Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie haben die erste detaillierte 3D-Karte der Eigenschaften von kosmischem Staub in unserer Heimatgalaxie erstellt. Sie verwendeten dafür 130 Millionen Spektren der ESA-Mission Gaia, Ergebnisse der LAMOST-Durchmusterung und maschinelles Lernen. Staub lässt weit entfernte astronomische Objekte rötlicher und leuchtschwächer erscheinen, als sie es in Wirklichkeit sind. Eine Karte wie diese hilft Astronom*innen daher, ihre Beobachtungen ganz allgemein besser zu verstehen. Auch zu den Eigenschaften des Staubs selbst hat die Studie neue Ergebnisse geliefert, die jetzt weitere Forschung erforderlich machen.
Wenn Astronom*innen ferne Himmelsobjekte beobachten, gibt es einen möglichen Haken: Ist der Stern, den ich beobachte, wirklich so rötlich, wie er erscheint? Oder sieht er nur deswegen so rötlich aus, weil sein Licht durch eine Wolke kosmischen Staubs reisen musste, um mein Teleskop zu erreichen? Für genaue Beobachtungen müssen die Astronomen wissen, wie viel Staub sich zwischen ihnen und ihren fernen Zielen befindet. Staub lässt Objekte nicht nur rötlich erscheinen („Rötung“), sondern lässt sie auch leuchtschwächer erscheinen, als sie tatsächlich sind („Auslöschung“). Unser Blick auf ferne Objekte fällt quasi durch ein schmutziges Fenster. Jetzt haben zwei Astronomen eine 3D-Karte erstellt, die die Eigenschaften von Staub in unserer kosmischen Umgebung so detailliert dokumentiert wie nie zuvor. Damit lassen sich die Staub-Effekte bei der Interpretation von Beobachtungen angemessen berücksichtigen.
Hintergrund ist, dass die Betrachtung von Sternen glücklicherweise eine Möglichkeit liefert, die Wirkung von Staub zu rekonstruieren. Kosmische Staubteilchen absorbieren und streuen das Licht nicht gleichmäßig über alle Wellenlängen hinweg. Stattdessen absorbieren sie Licht stärker bei kürzeren Wellenlängen (zum blauen Ende des Spektrums hin) und weniger stark bei längeren Wellenlängen (zum roten Ende hin). Die Wellenlängenabhängigkeit kann als „Extinktionskurve“ aufgezeichnet werden. Die Form jener Kurve gibt nicht nur Aufschluss über die Zusammensetzung des Staubs, sondern auch über seine lokale Umgebung, z. B. über die Menge und die Eigenschaften der Strahlung in den verschiedenen Regionen des interstellaren Raums.
Informationen aus 130 Millionen Spektren
Diese Art von Informationen nutzten Xiangyu Zhang, Doktorand am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), und Gregory Green, Leiter einer unabhängigen Forschungsgruppe (Sofja-Kovalevskaja-Gruppe) am MPIA und Zhangs Doktorvater, um die bisher detaillierteste 3D-Karte der Eigenschaften des Staubs in der Milchstraße zu erstellen. Konkret griffen Zhang und Green auf Daten der ESA-Mission Gaia zurück, die über die letzten 10 Jahre hinweg extrem genaue Messungen der Positionen, Bewegungen und weiterer Eigenschaften von mehr als einer Milliarde Sternen in unserer Milchstraße und in unseren nächsten galaktischen Nachbarn, den Magellanschen Wolken, vorgenommen hat.
Die dritte Datenveröffentlichung (DR3) der Gaia-Mission, die im Juni 2022 veröffentlicht wurde, stellt außerdem 220 Millionen Spektren zur Verfügung. Nach einer Qualitätsprüfung fanden Zhang und Green, dass rund 130 Millionen der Spektren sich für ihre Untersuchungen von Staub in der Milchstraße eigneten.
Die Gaia-Spektren sind niedrig aufgelöst, d. h., die Art und Weise, wie sie das Licht in verschiedene Wellenlängenbereiche aufteilen, ist vergleichsweise grob. Die beiden Astronomen fanden aber einen Weg, diese Einschränkung zu umgehen: Für 1 % der von ihnen ausgewählten Sterne gibt es hochauflösende Spektren aus der LAMOST-Durchmusterung der chinesischen Nationalobservatorien. Die liefern zuverlässige Informationen über die grundlegenden Eigenschaften der betreffenden Sterne, wie z. B. ihre Oberflächentemperaturen, die den so genannten „Spektraltyp“ eines Sterns bestimmen.
Eine 3D-Karte der Staubeigenschaften
Zhang und Green trainierten dann ein neuronales Netz darauf, für unterschiedliche Sterneigenschaften und unterschiedliche Eigenschaften des Staubs realistische Modellspektren zu erzeugen. Diese Beispielspektren verglichen sie mit den 130 Millionen Gaia-Spektren. Daraus konnten sie mit Hilfe geeigneter statistischer Verfahren erschließen, welche Eigenschaften der kosmische Staub zwischen uns und jenen 130 Millionen Sternen hat.
Aus den Ergebnissen konnten die Astronomen die erste detaillierte, dreidimensionale Karte der Extinktionskurve von Staub in der Milchstraße rekonstruieren. Das war nur aufgrund der Vielzahl der verfügbaren Sternspektren: 130 Millionen, im Vergleich zu früheren Arbeiten, die auf rund einer Million Spektren basierten.
Aber Staub ist in der Astronomie viel mehr als nur ein Ärgernis. Er spielt eine wichtige Rolle für die Sternentstehung. Die nämlich findet in riesigen Gaswolken statt, welche durch ihren Staub von der Umgebungsstrahlung abgeschirmt werden. Neugeborene Sterne sind von Scheiben aus Gas und Staub umgeben, die die Geburtsstätten von Planeten sind. Die Staubkörner selbst sind die Bausteine, aus denen schließlich die festen Körper von Planeten wie unserer Erde entstehen. Tatsächlich sind im interstellaren Medium unserer Galaxie die meisten Elemente, die schwerer als Wasserstoff und Helium sind, in interstellaren Staubkörnern eingeschlossen.
Unerwartete Eigenschaften des kosmischen Staubs
Die neuen Ergebnisse liefern nicht nur eine genaue 3D-Karte. Sie haben auch eine überraschende Eigenschaft interstellarer Staubwolken ans Licht gebracht. Bis dahin hatte man erwartet, dass die Extinktionskurve für Regionen mit höherer Staubdichte flacher (sprich: weniger stark von der Wellenlänge abhängig) werden sollte. „Höhere Dichte“ bedeutet in diesem Fall immer noch sehr wenig an Material: etwa zehn Milliardstel Milliardstel Gramm Staub pro Kubikmeter, was gerade einmal 10 kg Staub in einer Kugel mit dem Radius der Erde entspricht. Aber bereits in solchen Regionen etwas erhöhter Dichte neigen die Staubkörner dazu, größer zu werden, und das verändert die Absorptionseigenschaften jener Regionen insgesamt.
Die jetzt veröffentlichte Studie zeigt allerdings etwas anderes: ihr zufolge wird die Extinktionskurve in Gebieten mit mittlerer Dichte im Gegenteil steiler. Dort wird also bei kleineren Wellenlängen zunehmend effektiver absorbiert als bei längeren. Zhang und Green vermuten, dass die unerwartet starke Wellenlängenabhängigkeit durch eine Sorte von Molekülen namens polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) verursacht werden könnte, den häufigsten Kohlenwasserstoffen im interstellaren Medium, die möglicherweise sogar bei der Entstehung des Lebens eine Rolle gespielt haben könnten. Weitere Beobachtungen, um diese Hypothese zu prüfen, haben die beiden bereits geplant.
Hintergrundinformationen
Die hier vorgestellten Ergebnisse wurden veröffentlicht unter dem Titel „Three-dimensional maps of the interstellar dust extinction curve within the Milky Way galaxy“ von Xiangyu Zhang und Gregory M. Green in der Zeitschrift Science. Beide Autoren arbeiten am Max-Planck-Institut für Astronomie.
Medienkontakt
Markus Pössel
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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E-Mail: pr@mpia.de
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Gregory Green
Sofia Kovalevskaja Group Leader
Max-Planck-Institut für Astronomie
Heidelberg, Deutschland
Tel. +49 6221 528-460
E-Mail: green@mpia.de
Xiangyu Zhang und Gregory M. Green, „Three-dimensional maps of the interstellar dust extinction curve within the Milky Way galaxy“, Science (2025). DOI: 10.1126/science.ado9787
Vorabversion erhältlich unter: https://www.eurekalert.org/press/scipak/
https://www.mpia.de/aktuelles/wissenschaft/2025-02-3d-dust-green - Originalpressemitteilung des MPIA
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Physics / astronomy
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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