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02/04/2025 14:05

Reiselust liegt nicht in den Genen | Neue Details zur jährlichen Reise des Distelfalters

Andreas Rothe Communications, Events and Science Education
Institute of Science and Technology Austria

    Distelfalter sind Weltenbummler. Jährlich schwirren die Schmetterlinge, die wir in Europa beobachten, von Afrika nach Schweden und wieder zurück, wo sie sich nördlich und südlich der Sahara niederlassen. Doch was bestimmt, warum manche Falter weite Strecken reisen, während andere nur kurze Distanzen zurücklegen? Die unterschiedlichen Reisestrategien hängen von den Umweltbedingungen ab und sind nicht wie gedacht in der DNA des Schmetterlings gespeichert. Das zeigt nun eine neue Studie von Forschenden mit Beteiligung des Institute of Science and Technology Austria (ISTA).

    Es ist Juni. Die Sonne steht hoch über dem Himmel und knallt auf die Köpfe einer Gruppe von Forschenden, die durch die Berge Kataloniens ziehen. Mit großen Sonnenhüten und kleinen Netzen sind sie auf der Spur von Distelfaltern – leuchtend orange Schmetterlinge mit einem kunstvollen schwarz-weißen Muster. Die entschlossen fliegenden Falter zu erwischen, ist aber keine einfache Aufgabe – das musste auch Evolutionsbiologin Daria Shipilina feststellen.

    Die Forscherin, die zuvor mit Pflanzen und Vögeln gearbeitet hat, versucht nun einen Schmetterling direkt aus der Luft zu fangen. Ihr Netz schwingt in alle Richtungen, aber nicht dorthin, wo es hingehört. Ein paar Falter machen endlich eine kurze Nektarpause. Die Chance für Shipilina. Ein schnelles „Rauschen“ später und schon hat sie einen im Netz. Ein toller Moment für die Biologin und ein weiterer Beweis dafür, wie widerstandsfähig und ausdauernd diese kleinen Schmetterlinge sind.

    Jedes Jahr brechen die Distelfalter nämlich zu einer beeindruckenden Reise vom Nordwesten Afrikas bis nach Schweden – und zurück – auf, um die perfekten Umweltbedingungen zu finden, die ihr Überleben sowie ihre Fortpflanzung sichern.
    Zusammen mit Citizen Science-Projekten versucht eine Gruppe von Wissenschafter:innen die Reiseroute der Schmetterlinge zu entschlüsseln. Eine neue interdisziplinäre Publikation bietet neue Erkenntnisse: Autor:innen sind neben Shipilina – früher an der Universität Uppsala und jetzt Postdoc in der Gruppe von Nicholas Barton am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) – auch Kolleg:innen von der University of Ottawa, dem CSIC-CMCNB in Barcelona, dem SOS Savane, der Polytechnic Higher School of Dakar und der Technischen Universität in Darmstadt. Die Ergebnisse wurden in PNAS Nexus publiziert.

    Kein Weg zu weit, keine Last zu schwer

    „Der Distelfalter ist eine wunderschöne und farbenprächtige Schmetterlingsart“, erklärt Shipilina. „Es ist ein wahres Spektakel, sie in großen Ansammlungen zu beobachten. Was sie aber ganz besonders macht, ist ihre unglaubliche Langstecken-Migration.“
    Jährlich legen die Schmetterlinge 10.000 km zwischen Afrika und Europa zurück. Dabei suchen sie über mehrere Generationen hinweg nach den besten Brutbedingungen für ihre Nachkommen. „Jedes Individuum reist in einem Abschnitt des jährlichen Migrationszyklus, und dessen Nachkommen setzten dann die Reise fort“, so Shipilina weiter.

    Die farbenprächtigen Insekten beginnen ihre große Reise im Frühjahr und fliegen von Nordwestafrika aus über das Mittelmeer nach Europa. Nachfolgende Generationen machen sich anschließend auf den Weg nach Großbritannien und erreichen sogar die arktische Tundra in Schweden, um dort den Sommer zu verbringen.

    Bis vor kurzem dachte man, dass die Schmetterlinge, sobald sie Schweden erreichen, aufgrund des kälteren Klimas, das dort am Ende des Sommers herrscht, verenden. Studien aus den letzten Jahren zeigten jedoch, dass die Distelfalter im Herbst in wärmere Regionen zurückkehren – sie folgen also einem zirkulären Migrationsmuster. Während einige von ihnen im Mittelmeerraum bleiben, reisen andere zurück nach Afrika und durchqueren sogar die Sahara. Aber wie kommt das? Haben sie verschiedene GPS-Systeme eingebaut?

    Da bin i her, da g´hör´ i hin

    Shipilina und ihre Kolleg:innen wollten genau dieses Phänomen verstehen. Auf Forschungsreisen in Regionen nördlich und südlich der Sahara – von Benin, Senegal und Marokko bis nach Spanien, Portugal und Malta – wurden Distelfalter gesammelt.

    Mithilfe von Isotopen-Geolokalisierung konnte die geografische Herkunft der einzelnen Schmetterlinge bestimmt werden. „Das Schlüsselprinzip dieser Methode besteht darin, dass die Zusammensetzung der stabilen Isotope von den Flügeln eines erwachsenen Schmetterlings die Isotopensignatur der Pflanzen widerspiegelt, die er als Raupe gefressen hat“, erklärt Shipilina. Isotope sind verschiedene Formen desselben Elements mit identischen chemischen Eigenschaften, aber leicht unterschiedlichen Atommassen.

    Diese Technik wurde über Jahre hinweg von der Co-Erstautorin Megan Reich und Clement Bataille von der University of Ottawa entwickelt. Dabei testeten sie verschiedenste Isotope, verfeinerten statistische Ansätze und setzten maschinelles Lernen zur Verbesserung der Genauigkeit und Auflösung ein.

    Die Analyse bestätigte das unterschiedliche Reiseverhalten der Individuen: Einige Distelfalter unternahmen eine lange Reise von Skandinavien in den Süden und durchquerten die Sahara, während andere nach einer kurzen Strecke nördlich der Wüste im Mittelmeerraum blieben.

    Liegt es in ihren Genen?

    Anschließend wurden mit einer kompletten Genom-Sequenzierung DANN-Abschnitte der Individuen verglichen. Dabei entdeckten die Forschenden, dass es keinen genetischen Unterschied zwischen Kurz- und Langstrecken-Schmetterlingen gab.

    „Dieses Ergebnis unterscheidet sich grundlegend von dem, was bei Zugvögeln beobachtet wird“, erklärt ISTA-Forscherin Shipilina. „Bei Weidenlaubsängern wurde beispielsweise festgestellt, dass eine große chromosomale Region mit unterschiedlichen Migrations-Richtungen verknüpft ist. Dies verdeutlicht, wie verschiedene Genom-Zusammensetzungen zu unterschiedlichen Phänotypen führen können.“ Außerdem konnten die Reisemuster auch nicht mit Faktoren wie dem Geschlecht, der Flügelgröße oder der Flügelform in Verbindung gebracht werden.

    Distelfalter passen sich an die Umwelt an

    Wenn es nicht an den Genen liegt, dann könnte laut den Forschenden die sogenannte phänotypische Plastizität eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Migrationsstile sein. „Die phänotypische Plastizität ist die Fähigkeit eines Organismus, seinen Phänotyp – in diesem Fall die Lang- oder Kurzstreckenreisen – als Reaktion auf Umweltbedingungen anzupassen, ohne sein genetische Make-up zu verändern“, erklärt Shipilina.

    So könnten beispielsweise die Distelfalter in Schweden im Sommer durch die rasche Umstellung der Tageslänge oder andere saisonale Einflüsse dazu veranlasst werden, ihre lange Strecke über die Sahara in den Süden zu starten. Im Gegensatz dazu nehmen die Falter in Südfrankreich, wo die Tage länger sind, diese Reize nicht wahr und fliegen daher nur kurze Strecken und verbleiben im Mittelmeerraum.

    Im Vergleich zu anderen Schmetterlingen, wie dem gut untersuchten Monarch, ist über die Migration des Distelfalters noch wenig bekannt. Gilt das hier beobachtete Muster auch für andere Distelfalter, die geographisch fast auf der ganzen Welt verbreitet sind? Ist dieses Phänomen einzigartig für Schmetterlinge, oder könnte es auch bei anderen Insekten beobachtet werden? Daria Shipilina vom ISTA und ihre Kolleg:innen wollen diese Wissenslücke unbedingt schließen – Schritt für Schritt.

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    Projektförderung:
    Daria Shipilina wurde von dem Thunberg postdoctorate fellowship program of Swedish Collegium for Advanced Science (Knut and Alice Wallenberg Foundation) unterstützt

    Information zu Tierversuchen:
    Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen geltenden gesetzlichen Richtlinien der jeweiligen Länder, in denen die Forschung durchgeführt wurde (USA, Deutschland) aufgezogen, gehalten und behandelt.


    Original publication:

    M. S. Reich, D. Shipilina, V. Talla, F. Bahleman, K. Kébé, J. L. Berger, N. Backström, G. Talavera, C. P. Bataille. 2025. Isotope geolocation and population genomics in Vanessa cardui: Short- and long-distance migrants are genetically undifferentiated. PNAS Nexus. DOI: https://academic.oup.com/pnasnexus/article-lookup/doi/10.1093/pnasnexus/pgae586


    More information:

    https://ista.ac.at/de/forschung/barton-group/ Forschungsgruppe Evolutionäre Genetik am ISTA


    Images

    Distelfalter sind die am weitesten über den Globus verbreiteten Schmetterlinge. Ihre Reise zwischen Afrika und Europa streckt sich über mehrere Generationen.
    Distelfalter sind die am weitesten über den Globus verbreiteten Schmetterlinge. Ihre Reise zwischen ...

    © Niclas Backström

    Die Natur durchforsten. Mit modernsten genetischen Methoden versucht Daria Shipilina, die genetischen Grundlagen für außergewöhnliche phänotypische Merkmale wie die Migration der Distelfalter zu verstehen. Doch zunächst muss sie die Falter einfangen.
    Die Natur durchforsten. Mit modernsten genetischen Methoden versucht Daria Shipilina, die genetische ...

    © Niclas Backström


    Attachment
    attachment icon Ein Distelfalter (Vanessa cardui) in Marokko

    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Environment / ecology, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Distelfalter sind die am weitesten über den Globus verbreiteten Schmetterlinge. Ihre Reise zwischen Afrika und Europa streckt sich über mehrere Generationen.


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    Die Natur durchforsten. Mit modernsten genetischen Methoden versucht Daria Shipilina, die genetischen Grundlagen für außergewöhnliche phänotypische Merkmale wie die Migration der Distelfalter zu verstehen. Doch zunächst muss sie die Falter einfangen.


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