Bahnbrechende Studie in Nature Genetics unter der Leitung von Martin Fischer, Laborleiter, und Steve Hoffmann, Forschungsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) liefert einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Regulation unserer Gene.
Jena. Unser Erbgut enthält Zehntausende Gene. Einem riesenhaften Orchester gleich, ist ihr Zusammenspiel die Grundlage für alle lebenswichtigen Prozesse unseres Körpers. Fehler des Zusammenspiels können zu schweren Erkrankungen führen und sind eine Ursache dafür, dass wir altern. Forschende aus der Biologie und Medizin versuchen deshalb mit Hochdruck zu verstehen, wie das Orchester der Gene organisiert ist, wie Gene aktiviert oder deaktiviert werden.
Eine bahnbrechende Studie in Nature Genetics unter der Leitung von Martin Fischer, Laborleiter, und Steve Hoffmann, Forschungsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) liefert nun einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Regulation unserer Gene. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Technischen Universität Darmstadt und der State University of New York at Albany zeigen die Jenaer, wie sogenannte konvergente Promotoren als mächtige Regulatoren in unserem Genom wirken.
Was ist konvergente Transkription und warum ist sie wichtig?
Ein erster Schritt der Genaktivierung ist das gerichtete Abschreiben der Erbgutinformation von Beginn bis Ende des Gens. Bei diesem Prozess entsteht ein RNA-Molekül, das unter bestimmten Voraussetzungen später auch in Proteine übersetzt werden kann. Die Abschrift oder Transkription eines Gens wird dabei durch eine sogenannte Promotorregion gesteuert, die direkt vor dem Genbeginn liegt. Genauere Untersuchungen der letzten Jahre deuteten an, dass die aktive Abschrift eines Gens häufig durch eine Abschrift in der Gegenrichtung begleitet wird. Dabei stehen sich auch zwei Promotorregionen „gegenüber“, die beide eine Abschrift initiieren. Diese sogenannte konvergente Transkription gleicht einer genomischen Geisterfahrt und galt lange Zeit als Hindernis für die Genexpression. Die neusten Erkenntnisse stellen diese Annahme jetzt in Frage.
Überraschend viele Gene sind von derartigen Geisterfahrten betroffen. „Dieses Phänomen ist bei etwa 25% aller aktiven Transkriptionsstartstellen zu beobachten“, erklärt Bioinformatikerin Elina Wiechens, Doktorandin am FLI und im Graduiertenkolleg ProMoAge und Erstautorin der Studie. Eine der größten Herausforderungen des Projektes war es, die räumliche Nähe der konvergenten Transkription nachzuweisen. „Wir mussten nachweisen, dass auf einem sehr kleinen Raum Moleküle aus entgegengesetzter Richtung entstehen“, ergänzt Steve Hoffmann. Flavia Vigliotti und Alexander Loewer von der Technischen Universität Darmstadt spielten für dieses Experiment die entscheidende Rolle. Die Forschenden aus Hessen setzten dazu hochauflösende bildgebende Verfahren ein und bestätigten, dass konvergente Transkription tatsächlich auf demselben DNA-Abschnitt stattfinden kann.
Im weiteren Verlauf der Studie konnte das internationale Forscherteam nachweisen, dass Proteine, die den Transkriptionsprozess an einem der beiden Promotoren anstoßen, gleichzeitig auch die Abschrift der Gegenseite verstärken. Zwei derartige Proteine, auch Transkriptionsfaktoren genannt, waren dabei von besonderem Interesse - p53 und RFX7. Beide Faktoren spielen eine wichtige Rolle in der Krebsentstehung und regulieren durch ihre Wechselwirkung mit Promotoren eine Vielzahl anderer Gene. Ein genaues Verständnis ihrer Wirkweise ist daher von immenser Bedeutung in der Krebsforschung. Auch umgekehrt gelang der Nachweis, dass Faktoren wie E2F4, die die Transkription unterdrücken, über die Bindung an einem Promotor den gegenüberliegenden Partner ebenfalls negativ beeinflussen.
„Die Bedeutung dieser Entdeckung ist immens. Wenn zwei Promotoren zusammenarbeiten anstatt isoliert zu agieren, vervielfältigen sich die Möglichkeiten der Genregulation“, erklärt Morgan Sammons aus Albany. Konvergente Promotoren schaffen eine dynamische „Unterhaltung“ zwischen gegenüberliegenden regulatorischen Regionen und ermöglichen eine fein abgestimmte Kontrolle der Genexpression.
Das vorherrschende Verständnis von Transkriptionsinterferenz in Frage gestellt
Jahrelang gingen die Forschenden in aller Welt davon aus, dass konvergente Transkription zur sogenannten „Transkriptionsinterferenz“ führt. Diese tritt auf, wenn sich die zur Transkription erforderlichen Enzymkomplexe aufeinander zubewegen. „Es ist, als ob zwei breite LKWs auf enger Straße zu kollidieren drohen.“, erläutert Martin Fischer. „Mindestens einer der beiden Enzymkomplexe muss die Transkription unterbrechen“. Die neue Studie aus Jena, Darmstadt und Albany setzt ein Fragezeichen hinter diese Vorstellung.
Zu Beginn des Forschungsprojektes beobachtete das Team eine positive Korrelation zwischen den Transkripten konvergenter Promotoren. Diese Ergebnisse gaben den ersten Anhalt, dass Promotorpaare kooperieren und nicht, wie bisher angenommen, gegeneinander arbeiten. Martin Fischer erläutert: „Diese Forschung erweitert unser Verständnis der Genregulation, indem sie zeigt, wie konvergente Promotoren eine koordinierte Genexpression steuern. Anstatt sich gegenseitig zu behindern, spielen diese Promotorpaare eine entscheidende Rolle bei der anpassungsfähigen Regulierung der Genaktivität.“
Evolutionsbiologische Bedeutung: Der Selektionsvorteil konvergenter Promotoren
Die DNA-Abschnitte konvergenter Promotoren wurden im Laufe der Evolution besonders gut erhalten und weisen auch heute noch eine hohe Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Wirbeltierarten auf. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass konvergente Transkription einen evolutionären Vorteil geliefert haben könnte. Konvergente Promotoren ermöglichen es, dass mehrere RNA-Transkripte von einer einzigen Stelle aus reguliert werden. Diese Struktur erhöht die Flexibilität die Genexpression zu steuern und könnte dabei geholfen haben, sich besser an wechselnde Bedingungen anzupassen.
„Konvergente Promotoren können sogar zu verschiedenen Genprodukten führen. Diese Genvarianten unterscheiden sich nicht nur in der Länge sondern zum Teil auch in ihrer Funktion“, betont Elina Wiechens.
Ein neues Paradigma der Genregulation
Die Entdeckung kooperativer konvergenter Promotoren eröffnet neue Einblicke in die regulatorische Architektur unseres Genoms und hat Einfluss auf die Verfahren, mit denen wir die Regulation unseres Genoms untersuchen. Steve Hoffmann, erklärt: „Unsere Arbeit legt nah, dass eine Vielzahl von Genen einen zweiten, bisher unbekannten Promotor haben. Die Erweiterung der Promotor-Definition und die Analyse des bisher kaum beachteten ,Geisterfahrers‘ kann uns dabei helfen, unser Verständnis der Genregulation zu verbessern“. Dies sei insbesondere für solche regulatorischen Wechselwirkungen von Bedeutung, die im Zusammenhang mit der Krebsentstehung und anderen Erkrankungen stehen, ergänzt Martin Fischer.
Gene regulation by convergent promoters. Elina Wiechens, Flavia Vigliotti, Kanstantsin Siniuk, Robert Schwarz, Katjana Schwab, Konstantin Riege, Alena van Bömmel, Ivonne Görlich, Martin Bens, Arne Sahm, Marco Groth, Morgan A. Sammons, Alexander Loewer, Steve Hoffmann & Martin Fischer. nature genetics. 09 January 2025.
DOI: 10.1038/s41588-024-02025-w
https://www.nature.com/articles/s41588-024-02025-w
Kooperation geisterfahrender Gene (Bild: Katjana Schwab/DALL-E)
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology, Medicine
transregional, national
Scientific Publications
German
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