Neue Erkenntnisse der Barriga-Gruppe am Exzellenzcluster Physics of Life (PoL) der Technischen Universität Dresden, die in Nature Materials veröffentlicht wurden, zeigen, dass elektrische Felder die Zellen der Neuralleiste während der Entwicklung zur Wanderung anregen. Diese bahnbrechende Forschung stellt auch die erste experimentelle Bestätigung dar, wie elektrische Felder in einem sich entwickelnden Embryo durch mechanische Dehnung der Zellmembranen entstehen, um einen elektrischen Gradienten zu erzeugen.
Die Entwicklung und Formgebung eines Embryos erfordern den koordinierten Ablauf zahlreicher Signale und molekularer Interaktionen. Ein wesentlicher Aspekt dieses Prozesses ist die kollektive Zellwanderung, bei der sich Zellverbände gemeinsam und aufeinander abgestimmt bewegen, indem sie auf verschiedene Reize aus ihrer Umgebung reagieren. Trotz der Bedeutung dieses Prozesses im Tierreich sind die zugrundeliegenden Mechanismen noch immer nicht vollständig verstanden. Neue Erkenntnisse der Barriga-Gruppe am Exzellenzcluster Physics of Life (PoL) der Technischen Universität Dresden, die in Nature Materials veröffentlicht wurden, zeigen, dass elektrische Felder die Zellen der Neuralleiste während der Entwicklung zur Wanderung anregen. Diese bahnbrechende Forschung stellt auch die erste experimentelle Bestätigung dar, wie elektrische Felder in einem sich entwickelnden Embryo durch mechanische Dehnung der Zellmembranen entstehen, um einen elektrischen Gradienten zu erzeugen.
Während des Wachstums eines Embryos findet ein ständiger Austausch zwischen den Zellen statt, um Gewebe und Organe zu bilden. Zellen nehmen zahlreiche chemische und mechanische Signale aus ihrer Umgebung wahr. Das allein erklärt die kollektive Zellwanderung allerdings noch nicht. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die elektrischen Felder die gezielte Zellwanderung im Embryo beeinflussen. Wie und wo diese Felder im Embryo aufgebaut werden, war bisher unklar. „Wir haben ein endogenes bioelektrisches Strommuster untersucht, das einem elektrischen Feld während der Entwicklung entspricht, und gezeigt, dass dieser Strom die Bewegung einer als Neuralleiste bekannten Zellpopulation steuert“, betont Dr. Elias H. Barriga, Mitautor und Leiter der Studie. Dr. Barriga und sein Team begannen mit der Forschung zur Neuralleiste zunächst am ehemaligen Gulbenkian Institute of Science (IGC) in Oeiras, Portugal, bevor sie ihre Forschung am Exzellenzcluster Physics of Life (PoL) in Dresden fortsetzten.
Die Neuralleiste ist ein wesentlicher Bestandteil des Embryos. Diese Zellregion bildet die Knochen unseres Gesichts und Halses sowie Teile des Nervensystems. Dr. Barriga und seine Kolleg:innen fanden heraus, dass die Zellen der Neuralleiste während der Entwicklung durch interne elektrische Felder gelenkt werden - vergleichbar mit Autofahrern, die den Signalen eines Verkehrspolizisten folgen. Die Gruppe fand heraus, dass die Zellen durch diesen als Elektrotaxis bezeichneten Prozess die Ausrichtung von im Embryo erzeugten elektrischen Feldern wahrnehmen und sich entsprechend bewegen können. Damit konnten sie die Relevanz der elektrischen Ströme im Embryo nachweisen, eine Beobachtung, die bisher aus kultivierten Zellen bekannt war. Daraus ergab sich die Frage: Wie entschlüsseln die Zellen elektrische Ströme und wie setzen sie sie in gerichtete Bewegungen um?
Um diese Frage zu beantworten, identifizierten Dr. Barriga und sein Team ein Enzym, das als spannungsempfindliche Phosphatase 1 (Vsp1) bekannt ist und in den Zellen der Neuralleiste vorkommt. Aufgrund der vielseitigen Struktur von Vsp1 schien es in der Lage zu sein, elektrische Signale sowohl zu erfassen als auch weiterzuleiten. Um zu überprüfen, ob Vsp1 für die Elektrotaxis erforderlich ist, erzeugte das Team eine defekte Version des Enzyms und injizierten es in einige Zellen: in den Zellen mit der manipulierten Enzym-Kopie war die Elektrotaxis kollektiv gestört. „Für mich war die Anwendung der von mir entwickelten Instrumente zur gezielten Steuerung der Genexpression im Zusammenhang mit der Bioelektrizität sehr lohnend, und ich freue mich darauf, dass ihr Potenzial voll ausgeschöpft wird“, betonte Dr. Sofia Moreira, Mitautorin der Studie.
Entgegen den Erwartungen scheint Vsp1 nicht für die Bewegung selbst zuständig zu sein, sondern kann elektrische Stromgradienten gezielt in gerichtete und kollektive Bewegung umwandeln. Dies ist eine einzigartige Beobachtung, da die meisten Enzymsensoren für die Bewegung selbst erforderlich sind. Das macht es schwierig, ihre Rolle bei der Richtungssteuerung zu untersuchen. Im Anschluss untersuchten die Forscher:innen, wie die elektrischen Felder entstehen könnten: durch die mechanische Dehnung einer Region, die als Neuralfalte bekannt ist. Wenn sich die Zellen in dieser Region dehnen, werden bestimmte Ionenkanäle aktiviert, was zu einem Spannungsgefälle führt. Wenn die Zellen dann auf diesen Gradienten treffen, wandelt Vsp1 die elektrischen Signale in einen Richtungshinweis um, der den Zellen sagt, in welche Richtung sie gehen sollen. Das löst die kollektive Zellwanderung aus.
Die Arbeit der Gruppe ist der erste experimentelle Beleg, der nahelegt, dass elektrische Felder entlang des Weges entstehen, auf dem die Zellen der Neuralleiste wandern, und der ihren Entstehungsmechanismus erklärt. Diese Entdeckungen unterstreichen einen wertvollen Beitrag, den die Bioelektrizität während der Embryonalentwicklung leistet. Indem sie unser Wissen über die Elektrotaxis in einem lebenden Tier erweitert, eröffnet die Studie neue Möglichkeiten zur Nachahmung von Entwicklungsprozessen im Labor, und zwar mit größerer Genauigkeit als je zuvor.
Dr. Fernando Ferreira, Erstautor der Studie, merkt an: „Unsere Arbeit schließt eine wichtige, jahrzehntealte Lücke in der Bioelektrizitätsforschung und es ist spannend, Teil der aktuellen Entwicklung in der Bioelektrizität zu sein.“ Die Forschung zu den Mechanismen der Elektrotaxis ist jedoch nicht abgeschlossen: „Durch diese neue Perspektive haben wir einen weiteren Akteur in den komplizierten Prozess der Gewebemorphogenese eingeführt“, bemerkt Dr. Barriga. „Die Frage ist nun, wie sich dies in das bereits etablierte Verständnis mechanischer und chemischer Signale während der Embryogenese einfügt.“ Über die Zell- und Embryonalentwicklung hinaus könnten ähnliche Bewegungsmechanismen auch während der Wundheilung und der Entwicklung von Krebserkrankungen bestehen. Zu verstehen, wie elektrische Felder die Zellmigration steuern, könnte potenzielle neue Strategien in der Gewebezüchtung und der regenerativen Medizin inspirieren. Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, um die Rolle elektrischer Felder im Zellverhalten tiefgreifend zu verstehen und die Kenntnis der physikalischen Zusammenhänge in lebenden Systemen zu verbessern.
Beteiligte Forscherinnen und Forscher: Fernando Ferreira, Sofia Moreira, Min Zhao, and Elias H. Barriga
Forschungsförderung: Diese Arbeit wurde durch Zuschüsse des European Research Council Starting Grant (ERC-StG) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union, Finanzhilfevereinbarung Nr. 950254 (für Elias Barriga ); The European Molecular Biology Organization (EMBO) Installation Grant, Projekt Nr. 4765 (für Elias Barriga ); EMBO Young Investigator Programm, Projekt Nr. 5248 (für Elias Barriga ); EMBO Postdoc-Stipendium, ALTF 27-2020 (für Fernando Ferreira); La Caixa Junior Leader Incoming, Nr. 94978 (für Elias Barriga ); und Fundação para a Ciência e a Tecnologia (FCT) Postdoc-Stipendium, 2020.00759.CEECIND (für Sofia Moreira). Die Forschung von Elias Barriga wurde auch vom IGC, Fundação Calouste Gulbenkian (FCG), Start-up Grant I-411133.01, und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der deutschen Exzellenzstrategie (EXC 2068, 390729961), Exzellenzcluster Physics of Life der TU Dresden unterstützt.
Originalstudie: Fernando Ferreira, Sofia Moreira, Min Zhao, and Elias H. Barriga: Stretch-induced endogenous electric fields drive directed collective cell migration in vivo. Nature Materials. DOI: 10.1038/s41563-024-02060-2.
https://www.nature.com/articles/s41563-024-02060-2
Über das Exzellenzcluster Physics of Life:
Physics of Life (PoL) ist einer von drei Exzellenzclustern an der TU Dresden. Er konzentriert sich auf die Identifizierung der physikalischen Gesetze, die der Organisation des Lebens in Molekülen, Zellen und Geweben zugrunde liegen. In dem Cluster untersuchen Wissenschaftler:innen aus Physik, Biologie und Informatik, wie sich aktive Materie in Zellen und Geweben zu bestimmten Strukturen organisiert und Leben entstehen lässt. PoL wird von der DFG im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert. Es ist eine Kooperation zwischen Forschenden der TU Dresden und Einrichtungen des DRESDEN-concept-Netzwerks, wie dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), dem Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS), dem Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) und dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).
https://www.physics-of-life.tu-dresden.de
Kontakt:
PoL Public Relations
Mail: pr.pol@tu-dresden.de
Tel.: +49 351 463-
Dr. Elias Barriga
elias.barriga@tu-dresden.de
https://www.nature.com/articles/s41563-024-02060-2 - 'Stretch-induced endogenous electric fields drive directed collective cell migration in vivo'
Die Sphären stellen Zellen dar, die in einem elektrischen Meer schwimmen
Julien Marcetteau
Barriga Lab/PoL
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology
transregional, national
Research results
German
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