dies für die Dynamik im Inneren der Erde bedeutet. «Das ist unser Dilemma. Mit dem neuen hochaufgelösten Modell sehen wir zwar überall im Erdmantel solche Anomalien. Was sie genau sind und was für Material die von uns aufgedeckten Muster erzeugt, wissen wir nicht».

    Es sei wie bei einem Arzt, der jahrzehntelang mit Ultraschall den Blutkreislauf untersucht und genau dort Arterien findet, wo er sie vermutet, sagt ETH-Professor Andreas Fichtner. «Gibt man ihm jedoch ein neues, besseres Untersuchungsinstrument, sieht er plötzlich in der Pobacke eine Arterie, die da eigentlich nicht hingehört. Genauso geht es uns mit den neuen Erkenntnissen», erklärt der Wellenphysiker. Er hat das Modell in seiner Gruppe entwickelt und den Code geschrieben.

    Mehr Informationen aus den Wellen ziehen

    Die Forschenden können also bislang nur spekulieren. «Wir denken, dass die Anomalien im unteren Erdmantel vielfältige Ursprünge haben», sagt Schouten. Er hält es für möglich, dass sie nicht bloss aus kaltem Plattenmaterial bestehen, das in den letzten 200 Millionen Jahren abgetaucht ist. «Es könnte entweder sehr altes silikatreiches Material sein, das seit der Entstehung des Erdmantels vor vier Milliarden Jahre dort ist und trotz der Konvektionsbewegungen im Mantel überlebt hat. Oder es könnten Zonen sein, wo sich eisenreiches Gestein über Milliarden von Jahren anreichert als Folge dieser Mantelbewegungen», sagt er.

    Für den Erdwissenschaftler heisst es vor allem, dass es mehr Forschung mit noch besseren Modellen braucht, um mehr Details im Erdinnern zu sehen. «Die Wellen, die wir für das Modell nutzen, bilden im Wesentlichen nur eine Eigenschaft ab, nämlich die Geschwindigkeit, mit der sie durch das Erdinnere rasen», sagt Schouten. Das werde dem komplexen Inneren der Erde jedoch nicht gerecht. «Wir müssen die unterschiedlichen Materialparameter berechnen, die die beobachteten Wellengeschwindigkeiten der verschiedenen Wellentypen hervorbringen könnte. Im Wesentlichen müssen wir uns intensiv mit den Materialeigenschaften befassen, die hinter der Wellengeschwindigkeit steckt», betont Schouten.


    Contact for scientific information:

    Thomas Schouten, Geologisches Institut, ETH Zürich, schouten(at)eaps.ethz.ch


    Original publication:

    Schouten TLA, Gebraad L, Noe S et al. Full-waveform inversion reveals diverse origins of lower mantle positive wave speed anomalies. Sci Rep 14, 26708 (2024). DOI: 10.1038/s41598-024-77399-2


    More information:

    https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/01/versunkene-wel...


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    Ein neues Computermodell macht im unteren Erdmantel Material sichtbar, das nicht von abgetauchten Platten stammen kann.
    Ein neues Computermodell macht im unteren Erdmantel Material sichtbar, das nicht von abgetauchten Pl ...
    Sebastian Noe
    ETH Zürich


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Geosciences
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Ein neues Computermodell macht im unteren Erdmantel Material sichtbar, das nicht von abgetauchten Platten stammen kann.


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