Kultur und Kontext beeinflussen den Übergang ins Erwachsenenalter und die damit verbundenen Erwartungen. Eine neue Studie der Universität Zürich zeigt, dass dieser Übergang in Afrika südlich der Sahara stärker gemeinschaftlich und weniger individualistisch verläuft als in westlichen Ländern.
Der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter, die so genannte Adoleszenz, wurde überwiegend in Europa und Nordamerika erforscht. Daher ist oft unklar, welche Erkenntnisse universell gültig und welche stark vom westlichen Kontext geprägt sind. Eine neue Studie der Universität Zürich untersucht diesen Lebensabschnitt nun in Namibia. Das Forschungsteam befragte rund fünfzig Angehörige des Ovambo-Volkes, der grössten ethnischen Gruppe Namibias, die hauptsächlich in den nördlichen Regionen des Landes lebt. Die Teilnehmenden waren zwischen 18 und 25 Jahre alt.
Die Adoleszenz spiegelt wider, welche Erwartungen eine Gesellschaft an erwachsene Menschen stellt. In westlichen Ländern gilt das frühe Erwachsenenalter oft als Phase des individuellen Ausprobierens und der zögerlichen Übernahme von Verantwortung. «In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara hingegen sind gemeinschaftliche Werte, gegenseitige Verantwortung und Abhängigkeiten eng mit der individuellen Selbsterkundung verknüpft. Das prägt das Verständnis von Erwachsensein», sagt Selma Uugwanga vom Psychologischen Institut der Universität Zürich.
Weltweit jüngste Bevölkerung
Das frühe Erwachsenenalter ist eine sensible Phase, in der psychische Störungen häufiger auftreten und sowohl Erfolge als auch Unterstützung die Zukunft eines Menschen prägen. «Gerade in der Subsahara-Region ist dieses Thema besonders relevant, denn mit 70 Prozent unter 30-Jährigen hat sie die weltweit jüngste Bevölkerung», erklärt die Erstautorin.
In der Subsahara leben ausserdem mehr Menschen als in allen westlichen Ländern zusammen. Ein Grossteil der sozialen und wirtschaftlichen Zukunft der Region hängt daher von der Entwicklung und dem Wohlergehen dieser Generation ab.
Familie spielt wichtige Rolle
Im Gegensatz zu der eher egozentrisch geprägten Übergangsphase in industrialisierten Ländern stellten die Forschenden bei den 18- bis 25-jährigen Ovambo einen anderen Fokus fest: Die individuelle Selbstbestimmung bei der Bildungs- und Berufswahl soll anderen Zielen dienen. Die Familie ist für die Identität der Ovambo sehr prägend und in ganz Afrika mit einer langen Tradition verbunden. So helfen beispielsweise ältere Kinder bei der Betreuung ihrer jüngeren Geschwister, was zu einer frühen Anerkennung ihrer Kompetenz führt.
«Die Anerkennung als Erwachsener basiert auf traditionellen Geschlechterrollen, der Übernahme geburtsbedingter Pflichten, der Fähigkeit, für andere zu sorgen, sowie auf psychologischer Reife. Sie geht mit Demut und Respekt gegenüber der Weisheit der Älteren einher», erklärt Uugwanga.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Traditionelle Geschlechterrollen sind bei den Ovambo nach wie vor sehr präsent. Frauen übernehmen oft früh Betreuungsaufgaben, was dazu führt, dass sie früher als Erwachsene wahrgenommen werden. Sie werden von ihren Familien auch mehr beschützt und unterstützt. Männer haben mehr Autonomie, werden aber auch an der Erwartung gemessen, finanziell zum Familienunterhalt beizutragen noch bevor sie als Erwachsene voll anerkannt werden.
Beide Geschlechter identifizieren die Bildung und berufliche Entwicklung als Übergangsphase, die ihnen hilft, bessere Chancen zur Unterstützung ihre Familien und der Gemeinschaften zu erhalten. Dies gilt vor allem für Frauen, deren schützende Älteste ihnen mehr Unabhängigkeit in der Bildung gewähren. Insgesamt nimmt die Gleichstellung der Geschlechter in der Erwerbsbevölkerung von Namibia zu: 56 Prozent der Frauen und 64 Prozent der Männer arbeiten, was in etwa dem Durchschnitt der Länder mit mittlerem Einkommen entspricht (Quelle: The World Bank Gender Data Portal, 2023).
Arbeitslosigkeit als Hindernis
Die Studie zeigt, dass Bildung und berufliche Entwicklung für afrikanische junge Erwachsene zentral sind. Sie wollen ihre Fähigkeiten weiterentwickeln, sich um andere kümmern und eine Führungsrolle in ihren Gemeinschaften übernehmen. Hohe Arbeitslosenquoten, wirtschaftliche Ungleichheit und die Erwartung, schon in jungen Jahren Verwandte zu unterstützen, bilden jedoch Hindernisse. Der Einzelne hat zwar den Wunsch, die Erwartungen der Gemeinschaft zu erfüllen, aber aufgrund der Arbeitslosigkeit verdient er kaum genug, um für andere zu sorgen, geschweige denn für sich selbst.
«Der Mangel an stabilen Arbeitsplätzen führt dazu, dass selbst diejenigen, die ihre Ausbildung abschliessen, erst mit Verzögerung den Status eines vollwertigen Erwachsenen erreichen. Dennoch zeigt unsere Studie, dass afrikanische junge Erwachsene inmitten dieser Widrigkeiten Widerstandskraft zeigen, da sie durch die Unterstützung ihrer Familie und Gemeinschaften zu gedeihen scheinen», betont Uugwanga.
Tradition und Wandel vereinen
Die Forschenden fordern daher Initiativen, die wirtschaftliche Chancen für Jugendliche schaffen und zugleich die kulturellen Werte der gemeinschaftlichen Verantwortung wahren. Sie plädieren für gemeinschaftsbasierte Ansätze zur Förderung des Wohlergehens dieser Altersgruppe. Angesichts der fortschreitenden Globalisierung Afrikas wird es entscheidend sein, Tradition und Wandel in Einklang zu bringen, um eine Generation mündiger und sozial verantwortlicher Erwachsener heranzubilden.
Literatur
Selma N. Uugwanga et al. Becoming an Ovambo Adult: Growing Into Agentic Communalism in Sub-Saharan Africa. Psychological Science, 10 February 2025. Doi: 10.1177/09567976241311920
Kontakt
Selma Uugwanga
Psychologisches Institut
Universität Zürich
+41 78 256 27 76
E-Mail: selma.uugwanga@psychologie.uzh.ch
Selma Uugwanga
Psychologisches Institut
Universität Zürich
+41 78 256 27 76
E-Mail: selma.uugwanga@psychologie.uzh.ch
Selma N. Uugwanga et al. Becoming an Ovambo Adult: Growing Into Agentic Communalism in Sub-Saharan Africa. Psychological Science, 10 February 2025. Doi: 10.1177/09567976241311920
Criteria of this press release:
Journalists
Cultural sciences, Psychology, Social studies
transregional, national
Research results
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).