Beheizte Gewächshäuser in Botanischen Gärten bieten ideale Bedingungen für tropische und subtropische Insekten, Würmer und andere wirbellose Arten. Ein Senckenberg-Nachwuchsforscher hat während seines Freiwilligen Ökologischen Jahres den Nachweis für 32 nicht-heimische wirbellose Arten in 24 Gewächshäusern in Berlin und Brandenburg erbracht. Die Studie ist im Fachjournal „Contributions to Entomology“ erschienen. Darunter befinden sich acht Arten, die erstmals in der Region, in Deutschland oder in Europa dokumentiert wurden. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung weiterer Untersuchungen, insbesondere im Hinblick auf den Einfluss steigender Temperaturen und neuer Transportwege.
Tropisches Klima lässt sich in unseren Breitengraden gut in den beheizten Gewächshäusern Botanischer Gärten erleben. Für den Ausflug in eine andere Klimazone werden Erde und Pflanzenmaterial aus einer Vielzahl tropischer und subtropischer Länder importiert und Pflanzen zwischen den Gewächshäusern ausgetauscht. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Arten nicht nur eingeschleppt werden, sondern auch, dass sich diese bei den passenden klimatischen Bedingungen im Gewächshaus etablieren können. Hierdurch können völlig neue Ökosysteme entstehen“, erklärt Elias Freyhof, der gerade ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) am Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg absolviert hat und fährt fort: „Diese Arten können zu Schädlingen werden, deren Bekämpfung schwierig und kostspielig sein kann. Ihre Ansiedlung birgt zudem das Risiko, dass sie oder ihre Krankheiten sich von den Gewächshäusern auf Lebensräume im Freien ausbreiten.“
24 beheizte Gewächshäuser hat Elias Freyhof gemeinsam mit Emil Jantke, einem weiteren jungen Freiwilligen, in Berlin und Potsdam auf ihre Wirbellosenfauna untersucht – mit dem Ziel, dort lebende, nicht heimische Arten zu dokumentieren. „Wir haben jedes der Gewächshäuser manuell nach wirbellosen Tieren abgesucht. Lose Gegenstände, wie Holz und Steine, wurden umgedreht und der Boden darunter geprüft. Auch das untere Blattwerk haben wir unter die Lupe genommen. Ein besonderes Augenmerk haben wir dabei auf Ameisen gelegt, die weltweit zu den erfolgreichsten und schädlichsten Invasoren zählen. Diese lockten wir zusätzlich mit einem Köder aus Zuckerwasser oder einer Mischung aus Fischöl, Rum und Honig an.“
Die Ergebnisse überraschten: Insgesamt 32 eingeführte Arten fanden die beiden Nachwuchswissenschaftler in den untersuchten Gewächshäusern. Insekten stellten mit 14 Arten die größte taxonomische Gruppe. Sieben Arten gehören zu den Spinnentieren. Außerdem wurden sechs Schnecken-, zwei Tausendfüßer-, eine Assel-, eine Flohkrebs-, eine Landplanarien- und eine Schnurwurmart gefunden. „Darunter waren einige bemerkenswerte Arten, wie ein Zwerggeißelskorpion, eine Gewächshausschrecke und eine Termitenart mit ‚Soldaten‘, die mit ihren Köpfen die Nesteingänge versperren können. Außerdem haben wir eine invasive fleischfressende Schnurwurmart und Ameisen, die weder Arbeiterinnen, Königinnen noch Männchen sind, gefunden“, fügt Freyhof hinzu.
„Acht dieser Arten waren bislang in Berlin und Brandenburg, Deutschland oder sogar in Europa unbekannt“, ordnet Freyhof die Resultate ein. Erstmalig in Deutschland gemeldet ist nun die zwischen 3,5 und 4 Millimeter lange, ursprünglich aus Madagaskar stammende Ameisenart Technomyrmex difficilis, die „Diebesameise“ Solenopsis texana und eine unbestimmte Art der Landplanarien. Erstmalig in Berlin und Brandenburg entdeckt hat Freyhof mit seinen Untersuchungen die gelbfarbige Ameisenart Plagiolepis alluaudi, die sich aus Afrika ausgebreitet hat, sowie die ursprünglich südostasiatische Ameise Technomyrmex vitiensis. „Für die Schmetterlingsmücke Alepia cf. viatrix, die Termite Cryptotermes cavifrons und die Schnurwurmart Geonemertes pelaensis gab es vor unserer Studie sogar keinen bekannten Nachweis für Europa“, so der Müncheberger FÖJler.
Für die Bestimmung der Tiere setzten die beiden Freiwilligen auf eine mehrstufige Methodik: Die Identifizierung erfolgte zunächst mit Hilfe des Netzwerkes und Citizen-Science-Projektes iNaturalist. Mit künstlicher Intelligenz und dem gesammelten Know-How der Nutzer*innen konnten 31 von insgesamt 37 einheimischen und nicht einheimischen Arten erfolgreich bestimmt werden. Von den acht Neuzugängen hat iNaturalist fünf Arten erkannt. 20 der Arten wurden genetisch im Labor bestimmt. In 13 Fällen zog das Team für die morphologische Bestimmung zusätzlich Fachliteratur heran. 14 Arten wurden zusätzlich von weiteren Expert*innen identifiziert. Freyhof hierzu: „Das variable Zusammenspiel von KI, Community, Genetik, Morphologie und Expertenwissen ermöglichte es uns, die in den Gewächshäusern gefunden Arten zu bestimmen, die potenziell von überallher stammen könnten.“
In Deutschland sind aktuell 1.280 Arten, davon 199 Insektenarten, als gebietsfremd gelistet – alle wurden in freier Wildbahn gefunden. „Die nicht-heimischen Arten, die sich in anthropogenen Innenräumen etabliert haben, werden weitgehend ausgeblendet. Unsere vielen neuen Nachweise für Berlin, Brandenburg, Deutschland und sogar auf kontinentaler Ebene zeigen, wie wenig bislang über die Fauna von Gewächshäusern bekannt ist“, resümiert Freyhof und erklärt weiter: „Zwar ist es eher unwahrscheinlich, dass die meisten dieser tropischen Arten in Deutschland im Freien überleben. Sie könnten aber aus den Gewächshäusern in andere transportiert werden und auf diesem Weg geeignete klimatische Bedingungen erreichen. Zudem könnten steigende Temperaturen dazu führen, dass die Tiere zukünftig auch in Deutschland für sie günstigere Bedingungen vorfinden. Um Wissenslücken zu schließen, möchten wir Studierende, Bürgerwissenschaftler*innen und Expert*innen ermutigen, die Gewächshausfauna zu untersuchen und ihre Aufzeichnungen zu veröffentlichen. Als einen ersten Schritt haben wir hierfür das iNaturalist-Projekt ‚Greenhouse fauna of Europe‘ ins Leben gerufen.“
Elias Freyhof
Tel. 01590 3134278
elifreyhof@gmail.com
Prof. Dr. Thomas Schmitt
Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut Müncheberg (SDEI)
Tel. 033432 73 698 3700
thomas.schmitt@senckenberg.de
Freyhof E, Jantke E (2024): Introduced greenhouse-invertebrates in Potsdam and Berlin with a focus on ants (Hymenoptera, Formicidae) with eight new records for Europe, Germany or the Berlin-Brandenburg region. Contributions to Entomology 74(2): 235-248. https://doi.org/10.3897/contrib.entomol.74.e136784
Eine der eingewanderten „Gewächshaus-Arten“: Die „Diebesameise“ Solenopsis texana.
Elias Freyhof
Elias Freyhof
Die Soldaten der Termitenart Cryptotermes cavifrons haben einen „Stöpselkopf“ zum Verschließen des N ...
Elias Freyhof
Elias Freyhof
Criteria of this press release:
Journalists
Biology
transregional, national
Research results
German
Eine der eingewanderten „Gewächshaus-Arten“: Die „Diebesameise“ Solenopsis texana.
Elias Freyhof
Elias Freyhof
Die Soldaten der Termitenart Cryptotermes cavifrons haben einen „Stöpselkopf“ zum Verschließen des N ...
Elias Freyhof
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