Könnte es sein, dass einer von nur drei bekannten Markern, die direkt auf die DNA abzielen, gar nicht außerhalb des Mikrobenreichs existiert? Forscher:innen unter der Leitung von Xiaoqi Feng am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben jetzt nachgewiesen, dass dieser Marker – N4-Methylcytosin (4mC) – unerlässlich ist für die Entwicklung und Reifung der Spermien im Lebermoos Marchantia polymorpha, einem wichtigen Organismus in der Evolution von Pflanzen. Die Ergebnisse wurden in Cell veröffentlicht.
Manchmal braucht es ein lebendes Fossil, um einige der interessantesten Erkenntnisse über das Leben und die Evolution zu gewinnen. Das Lebermoos Marchantia, ein Verwandter der Moose, ist eine der ältesten existierenden Pflanzenformen und wahrscheinlich die älteste Pflanzenlinie, die Land besiedelt hat. Neben seiner zentralen Funktion beim Übergang der Pflanzen von einem aquatischen zu einem terrestrischen Ökosystem nutzt Marchantia immer noch eine uralte Form der Fortpflanzung, die bei den meisten Pflanzen nicht mehr zu finden ist. Während andere Pflanzen ihre sexuelle Fortpflanzung als unabhängig vom Wasser entwickelt haben, wird das Sperma von Marchantia in Regentropfen freigesetzt, die auf die Oberfläche der Pflanzen fallen. Es schwimmt dann in diesen Tropfen, um die nahe gelegenen weiblichen Pflanzen zu befruchten. Viele molekulare Eigenschaften der Spermienfunktion von Marchantia liegen jedoch bis heute im Dunkeln.
Die Gruppe von Xiaoqi Feng am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) nutzt diese einzigartige Pflanze als Modell, um bisher unbekannte Grundprinzipien der Molekularbiologie zu erforschen und neue Erkenntnisse über die Evolution der sexuellen Fortpflanzung zu gewinnen. Ihre neuesten Erkenntnisse sind bahnbrechend. „Unsere Studie liefert schlüssige Beweise für einen neuen DNA-Marker bei Pflanzen oder Tieren mit einer sehr wichtigen Funktion: Er ist für die sexuelle Fortpflanzung bei Marchantia unerlässlich und beeinflusst insbesondere die Spermienentwicklung bei männlichen Pflanzen“, sagt Feng. Die Ergebnisse könnten in der Biotechnologie Anwendung finden, indem sie Möglichkeiten für die Regulierung der Genexpression eröffnen, ohne die zugrunde liegende DNA-Sequenz zu verändern.
Eine lange Suche jenseits der Welt der Mikroben
N4-Methylcytosin (4mC) ist eine Form der Immunität in Bakterien. Es tarnt ihr Genom vor Enzymen, die fremde Sequenzen abbauen, indem es an den Angriffspunkten eine Methylgruppe anhängt. Es ist einer der drei bekannten DNA-Marker: 4mC, 5mC und 6mA. Da diese chemischen Marker den zugrunde liegenden genetischen Code nur „maskieren“, ohne ihn zu verändern, werden sie als „epigenetische Marker“ bezeichnet – basierend auf dem griechischen Präfix epi, was „über“, „um“ oder „außerhalb von“ bedeutet. Während 4mC und 5mC chemische Modifikationen des Cytosin-Nukleotids sind – eines der Bausteine der DNA – ist 6mA das einzige, das auf das Adenin-Nukleotid abzielt. Da es bei Pflanzen oder Tieren nie eindeutig nachgewiesen wurde, weckt 4mC seit langem das Interesse vieler Wissenschafter:innen.
Die Werte sind „verrückt hoch“ – aber nötig für fittes Sperma
Bei ihrem Vorhaben, die molekularen Eigenschaften der Spermienfunktion in Marchantia zu entschlüsseln, konnten Feng und ihr Team zwei Wellen der DNA-Methylierung während der Spermienentwicklung unterscheiden. Diese beiden Wellen sind so weitreichend, dass sie buchstäblich das Genom der Spermien bedecken. Sie zeigten, dass die erste Welle 5mC entsprach, einer DNA-Modifikation, die bereits bei Tieren und Pflanzen bekannt ist. Sie zielt auf sogenannte „springende Gene“ ab und schaltet diese stumm. 5mC allein konnte jedoch nicht die zweite Welle der extensiven Methylierung erklären. Diese zielt auf kurze Sequenzen von zwei Nukleotiden ab, die über alle kodierenden Gene verstreut sind: die sogenannten CG (Cytosin-Guanin)-Dinukleotide. Darüber hinaus zeigte das Team, dass Gene mit einer Sequenzähnlichkeit zu N4-Cytosin-Methyltransferasen, also zu den Enzymen, die die 4mC-Methylierung in Bakterien katalysieren, im gleichen Fenster der Spermienentwicklung der Pflanze aktiv waren. Ist das Team möglicherweise zufällig auf die Enzyme für 4mC außerhalb des Mikrobenreichs gestoßen?
Angespornt durch diese Entdeckung nutzten sie zahlreiche quantitative Techniken, um zu zeigen, dass 4mC tatsächlich dahintersteckt. Sie fanden heraus, dass 4mC allein für satte fünfzehn Prozent der methylierten Cytosine in den reifen Marchantia-Spermien verantwortlich war, im Gegensatz zu weniger als einem Prozent in Bakterien. „Nachdem wir eine Reihe schlüssiger experimenteller Ansätze verwendet haben, können wir sagen, dass wir uns unserer Ergebnisse sicher sind“, sagt Feng. „Die 4mC-Werte, die wir in den Spermien von Marchantia nachgewiesen haben, sind verrückt hoch.“ So konnte das Team nachweisen, dass die umfangreichen 5mC- und 4mC-Methylierungswellen während der Spermienentwicklung der Pflanze koordiniert waren. Außerdem zeigten sie, dass diese „verrückt hohen“ 4mC-Werte eine Schlüsselfunktion in den Spermien von Marchantia hatten. Ohne 4mC sind die Spermien der Pflanze nicht mehr konkurrenzfähig in der Befruchtung: Sie schwimmen langsamer und weniger zielgerichtet, ihre Fruchtbarkeit nimmt drastisch ab, und selbst in den seltenen Fällen einer erfolgreichen Befruchtung wird die frühe Entwicklung des Pflanzenembryos beeinträchtigt.
Horizontaler Gentransfer
Eine andere Form der DNA-Methylierung, 6mA, wurde fälschlicherweise von anderen Forschenden in mehreren Organismen nachgewiesen, bevor man feststellte, dass es sich um eine bakterielle Kontamination der Proben handelte. Dies hat bei Wissenschafter:innen einen schalen Beigeschmack hinterlassen und zu einer verstärkten Überprüfung im Forschungsbereich der DNA-Methylierung geführt. „Es ist sehr wichtig, mehrere unabhängige Methoden für den Nachweis der DNA-Methylierung zu verwenden, und wir wollten unbedingt sicherstellen, dass unsere Behauptungen fundiert sind. Aber in gewisser Weise war der hohe 4mC-Gehalt hilfreich für unsere Zuversicht. Schließlich weist kein Bakterium eine so hohe Methylierung auf“, sagt Feng. Aber wie ist 4mC überhaupt in Marchantia entstanden? Die Antwort liegt in der Übertragung von genetischem Material zwischen verschiedenen Arten außerhalb der sexuellen Fortpflanzung, einem evolutionären Phänomen, das als horizontaler Gentransfer oder HGT bezeichnet wird.
Es wurde berichtet, dass der horizontale Gentransfer zwischen Bakterien und Pflanzen häufig stattfindet – im evolutionären Maßstab. Höchstwahrscheinlich gelangte 4mC so zu Marchantia. HGT-Ereignisse von Bodenbakterien zu Pflanzen haben zum Übergang der Pflanzen von einem aquatischen zu einem terrestrischen Lebensraum beigetragen. „Dies könnte eines der Ad-hoc-Ereignisse der Natur sein, die die Evolution vorangetrieben haben. Der horizontale Transfer von genetischem Material von Bakterien zu Marchantia erwies sich für die Pflanzen als sehr nützlich, sodass das Merkmal beibehalten und selektiert wurde“, erklärt Feng.
Wartet mehr 4mC darauf, entdeckt zu werden?
Das Lebermoos ist die einzige Pflanzengruppe, bei der 4mC bisher eindeutig dokumentiert wurde. „Unsere Ergebnisse sind jedoch wahrscheinlich kein Zufall“, sagt Feng. Tatsächlich kommt es in frühen Entwicklungsstadien von Säugetieren in der Regel zu einer umfassenden Umprogrammierung der Methylierung, bei der die epigenetischen DNA-Marker vollständig gelöscht und neu etabliert werden. „Wir müssen uns also möglicherweise ein bestimmtes Entwicklungsfenster bei anderen Pflanzen und Tieren ansehen. 4mC könnte auch dort vorhanden sein und nur darauf warten, entdeckt zu werden.“
Die vorliegende Studie wirft ein Licht auf eine grundlegende Funktion der sexuellen Fortpflanzung, die sich in der Natur entwickelt hat und in der Biotechnologie Anwendung finden könnte. Indem die genaue Funktion der epigenetischen 4mC-Modifikation in Marchantia untersucht wird, könnte dieser molekulare Mechanismus möglicherweise als Werkzeug für die epigenetische Genom-Editierung eingesetzt werden, d. h. für Methoden, die auf die Genexpression abzielen, ohne die DNA-Sequenz zu verändern.
-
Die vorliegende Studie wurde am Department of Cell and Developmental Biology des John Innes Centre in Norwich, Großbritannien, begonnen, bevor Xiaoqi Feng an das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) wechselte.
-
Projektförderung:
Dieses Projekt wurde durch Mittel aus einem Stipendium der Sainsbury Charitable Foundation, einem UKRI-BBSRC Doctoral Training Partnerships studentship (BBT0087171), einem Starting Grant des Europäischen Forschungsrats („SexMeth“ 804981), zwei Stipendien des Biotechnology and Biological Sciences Research Council BBSRC (BBS0096201 und BBP0135111), einem EMBO Long Term Fellowship, einem IST Bridge Fellowship und aus der ISTA-Kernfinanzierung unterstützt.
James Walker, Jingyi Zhang, Yalin Liu, Shujuan Xu, Yiming Yu, Martin Vickers, Weizhi Ouyang, Judit Tálas, Liam Dolan, Keiji Nakajima, Xiaoqi Feng. 2025. Extensive N4 Cytosine Methylation is Essential for Marchantia Sperm Function. Cell. DOI:
https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.03.014
https://ista.ac.at/de/forschung/feng-gruppe/ Forschungsgruppe "Reproduktionsgenetik und -epigenetik" am ISTA
Xiaoqi Feng hält ein männliches Lebermoos in der Hand.
© ISTA
Xiaoqi Feng im Labor am ISTA.
© ISTA
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Environment / ecology, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).