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03/24/2025 11:43

Reihenfolge entschlüsselt, in der Neuronen feuern

Dr. Inka Väth Kommunikation und Medien
Universitätsklinikum Bonn

    Wie behält das Gehirn die Abfolge von Ereignissen im Gedächtnis? Das wollten Forschende vom Universitätsklinikum Bonn (UKB), der Universität Bonn, dem Universitätsklinikum Tübingen und der Universität Tübingen herausfinden. Sie konnten durch eine besondere Messmethode mit implantierten Elektroden im menschlichen Gehirn zum ersten Mal eine gängige Theorie zu Gedächtnisprozessen prüfen. Das Antwortmuster der Nervenzellen erfolgt dabei nicht so, wie in der Theorie vermutet. Die Ergebnisse sind jetzt im renommierten Fachjournal „Nature Neuroscience“ erschienen.

    Wenn man kurz hintereinander vier Bilder gezeigt bekommt und sich die Reihenfolge dieser merken müsste, um sie anschließend wiederzuerkennen – Wie behält das Gehirn dann die Reihenfolge im Gedächtnis? Naheliegend wäre, dass die Neuronen im Gehirn nacheinander feuern, so wie die Bilder auch gesehen wurden. Das war lange auch die gängige Theorie in der Neurowissenschaft.

    Ein Forschungsteam um Prof. Florian Mormann von der Klinik für Epileptologie am UKB, der auch ein Mitglied in dem Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn ist, hat diese Theorie untersucht, indem es eine Besonderheit der Therapie von Epilepsie am UKB genutzt hat. Menschen mit besonders schwer behandelbarer Epilepsie werden dort zur Behandlung Elektroden im Gehirn implantiert. Damit soll der Ursprung der epileptischen Anfälle genau bestimmt werden, um bessere chirurgische Ergebnisse zu erzielen. Durch diese implantierten Elektroden kann aber auch die menschliche Gehirnaktivität von einzelnen Zellen aufgezeichnet werden. „Wir haben das Glück, einen so außergewöhnlich seltenen Datensatz von Einzelzellaufzeichnungen verwenden zu können. So eine genaue Messung ist in anderen Versuchen nicht der Fall. Deshalb war zuvor eine Überprüfung der Theorie nicht möglich“, sagt Prof. Mormann, Letztautor der Studie und Leiter des Labors für Kognitive und Klinische Neurophysiologie.

    In der Studie lösten die Teilnehmenden mit Epilepsie eine Merkaufgabe, während ihre Neuronenaktivität gemessen wurde. Während der Aufzeichnung sollten sie die Reihenfolge von Bildern, die ihnen auf einem Bildschirm gezeigt wurden, im Gedächtnis behalten und anschließend wiedererkennen.

    Ergebnisse mit Hilfe von KI-Methoden weiter untersucht

    Anders als zuvor gedacht ist es so, dass die genaue Abfolge der Zellantworten im Gehirn nicht mit der Abfolge der Ereignisse übereinstimmt. „Zunächst war das Ergebnis auch für uns überraschend, denn schließlich widersprachen unsere Daten einer sehr klassischen und bekannten Theorie darüber wie das Gehirn sich eine Reihenfolge von Ereignissen merkt“, berichtet Dr. Stefanie Liebe, Erstautorin der Studie und ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Mormann. Jetzt ist sie als Wissenschaftlerin und Ärztin in Weiterbildung in der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt für Epileptologie des Universitätsklinikums Tübingen tätig.

    Um den Ergebnissen auf den Grund zu gehen, kooperierten sie mit Matthijs Pals und Jakob Macke vom Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen: Neue Perspektiven für die Wissenschaft“ der Universität Tübingen. Mit Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) trainierten sie ein im Computer nachgebautes neuronales Netzwerk in den gleichen Gedächtnisaufgaben, die auch die Menschen durchführen sollten. „Um die Aufgabe erfolgreich zu meistern, zeigte das Computer-Modell interessanterweise hierbei ähnliche Aktivitätsmuster wie die von uns aufgezeichnete Gehirnaktivität“, erklärt Dr. Liebe.

    Durch die Modellsimulation entdeckten die Forschenden zusätzlich einen alternativen Mechanismus der Erinnerung von Reihenfolgen, der aus einem zeitlich-dynamischen Zusammenspiel der Bildpräsentationen, ablaufenden Hirnschwingungen und Signalen von einzelnen Zellen entsteht. „Mit dem Computer-Modell konnten wir weitere Hypothesen generieren und überprüfen. Jetzt haben wir ein neuartiges Verständnis darüber, wie Erinnerungen im Gehirn organisiert werden“, sagt Prof. Macke. „Unsere Studie zeigt somit auch das enorme Potential der Kombination aus neuronalen Aufzeichnungen und KI auf, um komplexe Gehirnfunktionen im Menschen zu erforschen.“

    Beteiligte Institutionen und Förderung:
    Die Studie wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG); die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder; die Volkswagenstiftung; NRW-Netzwerkprogramm und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), und dem Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen: Neue Perspektiven für die Wissenschaft“ der Universität Tübingen.

    Publikation: Stefanie Liebe et al.: “Phase of firing does not reflect temporal order in sequence memory of humans and recurrent neural networks”; Nature Neuroscience; DOI: https://doi.org/10.1038/s41593-025-01893-7

    Pressekontakt:
    Dr. Inka Väth
    stellv. Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
    Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
    Telefon: (+49) 228 287-10596
    E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de

    Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Dr. Florian Mormann
    Kognitive und Klinische Neurophysiologie
    Klinik für Epileptologie
    Universitätsklinikum Bonn
    TRA „Life & Health“, Universität Bonn
    Tel: +49 228 287 15738
    E-Mail: florian.mormann@ukbonn.de


    Original publication:

    Stefanie Liebe et al.: “Phase of firing does not reflect temporal order in sequence memory of humans and recurrent neural networks”; Nature Neuroscience; DOI: 10.1038/s41593-025-01893-7


    More information:

    https://doi.org/10.1038/s41593-025-01893-7 Publikation


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    (v. li.) Prof. Florian Mormann und Dr. Stefanie Liebe prüfen etablierte Theorie der Verarbeitung von Reizen in Nervenzellen beim Erinnern.
    (v. li.) Prof. Florian Mormann und Dr. Stefanie Liebe prüfen etablierte Theorie der Verarbeitung von ...
    Dr. Inka Väth
    Universitätsklinikum Bonn


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    (v. li.) Prof. Florian Mormann und Dr. Stefanie Liebe prüfen etablierte Theorie der Verarbeitung von Reizen in Nervenzellen beim Erinnern.


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