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03/03/2025 10:40

Ukrainische Geflüchtete in Deutschland: Teilhabe wächst, doch viele Hürden bleiben

IAB, BAMF und DIW Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB)

    Befragung unter Geflüchteten aus der Ukraine: Fortschritte bei familiärer und schulischer Situation, Wohnbedingungen, Arbeitsmarktintegration und Deutschkenntnissen – Handlungsbedarf bei Kinderbetreuung, bedarfsgerechter Schulwahl sowie der Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland – Hohe Bildungsaspirationen und großes Erwerbspotenzial sollten stärker für den Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden

    Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 haben etwa eine Million Menschen in Deutschland Schutz gesucht, darunter überwiegend Frauen und Kinder. Seitdem befindet sich zwar die Erwerbstätigenquote im Aufwärtstrend, jedoch hemmen mangelnde Kinderbetreuungsangebote sowie Bürokratie bei der Anerkennung von Abschlüssen die Integration in den Arbeitsmarkt.

    Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommen Forschende in einem aktuellen Bericht, der Daten der repräsentativen Haushaltspanelstudie „IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten“ auswertet. Diese bildet die Grundlage für eine empirisch fundierte Analyse der Lebensrealitäten geflüchteter Ukrainer*innen in Deutschland und wird gemeinsam vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) durchgeführt. Die Befragung fand zwischen Juli 2023 und Januar 2024 statt und unterscheidet zwei Zuzugskohorten (Februar bis Mai 2022 sowie ab Juni 2022).

    Mehr Familiennachzug und stabilere Lebensverhältnisse. Kinderbetreuung bleibt jedoch eine Herausforderung

    Die Gruppe der erwachsenen ukrainischen Geflüchteten besteht weiterhin überwiegend (zu 75 Prozent) aus Frauen, allerdings hat sich der Nachzug von Männern seit 2022 leicht erhöht und damit zur Stabilisierung vieler Familien beigetragen. Inzwischen leben zwei Drittel der erwachsenen Geflüchteten in Deutschland in festen Partnerschaften, und der Anteil 20- bis 49-jähriger Frauen, die mit minderjährigen Kindern ohne einen Partner in Deutschland leben, ist von 46 im Jahr 2022 auf 20 Prozent in der zweiten Jahreshälfte 2023 gesunken. In der Gruppe der drei- bis sechsjährigen Kinder stieg die Betreuungsquote zwar auf 76 Prozent und bei den unter Dreijährigen auf 23 Prozent, jedoch liegen beide Quoten um rund 15 Prozentpunkte unter dem deutschen Durchschnitt. „Die Förderung alternativer Kinderbetreuungsmodelle könnte Barrieren abbauen und den Einstieg in den Arbeitsmarkt für viele Mütter erleichtern. Dabei könnten kooperative Betreuungsnetzwerke und ehrenamtliche Initiativen eine entscheidende Rolle spielen“, so Prof. Dr. Sabine Zinn, kommissarische Direktorin des Sozio-oekonomischen Panels und Mitherausgeberin des Berichts.

    Schulische Integration gut, jedoch nicht immer leistungsadäquat

    Der Großteil der ukrainischen Schüler*innen wird inzwischen vollständig in deutschen Regelklassen unterrichtet. Nur noch 16 Prozent der Schulkinder zwischen 7 und 17 Jahren besuchen ausschließlich Spezialklassen. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen nimmt parallel zum deutschen Schulunterricht ein Kursangebot in der Ukraine in Anspruch.

    Auffällig ist jedoch, dass ukrainische Kinder verglichen mit der Gesamtschülerschaft überproportional häufig Mittel- und Hauptschulen besuchen. Dies deutet darauf hin, dass sie nicht immer Schulen besuchen, die ihrem Leistungsniveau entsprechen. Hier besteht Handlungsbedarf, um Chancengleichheit zu gewährleisten.

    Bildungsaspirationen und Teilnahmerate an Integrationskursen hoch

    61 Prozent der Geflüchteten streben eine Berufsausbildung oder ein Studium in Deutschland an, 16 Prozent befinden sich bereits in einer Bildungsmaßnahme. Etwa ein Fünftel der Erwachsenen hat bereits einen Antrag auf Anerkennung von Abschlüssen gestellt, unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung. Jedoch geben 73 Prozent der befragten ukrainischen Geflüchteten an, dass sie mehr Informationen und Unterstützung beim Anerkennungsverfahren benötigen, insbesondere hinsichtlich finanzieller Belange, des Antragsverfahrens sowie der Beschaffung notwendiger Unterlagen. Im zweiten Halbjahr 2023 hatten 70 Prozent der Geflüchteten einen Integrationskurs absolviert oder befanden sich in einem solchen. Ihre Deutschkenntnisse haben sich deutlich verbessert: Nur noch 12 Prozent geben an, gar keine Deutschkenntnisse zu haben (gegenüber 78 Prozent zum Zeitpunkt der Einreise). 52 Prozent bewerten ihre Deutschkenntnisse als mindestens „ausreichend“. „Der Spracherwerb der ukrainischen Geflüchteten entwickelt sich auch aufgrund ihrer hohen Teilnahmerate an Integrationskursen positiv“, so Dr. Nina Rother, Leiterin des Forschungsfeldes Integration im BAMF-FZ und Mitherausgeberin des Berichts. „Für einen noch erfolgreicheren Deutscherwerb sind vor allem eine durchgängige Kinderbetreuung und insbesondere im Rahmen von Berufssprachkursen flexible Kursformate von Bedeutung.“

    Fortschritte bei der Arbeitsmarktintegration, aber Potenziale bleiben ungenutzt

    In der zweiten Jahreshälfte 2023 gingen im Durchschnitt 22 Prozent der Geflüchteten einer Erwerbstätigkeit nach. Die Erwerbsquote steigt mit zunehmender Aufenthaltsdauer: Liegt sie 13 Monate nach Ankunft noch bei 13 Prozent, steigt sie nach 22 bis 23 Monaten bereits auf 31 Prozent. Allerdings gibt es einige Entwicklungspotenziale auf dem Arbeitsmarkt. Frauen finden viel später als Männer eine Arbeitsstelle, auch wenn sich ihre Erwerbsquote zuletzt um 10 Prozent erhöht hat. Die meisten Arbeitsaufnahmen nach dem Zuzug erfolgen in Berufen wie Reinigung, Speisenzubereitung sowie Erziehung und Sozialarbeit, einschließlich der Heilerziehungspflege. 57 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer üben Tätigkeiten aus, die unterhalb des Niveaus ihrer letzten Tätigkeit im Heimatland liegen.

    Geflüchtete aus der Ukraine bringen ein hohes (Aus-)Bildungsniveau mit, das bislang noch nicht ausreichend für den deutschen Arbeitsmarkt nutzbar gemacht wird: Rund 75 Prozent haben einen beruflichen oder einen Hochschulabschluss und fast 90 Prozent umfangreiche Berufserfahrungen. Viele Geflüchtete bringen außerdem Qualifikationen mit, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders gefragt sind, beispielsweise im Gesundheits- und Bildungssektor. Eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration könnte somit helfen, dem Fachkräftemangel in Deutschland zu entgegnen und würde für mehr (Planungs-)Sicherheit bei den Geflüchteten sorgen. Deren Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit ist sehr hoch: 94 Prozent der noch nicht Erwerbstätigen möchten einer Erwerbstätigkeit nachgehen. „Flexible Arbeitszeitangebote, Unterstützung beim Spracherwerb, frühzeitige Arbeitsmarkt- und Berufsberatung und die Ausweitung von Kinderbetreuungsangeboten könnten die Integration ukrainischer Geflüchteter in den deutschen Arbeitsmarkt beschleunigen. Ein weiterer Baustein ist der Bürokratieabbau bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und entsprechende Unterstützung bei der Informationsbeschaffung“, so Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Leiterin des Bereichs Migration, Integration und Internationale Arbeitsmarktforschung am IAB und Mitherausgeberin des Berichts.

    Über die Hälfte wollen bleiben, Großteil hat privaten Wohnraum bezogen

    59 Prozent der Geflüchteten aus der ersten Zuzugskohorte planen, langfristig in Deutschland zu bleiben; bei später Zugezogenen sind es sogar 69 Prozent. Rückkehrpläne hängen unter anderem stark von der wirtschaftlichen Lage in der Ukraine (60 Prozent) ab. Dies unterstreicht aus Sicht der Autor*innen die Bedeutung von Planungssicherheit für Investitionen in die eigene berufliche Integration. Die Mehrheit der Geflüchteten wohnt in der zweiten Jahreshälfte 2023 in privaten Wohnungen und Häusern. Später Zugezogene haben es schwerer, eine eigene Wohnung zu finden, ebenso Alleinstehende, Geflüchtete mit niedrigerem oder mittlerem Bildungsabschluss und solche ohne Kontakt zu Deutschen.

    Psychische Belastungen hoch

    Geflüchtete aus der Ukraine sind stärker von psychischen Belastungen betroffen als die Gesamtbevölkerung in Deutschland: 19,4 Prozent berichten von depressiven Symptomen, 14,2 Prozent von Symptomen einer Angststörung. Die Unterstützung niedrigschwelliger psychotherapeutischer Angebote und die Stärkung psychosozialer Beratung für Geflüchtete ist daher empfehlenswert.

    Der Bericht erscheint inhaltsgleich als IAB-Forschungsbericht, BAMF-Forschungsbericht sowie in der Reihe „Politikberatung kompakt“ des DIW Berlin:

    https://doku.iab.de/forschungsbericht/2025/fb0525.pdf

    https://www.bamf.de/fb51-ukr-gefluechtete

    https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.937890.de/diwkompakt_2025...


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Economics / business administration, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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