Chemisch-synthetische Pestizide werden in der konventionellen Landwirtschaft in verschiedenen Kulturen wie im Ackerbau, Gemüseanbau oder Weinbau eingesetzt. Eine aktuell im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlichte Studie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) hat die Pestizidbelastung erstmals im Jahresverlauf untersucht. Sie zeigt, dass Stoffe nicht nur während der Spritzphasen in den Feldern nachweisbar sind, sondern ganzjährig und auch auf angrenzenden Wiesen. Die Auswirkungen dieser chronisch nachgewiesenen komplexen Pestizidmischungen auf die Umwelt sind bislang nicht ausreichend untersucht und könnten erheblich sein.
In Deutschland werden auf mehr als 30 Prozent der Landesfläche Kulturpflanzen angebaut. Seit den 1970er Jahren werden in der industriellen Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln im konventionellen Anbau flächendeckend chemisch-synthetische Pestizide zur Schädlings- und Unkrautbekämpfung und Vorbeugung gegen Pilzkrankheiten eingesetzt. Diese werden mittels Sprühtechnik großflächig ausgebracht – mehrfach pro Jahr und in Kombination verschiedener Wirkstoffe. Bis heute gibt es allerdings keinen Datensatz zur Belastung der Ackerböden. Die Studie, die im Kontext des Aktionsprogramms Insektenschutz durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert wurde, nahm die Anwesenheit von Pestizidwirkstoffen über ein ganzes Jahr auf.
Weltweit erste Studie mit Messungen übers ganze Jahr
Das Forschungsteam der RPTU führte von Februar 2021 bis Februar 2022 erstmals eine Studie mit monatlicher Probenahme durch. In je drei Feldern im Acker-, Gemüse- und Weinbau und den angrenzenden Wiesen in Rheinland-Pfalz wurden Oberboden- und Vegetationsproben im Abstand von einem, fünf und zwanzig Metern Entfernung zum Feld entnommen. Mit moderner Analysetechnik, mit der selbst geringe Konzentrationen nachgewiesen werden, wurden die Proben auf 93 gängige Pestizide untersucht.
Die Ergebnisse zeigen: Pestizide sind das ganze Jahr über in Böden und Vegetation in niedrigen Konzentrationen präsent. In den Böden fanden sich im Durchschnitt zehn Pestizide. In einer Probe hat das Forschungsteam 28 Stoffe gemessen. In der Vegetation konnten die Forschenden ebenfalls Pestizidmischungen nachweisen, hier jedoch mit jahreszeitlichen Schwankungen. Der Durchschnitt lag bei sieben Pestiziden in der Vegetation, die Maximalwerte in einzelnen Proben betrugen 25 Stoffe.
„Wir konnten zeigen, dass komplexe Mischungen von Pestiziden in niedrigen Konzentrationen das ganze Jahr über präsent sind. Welche Auswirkungen diese chronische Belastung von Mischungen auf die Umwelt hat, ist weitgehend unerforscht“, betont Umweltwissenschaftlerin Carolina Honert von der RPTU.
Pestizide: Dauerhafte Präsenz in Böden und Vegetation
Chemisch-synthetische Pestizide sind so konzipiert, dass sie gezielt wirken sollen. „Dennoch greifen viele dieser Stoffe grundlegende biologische Prozesse wie die Nervenleitung, Zellteilung oder die Synthese von Proteinen an, wodurch sie wenig spezifisch sind und auch viele so genannte Nicht-Zielarten wie Schmetterlinge oder Regenwürmer schädigen“, erläutert Carsten Brühl, Ökotoxikologe an der RPTU. Diese unspezifische Wirkweise ist der Grund für die bestehende Risikobewertung für die Zulassung von Pestiziden. Allerdings werden im europäischen Zulassungsverfahren die Stoffe einzeln betrachtet und keine Mischungen bewertet. Aus Sicht der Forschenden unzureichend, denn Studien belegen den Zusammenhang zwischen Pestiziden und dem Rückgang der Artenvielfalt. Insbesondere beim Insektenrückgang in der Kulturlandschaft spielen sie eine herausragende Rolle.
Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt
„Dass es nach mehr als 50 Jahren Einsatz von Pestiziden keine Daten zur Belastung der Ackerböden gibt, erscheint um so erstaunlicher, da Pestizide Bodenlebewesen wie Regenwürmer oder Springschwänze aber auch Mikroorgansimen und damit auch die Bodenfruchtbarkeit, die es ja für nachfolgende Generationen zu erhalten gilt, nachweislich negativ beeinflussen“, so Brühl. Organismen wie Insekten leben das ganze Jahr über in und außerhalb der Felder, als Ei im Boden, als Larve oder Raupe in der Vegetation und als ausgewachsenes Insekt dann in beiden Habitaten. „Daher ist es wichtig zu wissen, inwieweit die Böden und Pflanzen im Laufe des Jahres mit Pestiziden belastet sind“, so Brühl weiter. Und nicht nur die Ackerböden sind betroffen. Auch in den umgebenden Wiesen sind im Boden und in den Pflanzen Pestizide nachweisbar, da sie mit dem Wind verdriftet werden.
Realität in der Pestizidzulassung nicht abgebildet
In der aktuellen EU-weiten Praxis der Zulassung werden Einzelstoffe geprüft, aber nicht die Wirkung der in der Umwelt tatsächlich vorkommenden Mischungen, die in Ackerböden bis zu 28 verschiedene Pestizide umfassen können. In der aktuellen Studie wurden auch Pestizide nachgewiesen, die nicht im Untersuchungsjahr ausgebracht wurden. Das deutet laut der Forschenden auf längere Abbauraten in der Umwelt hin, als durch die Risikobewertung im Rahmen der Zulassung angenommen. Hinzu kommt der Ferntransport. „In einer anderen Studie (Brühl et al. 2023) haben wir in den Alpen die Ausbreitung von Pestiziden vom Apfelanbau im Tal untersucht und konnten diese selbst in Gipfelregionen und Schutzgebieten nachweisen“ so Brühl. „Wir müssen annehmen, dass Landschaften mit Agraranteil chronisch mit Pestiziden belastet sind“.
Einhaltung globaler Pestizid-Reduktionsziele notwendig
„Die nachgewiesenen komplexen Mischungen, die in mehr als 300 verschiedenen Kombinationen vorlagen, können nicht über eine Risikobewertung abgedeckt werden“, unterstreicht Brühl. Zudem sei der Umgang mit der realen Mischungstoxizität Aufgabe des Gesetzgebers. Die Forschenden plädieren daher für die schnelle Umsetzung einer deutlichen Reduktion des Pestizideinsatzes und -risikos um 50 Prozent, wie es in weltweiten Zielen des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal für 2030 definiert wurde. Alternative Anbausysteme bestehen bereits in vielfältiger Weise, sie müssen nur breitenwirksam dargestellt und in der Fläche gefördert und umgesetzt werden.
„Wir müssen jetzt handeln“, fordert Brühl. „Denn obwohl der Rückgang der Biodiversität von politischen Entscheidungsträgern wegen geringer Attraktivität in Wahlen in den Hintergrund gedrängt wird, besteht das Problem weiterhin und wird unsere Lebensgrundlage negativ beeinflussen.“
Weitere in der Meldung genannte Studie:
Carsten A. Brühl, Nina Engelhard, Nikita Bakanov, Jakob Wolfram, Koen Hertoge & Johann G. Zaller 2023. Widespread contamination of soils and vegetation with current use pesticide residues along altitudinal gradients in a European Alpine valley. Communications Earth & Environment. https://doi.org/10.1038/s43247-024-01220-1
Kurzprofil iES, Institut für Umweltwissenschaften, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU):
Das Institut für Umweltwissenschaften iES betreibt grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung, in deren Fokus die vielfältigen Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt stehen. Das Institut vereint die Expertisen von 15 interdisziplinären Arbeitsgruppen und damit aktuelle Forschung vom Molekül über Ökosysteme bis zur menschlichen Gesellschaft. Das iES Institut für Umweltwissenschaften ist es an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) beheimatet. Die Universität in Landau und die Technische Universität Kaiserslautern bilden seit 1. Januar 2023 zusammen die RPTU. Weitere Informationen: nuw.rptu.de/institute/ies.
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften Landau
Prof. Dr. Carsten A. Brühl
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carsten.bruehl@rptu.de
Carolina Honert
+ 49 (0)6441 280-31871
carolina.honert@rptu.de
Carolina Honert, Ken Mauser, Ursel Jäger, Carsten A. Brühl. 2025. Exposure of insects to current use pesticide residues in soil and vegetation along spatial and temporal distribution in agricultural sites. Scientific Reports. https://doi.org/10.1038/s41598-024-84811-4
Kulturlandschaft in Rheinland-Pfalz.
Carsten A. Brühl
Das Forschungsteam nimmt Proben im Gemüseanbau.
Carsten A. Brühl
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
Biology, Environment / ecology, Nutrition / healthcare / nursing, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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