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01/17/2025 14:10

Julia Wege im Interview über ihre Arbeit für die Krimifilmreihe "Polizeiruf 110"

Alec Weber Pressestelle
Hochschule Ravensburg-Weingarten

    2024 übernahm Julia Wege die Aufgabe der Fachberatung in Bezug auf das Rotlichtmilieu bei der Produktion einer Folge der Krimifilmreihe "Polizeiruf 110". Im Interview berichtet die RWU Professorin für soziale Arbeit ausführlich über ihre Arbeit in diesem Zusammenhang und den Status Quo hinsichtlich Prostitution in Deutschland.

    Julia Wege ist seit 2021 Professorin an der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege der RWU. 2024 übernahm sie die Aufgabe der Fachberatung in Bezug auf das Rotlichtmilieu bei der Produktion einer Folge der Krimifilmreihe "Polizeiruf 110".

    Alec Weber: Wie kamen Sie dazu an der Produktion einer Folge „Polizeiruf 110“ mitzuwirken und was haben Sie dort konkret gemacht?

    Professorin Dr. Julia Wege: Florian Oeller, der unter anderem Drehbücher für den Tatort und den Polizeiruf 110 schreibt, hat mich kontaktiert, weil er über das Thema Prostitution recherchierte und dabei auf meine Doktorarbeit gestoßen ist. Für diese hatte ich mit Frauen in der Prostitution Interviews geführt. Er hat mich gefragt, ob wir uns telefonisch austauschen könnten, daraus wurde ein Telefonat von zwei Stunden. Im Nachgang hat er mir den Rohentwurf seines Drehbuchs geschickt. Hier konnte ich ihm dann Hinweise und Korrekturen geben, wie es im Rotlichtmilieu abläuft.

    Wie muss man sich das konkret vorstellen?

    Ich habe einzelne Stellen im Drehbuch kommentiert und alle Anmerkungen auch mit Quellen, Studien, Zahlen belegt. Damit konnte ich dem Autor den Rücken stärken, weil vieles nicht geglaubt wird, hinsichtlich der Hintergründe im Rotlichtmilieu. Florian Oeller hat mich dann beim NDR vorgeschlagen, ob ich die Fachberatung zu dem Thema Rotlicht übernehmen könne. Im Anschluss erhielt ich den offiziellen Auftrag als Ansprechpartnerin für die Regisseurin, die Produzentin und auch für die Schauspieler*innen zu fungieren. Meine Hauptaufgabe bestand darin, eine fachliche Stellungnahme zu dem Drehbuch zu schreiben. Ich musste alle Szenen bewerten, im Hinblick auf Redewendungen und inhaltliche Details. Ist es stimmig? Ist es zu übertrieben? Ist es realistisch? Wie sind die Aussagen unter den Frauen? Ich habe die Arbeit der Produktion fast zwei Jahre lang seit 2022 unterstützt. Der Abschluss war der Dreh in Hamburg.

    Um was für fachliche Details ging es zum Beispiel bei ihrer Arbeit als Beraterin?

    Es ging darum zu überprüfen, ob zum Beispiel die Inhalte der Dialoge oder die Zusammenhänge in Bezug auf die Handlungsstruktur realistisch erscheinen. Ich habe auch oft mit der Kripo oder dem LKA Rücksprache gehalten. Zum Beispiel sind viele der Frauen von ihrem Zuhälter gebrandet. Das heißt, sie haben ein Tattoo und man erkennt, zu welchem Zuhälter die Frauen gehören. Das funktioniert wie ein Etikett, wodurch der Mensch zur Ware wird. Ich musste dann nochmal Rücksprache mit dem LKA halten, ob es zum Beispiel eine Art Tattoo-Register gibt.

    Was war ihr Highlight am Set beziehungsweise während des Drehs?

    Das Highlight am Set waren die Gespräche mit den beiden Schauspielerinnen Anneke Kim Sarnau und Lina Beckmann, die die Kommissarinnen Katrin König und Melly Böwe spielen. Sie haben erzählt, wie sie sich auf das Thema vorbereitet haben. Sie fanden es bewegend und dramatisch, sich diesem Tabuthema zu nähern. Und sie waren auch echt verärgert, weil die politischen Akteur*innen und Gesellschaft viel stärker Stellung zur Thematik beziehen müsste. Es freut mich und ich bin auch stolz drauf, dass ich angefragt wurde, mit meiner fachlichen Expertise an der Folge mitzuarbeiten.

    Können Sie sich also vorstellen, auch in Zukunft so oder in ähnlicher Funktion an Film- und Fernsehproduktionen mitzuwirken?

    Meines Erachtens ist es wichtig, sich zu gesellschaftlichen Themen auch in den Medien zu äußern und Stellung zu beziehen. In den letzten Jahren hatte ich viele Medienanfragen, insgesamt waren es über 350, auch von internationalen Medien: Aus New York kam zum Beispiel der Sender HBO nach Mannheim, wo ich die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution Amalie gegründet hatte. Aber das Thema ist sensibel, die Lebenssituationen der Frauen sehr prekär und ich wollte bei meiner damaligen Arbeit nicht jeden Tag von Kamerateams begleitet werden. Es geht darum, die Frauen zu schützen. Dennoch habe ich mir die Zeit genommen, an Dokumentationen mitzuwirken, wie zum Beispiel für ARTE oder das ZDF. Ich prüfe die Anfragen aber immer sehr genau, von wem wird das Ganze produziert und was das Ziel ist. Da gibt es große Unterschiede, ich möchte nicht an unseriösen Formaten mitwirken.

    Wie wird denn politisch und gesellschaftlich mit dem Thema umgegangen?

    Es gibt ein politisches Lager, das Prostitution als Arbeit versteht. Nach meiner Erfahrung und den Erkenntnissen von Polizeibehörden, ist die Anzahl der Frauen, die tatsächlich selbst bestimmt und freiwillig in dem Bereich arbeiten, relativ gering. Der Anteil der Frauen, die gezwungen werden und Opfer von unterschiedlichen Straftaten sind, ist relativ hoch. Diese werden aber kaum gesehen und stehen nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Diese Frauen sind teilweise dringend auf Hilfe angewiesen und die Beratungslandschaft ist sehr defizitär. Der Staat hat hier eine ambivalente Haltung, denn die Steuern im Prostitutionsgewerbe sind sehr hoch.

    Welche politischen Schritte würden Sie sich konkret wünschen?

    Ich bin schockiert, wie wenig Kenntnisse viele Politiker*innen über diesen Bereich haben. Ganz allgemein kommt mir das Thema Frauenrechte nach wie vor zu kurz. Das sieht man zum Beispiel beim Blick auf die Finanzierung der Frauenhäuser. Die Sexualstraftaten gegenüber Frauen sind seit 2019 um rund 28 Prozent gestiegen, dies zeigt das BKA Lagebild. Es geht um häusliche Gewalt, Belästigung, Vergewaltigung. Ich wünsche mir ein politisches Umdenken, dass die Situation für die Frauen allgemein verbessert werden und dass Prostitution rechtlich im Sinne des nordischen Modells behandelt wird. "Nordisches Modell" bedeutet, dass der Kauf von sexueller Dienstleistung verboten ist, aber die Frauen es anbieten dürfen. Das heißt, die Frauen werden nicht kriminalisiert, sondern die Freier. Schweden hat es bereits 1999 eingeführt, seither auch Irland, Norwegen, Israel, Frankreich, und die Länder haben damit bisher positive Erfahrungen gemacht. Der wichtigste Aspekt ist, dass es ein gesellschaftliches Umdenken gibt und es ein absolutes Tabu ist, dass sich Männer den Körper einer Frau kaufen, um sich sexuell zu befriedigen. In Deutschland gehört das zum Lifestyle vieler Männer dazu. Man darf nicht vergessen, dass die Lobby groß ist: Bordellbetreiber, die über entsprechende finanzielle Mittel verfügen. Es ist unglaublich, wie viel Geld allgemein in der Prostitution im Umlauf ist. Die Prostitution hängt zudem eng zusammen mit weiteren Kriminalitätsbereichen: Drogenhandel, Organhandel und auch Waffenhandel. Das findet alles im Rotlicht statt und ist oft miteinander verknüpft.

    Wie wird denn aktuell in Deutschland rechtlich mit Prostitution umgegangen?

    Seit 2017 haben wir das Prostituiertenschutzgesetz. Das bedeutet, Menschen in der Prostitution müssen geschützt werden. Ein wesentlicher Baustein des neuen Gesetzes ist es auch, den Menschenhandel aktiv zu bekämpfen. Die Strafen für die Täter sind verhältnismäßig gering und diese haben somit keine abschreckende Wirkung. Insofern ist es weiterhin ein krimineller Bereich, der unter dem Scheinmantel einer "normalen" Arbeit gesellschaftlich toleriert wird. Viele Frauen kommen aus ärmeren Lebensverhältnissen, haben einen Migrationshintergrund und kennen ihre Rechte auch gar nicht, weil sie zum Beispiel die Sprache nicht sprechen. Diese Hilflosigkeit wird von kriminellen Gruppierungen häufig ausgenutzt.

    Inwieweit ist es denn derzeit möglich, legal als Prostituierte in Deutschland zu arbeiten?

    Um legal in der Prostitution zu arbeiten, ist eine behördliche Anmeldung notwendig, eine Gesundheitsberatung und ein Anmelde- und Informationsgespräch. Im Anschluss erhält man eine entsprechende Bescheinigung. Diese Bescheinigungen müssen alle 6 bzw. 12 Monate aktualisiert werden. Aber auch eine Frau mit einem legalen Ausweis kann ein Opfer von Menschenhandel sein. In Deutschland arbeiten ca. 30.000 Menschen legal in der Prostitution. Es wird davon ausgegangen, dass der illegale Bereich wesentlich größer ausfällt.

    Gibt es in Deutschland in Bezug auf Prostitution auch regionale Unterschiede?

    Ja, tatsächlich gibt es große Unterschiede. Allein in der Wortwahl: Im nordischen Raum spricht man eher von Sexarbeit. Dort würde man den Begriff Prostitution eigentlich nicht verwenden und hat einen liberaleren Umgang damit. Man versteht es auch als Arbeit. In Süddeutschland ist es eher vereinzelt, dass man von Sexarbeit spricht. Zudem muss man die geografische Lage berücksichtigen, zum Beispiel Mannheim war immer ein Hotspot für Menschenhandel. Es gibt dort die Nähe zum Flughafen und es ist eine Metropolregion mit sehr viel Industrie. Die Stadt war früher ein Stützpunkt der Amerikaner. Die hatten dort ihr Headquarter, wo viele Soldaten stationiert waren. Aus der Forschung weiß man, dass dort, wo Krieg ist, die Vergewaltigungen ansteigen und auch die Prostitution stärker verbreitet ist.

    Wie sieht es außerhalb der großen Städte aus?

    Auch der ländliche Bereich ist spannend. Ich war überrascht, wie hoch die Zahlen auch hier in Oberschwaben und im Bodenseekreis sind. Viele sind der Meinung, das wäre hier kein Thema, weil es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so präsent ist. Es ist trotzdem da. Die Nähe zur Schweiz und zu Österreich, gerade dieser grenznahe Raum spielt eine große Rolle. Zudem ist Friedrichshafen eine Messestadt. Es gibt kriminelle Strukturen, die mit den Bordellen zusammenarbeiten, um die Frauen von A nach B zu fahren. Da gibt es Routen und Wege, um die Frauen durch Deutschland und Europa zu schleusen. Wir wissen auch, gerade zum Beispiel in Lörrach und Villingen-Schwenningen, dass viele Freier aus der Schweiz rüberfahren, weil es viel billiger ist. Der Schwarzwald ist stark betroffen von illegaler Prostitution. Denn Prostitution ist erst ab einer Einwohnerzahl von 35.000 Bürger*innen erlaubt. Da die Frauen dort oft nicht legal der Prostitution nachgehen dürfen, mieten sie sich dann ein Zimmer im Hotel, in einer Pension oder eine Ferienwohnung. Außerdem hat sich sehr viel ins Internet verlagert. Der Kunde von heute geht nicht mehr ins Bordell, denn die Gefahr ist groß, dass das irgendwie rauskommt. Es ist nun noch anonymer und man nimmt über bestimmte Plattformen direkt mit den Frauen Kontakt auf. Diese Entwicklung wurde auch durch Corona begünstigt, denn die Bordelle waren zwischenzeitlich geschlossen. Das heißt, die Frauen und Freier waren gezwungen, alternative Wege zu finden.

    Zum Abschluss und im Hinblick auf ihre Arbeit am Polizeiruf 110 würde ich gerne wissen, wie Sie auf den medialen Umgang mit Prostitution blicken?

    Teilweise gibt es große Unterschiede, wie Medien das Thema Prostitution aufgreifen, insofern muss es differenziert betrachtet werden. Ich wünsche mir, dass Produktionsfirmen mehr Wert auf Qualität setzen und auch Zeit für eine umfangreiche Recherche investieren. Meistens fehlt diesen dafür aber die Zeit und das Thema wird oberflächlich und einseitig dargestellt. Es gibt einige gute Sendungen, aber mein Gesamteindruck ist, dass es noch nicht vollständig gelungen ist, das Thema in die Gesellschaft zu tragen. Deswegen finde ich den Polizeiruf 110 unter dem Titel "Sie haben Namen" richtig gelungen. Florian Oeller hat umfangreich recherchiert. Ich glaube, dieser Krimi wird große Wellen schlagen. Denn das Rotlichtmilieu wird schonungslos und realitätsnah dargestellt.

    Text: Alec Weber


    Original publication:

    https://www.rwu.de/news-medien/aktuelles/pressemitteilungen/julia-wege-im-interv...


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    Schauspielerin Anneke Kim Sarnau und Professorin Julia Wege unterhalten sich am Set der Krimireihe "Polizeiruf 110".
    Schauspielerin Anneke Kim Sarnau und Professorin Julia Wege unterhalten sich am Set der Krimireihe " ...
    Christine Maisch-Bischof
    Christine Maisch-Bischof


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Students, all interested persons
    Cultural sciences, Media and communication sciences, Politics, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Transfer of Science or Research
    German


     

    Schauspielerin Anneke Kim Sarnau und Professorin Julia Wege unterhalten sich am Set der Krimireihe "Polizeiruf 110".


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