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04/10/2025 12:00

Nachweis von neuralen Stammzellen außerhalb des Gehirns: Ein Durchbruch für die regenerative Medizin

Dr. Jeanine Müller-Keuker Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin

    Jahrzehntelang ging die Wissenschaft davon aus, dass neurale Stammzellen (NSCs) nur im Gehirn und im Rückenmark vorkommen. Eine bahnbrechende internationale Studie, geleitet von Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, widerlegt nun diese Annahme und entdeckt einen neuen Typ neuraler Stammzellen außerhalb des Zentralen Nervensystems (ZNS) , der enorme Möglichkeiten für die Entwicklung von Therapien neurologischer Krankheiten eröffnet.

    Im Jahr 2014 erschien in Nature ein Artikel mit dem Titel “Stimulus-triggered fate conversion of somatic cells into pluripotency”. Diese Veröffentlichung sorgte zunächst für großes Aufsehen, da sie einen einfachen Weg zur Gewinnung pluripotenter Stammzellen eröffnete. Die Induktion pluripotenter Stammzellen ganz ohne virale Vektoren, wie es Shinya Yamanaka gelang und wofür er den Nobelpreis erhalten hatte, wäre einfach zu schön gewesen. Obwohl das Labor von Hans Schöler am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, wie viele andere auch, versuchte, das Experiment zu wiederholen, das den ‘stimulus-triggered acquisition of pluripotency’ (STAP) auf der Grundlage einer Behandlung somatischer Zellen mit niedrigem pH-Wert beschrieb, schlug die Gewinnung pluripotenter Zellen fehl – unabhängig von den verwendeten Kulturbedingungen und Geweben. Schließlich wurde die entsprechende Arbeit einige Monate nach ihrer Veröffentlichung zurückgezogen (https://www.nature.com/news/stap-retracted-1.15488).

    Zur Überraschung von Dong Han und Hans Schöler gelang es ihnen jedoch, mit der STAP-Methode eine seltene Zellpopulation aus der Peripherie des Zentralnervensystems zu gewinnen, die Eigenschaften von neuralen Stammzellen (NSCs) aufweist. Diese NSCs, die als periphere neurale Stammzellen (pNSCs) bezeichnet werden, wurden in mehreren Geweben der Maus, einschließlich Lunge und Schwanz, gefunden. Nachdem die NSC-Population identifiziert worden war, wurde klar, dass eine Behandlung mit niedrigem pH-Wert nicht notwendig war, um sie zu kultivieren.

    Ein Forscherteam aus mehr als zehn Labors in Europa, Asien und Nordamerika untersuchte diese neu identifizierten pNSCs dann sehr detailliert: pNSCs teilen wichtige molekulare und funktionelle Merkmale mit den NSCs des Gehirns. pNSCs weisen die gleiche Zellmorphologie, Selbsterneuerungs- und Differenzierungskapazität wie NSCs des Gehirns auf. Sie exprimieren mehrere NSC-spezifische Marker und weisen genomweite transkriptionelle und epigenetische Profile auf, die mit denen von NSCs im Gehirn übereinstimmen. Darüber hinaus können sich viele pNSCs, die aus dem Neuralrohr auswandern, während der embryonalen und postnatalen Entwicklung in reife Neuronen und in begrenztem Umfang zu Gliazellen differenzieren.

    Die Entdeckung der pNSCs eröffnet nicht nur neue Einblicke in die Entwicklung des Nervensystems von Säugetieren. Ihre Existenz stellt auch eine langjährige Hypothese der Neurowissenschaften in Frage und eröffnet, da sie in der Petrischale in beträchtlichen Mengen vermehrt werden können, neue Möglichkeiten für die regenerative Medizin. Außerdem ist die Gewinnung von NSCs aus dem Gehirn keine bevorzugte Methode. Dagegen scheint die Gewinnung von NSCs aus anderen Organen oder Geweben ein gangbarer und praktikabler Ansatz zu sein.

    Hans Schöler, der Hauptautor der Studie, blickt auf den langen Weg zurück, der zu dieser Entdeckung geführt hat:
    "Dies war das am längsten laufende Projekt in meiner Laufbahn. Ursprünglich wollten wir die vor mehr als 10 Jahren in Nature veröffentlichten STAP-Ergebnisse wiederholen, nämlich die Induktion pluripotenter Stammzellen durch einen niedrigen pH-Wert. Wie anderen Labors auch ist uns dies nicht gelungen. Aber glücklicherweise waren unsere Versuche nicht vergeblich: Wir haben bisher unentdeckte periphere neurale Stammzellen gefunden. Damit haben wir das lange Zeit vertretene Dogma in Frage gestellt, dass neurale Stammzellen außerhalb des zentralen Nervensystems nicht existieren.”

    Dong Han, der leitende Forscher der Studie, der die meisten der Experimente in dieser Arbeit als Mitglied von Schölers Labor durchführte, betonte die möglichen Auswirkungen dieses Ergebnisses:
    “Wenn diese Zellen beim Menschen existieren und sich unbegrenzt vermehren lassen, wie es bei Mäusen der Fall ist, könnten sie ein enormes therapeutisches Potenzial haben. Dies ist besonders aufregend, weil zugängliche periphere neurale Stammzellen einen neuen Weg für die neurale Reparatur und Regeneration eröffnen könnten, der viele der Probleme umgeht, die mit der Gewinnung von Stammzellen aus dem zentralen Nervensystem verbunden sind."

    Die Entdeckung von pNSCs außerhalb des ZNS deutet auf eine bisher nicht erkannte Ebene der zellulären Plastizität innerhalb des Nervensystems hin. Im Gegensatz zu den aus der Neuralleiste stammenden Stammzellen, die nur eine begrenzte Selbsterneuerungskapazität haben, ähneln pNSCs den aus dem Gehirn stammenden NSCs sehr und zeigen die Fähigkeit, die Neurogenese über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.

    Hans Schöler betonte die entscheidende Rolle der interdisziplinären Zusammenarbeit, durch die diese Entdeckung erst möglich wurde:
    "Wir haben viele Labors mit unterschiedlichen Fachgebieten einbezogen, um sicherzustellen, dass diese Studie wasserdicht ist. Die Kombination aus genetischer Abstammungsanalyse, Einzelzellanalyse und funktionellen Tests in vivo liefert überzeugende Beweise dafür, dass diese peripheren neuralen Stammzellen ein echter und bisher unerkannter Bestandteil des Nervensystems von Säugetieren sind.”

    Mögliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Medizin

    Die Fähigkeit, pNSCs nutzbar zu machen, könnte weitreichende Auswirkungen auf die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen und auf Strategien zur Reparatur von Nervenzellen haben. Wenn pNSCs beim Menschen vorkommen, könnten sie eine leicht zugängliche Quelle für neurale Stammzellen darstellen, die in Zukunft für die Behandlung von Krankheiten wie Parkinson, Rückenmarksverletzungen und anderen neurodegenerativen Störungen eingesetzt werden könnten. Künftige Studien werden darauf abzielen, die Existenz von pNSCs beim Menschen festzustellen und ihr volles therapeutisches Potenzial erforschen.

    Die in der Fachzeitschrift Nature Cell Biology veröffentlichten Ergebnisse ebnen somit den Weg für die weitere Erforschung der Rolle der pNSCs in der menschlichen Biologie und ihrer möglichen Anwendung bei der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen und in regenerativen Therapien.


    Contact for scientific information:

    Hans R. Schöler
    office-schoeler@mpi-muenster.mpg.de


    Original publication:

    Multipotent neural stem cells originating from neuroepithelium exist outside of the mouse central nervous system.
    Dong Han, Wan Xu, Hyun-Woo Jeong, Hongryeol Park, Kathrin Weyer, Yaroslav Tsytsyura, Martin Stehling, Guangming Wu, Guocheng Lan, Kee-Pyo Kim, Henrik Renner, Dong Wook Han, Yicong Chen, Daniela Gerovska, Marcos J. Araúzo-Bravo, Jürgen Klingauf, Jens Christian Schwamborn, Ralf H. Adams, Pentao Liu, Hans R. Schöler
    Nature Cell Biology, published online April 10, 2025


    More information:

    https://www.mpi-muenster.mpg.de/pressemitteilung/periphere-neurale-stammzellen


    Images

    Identifizierung von pNSCs in der Mauslunge: A) pNSCs kleiden die Bronchien in postnatalen und adulten Lungen aus, markiert durch Sox1 und Sox2. B) Sie sind isolierbar und über 50 Passagen in vitro kultivierbar.
    Identifizierung von pNSCs in der Mauslunge: A) pNSCs kleiden die Bronchien in postnatalen und adulte ...

    MPI für molekulare Biomedizin / Dong Han

    pNSCs verteilen sich entlang der Bronchien der postnatalen (Bild) und adulten Lunge der Maus. Diese Zellen sind spezifisch durch Sox1 markiert und koexprimieren Sox2.
    pNSCs verteilen sich entlang der Bronchien der postnatalen (Bild) und adulten Lunge der Maus. Diese ...

    MPI für molekulare Biomedizin / Dong Han


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Medicine
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Identifizierung von pNSCs in der Mauslunge: A) pNSCs kleiden die Bronchien in postnatalen und adulten Lungen aus, markiert durch Sox1 und Sox2. B) Sie sind isolierbar und über 50 Passagen in vitro kultivierbar.


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    pNSCs verteilen sich entlang der Bronchien der postnatalen (Bild) und adulten Lunge der Maus. Diese Zellen sind spezifisch durch Sox1 markiert und koexprimieren Sox2.


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