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04/15/2025 11:15

Transkranielle Pulsstimulation (TPS) bei Alzheimer: Wirksamkeit weiterhin nicht belegt

Sandra Wilcken Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung

    Aktualisierte Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V.

    Menschen mit Alzheimer und ihren Angehörigen wird seit einiger Zeit Hoffnung gemacht: Die sogenannte Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird als neue, scheinbar „bahnbrechende“ Therapiemethode angepriesen. Verschiedene Medien haben darüber berichtet. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Behandlung nicht, sie muss privat finanziert werden.

    Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V. hat die Datenlage bewertet und unter der Federführung von Vorstandsmitglied Prof. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie und Co-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen, eine aktualisierte Stellungnahme ausgearbeitet. Das Resümee: Auch die im April 2025 neu veröffentlichte, erstmals kontrolliert randomisiert durchgeführte Studie zur TPS bei Menschen mit Alzheimer [1] liefert keinen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis. Es ist laut DGKN daher aktuell weiterhin nicht gerechtfertigt, TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung anzusehen und zu bewerben.

    TPS: Transkranielle Ultraschall-Pulstherapie

    Die Alzheimer-Krankheit ist trotz intensiver Forschung bislang unheilbar. Sie zählt wie Parkinson oder Multiple Sklerose zu den neurodegenerativen Erkrankungen und zeichnet sich durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen aus. Dies führt zu einer Beeinträchtigung bestimmter Hirnfunktionen wie zunehmendem Gedächtnisverlust oder Sprachstörungen. Forschende der Universitätsklinik für Neurologie in Wien haben gemeinsam mit der Firma Storz Medical AG die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) entwickelt. Die TPS ist eine gepulste ultraschallbasierte Methode zur nichtinvasiven Stimulation des Gehirns. Eine spezielle Ultraschallsonde emittiert sehr kurze (30 µs) Ultraschall-Pulse mit einer typischen Frequenz von 5 Hz. Dem TPS-Konzept liegt eine mehr als zehnjährige Forschungstätigkeit der Arbeitsgruppe um Prof. Roland Beisteiner von der Universitätsklinik für Neurologie und Psychiatrie der Medizinischen Universität Wien zugrunde.

    Die neue Therapie, die umfangreich öffentlich beworben wird, soll die Regeneration des Gehirns stimulieren. Laut Aussage der Studienautoren ist es damit „weltweit erstmalig möglich, mit einem Ultraschall-Puls direkt am Schädelknochen, nichtinvasiv, schmerzfrei und bei vollem Bewusstsein in alle Bereiche des Gehirns vorzudringen und dort ganz gezielt Hirnareale anzusteuern und diese zu aktivieren“. In einigen überregionalen Medienberichten wird TPS bei Alzheimer als „bahnbrechender Fortschritt“ oder „Durchbruch“ bezeichnet. Die „Ärztliche Interessensgemeinschaft Alzheimer-Demenz-Therapie“ bezeichnet die Methode unter www.alzheimer-deutschland.de als „sicher und gut verträglich“. Dort sind auch die internationalen Behandlungsstandorte gelistet.

    Erste randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von TPS bei Alzheimer

    2025 wurde die erste durch eine Scheinstimulation kontrollierte randomisierte doppelt verblindete Crossover-Studie bei n = 60 Patientinnen und Patienten mit klinisch diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung im Alter zwischen 51 und 82 Jahren publiziert [1]. Die Studie wurde unter anderem von der Firma Storz Medical AG finanziert. Diese Firma hat auch bei der Entwicklung des Studiendesigns beraten und eine Clinical Research Organization (CRO) beauftragt, eine statistische Interimsanalyse durchzuführen.

    Die Behandlung umfasste entweder 6 Sitzungen mit transkranieller Stimulation frontoparietaler Hirnregionen innerhalb von 2 Wochen oder eine Scheinstimulation. Nach einer 4-monatigen Washout-Periode wurde die jeweils andere Behandlung appliziert. Primärer Endpunkt der Studie war der korrigierte Gesamtwert nach dem Consortium to Establish a Registry for Alzheimers Disease (CERAD), ein spezifisch für Alzheimer-Patientinnen und -Patienten validierter neurokognitiver Test.

    Der über drei Monate nach der Stimulation nachbeobachtete primäre Endpunkt zeigte einen signifikanten Anstieg (Besserung des CERAD) über die Zeit. Es konnte bezogen auf die Gesamtpopulation aber keine signifikante Interaktion zwischen Sitzung (die verschiedenen Messzeitpunkte vor und nach Intervention) und Intervention (TPS vs. Scheinstimulation) gezeigt werden, sodass ein Wirksamkeitsnachweis von TPS für den primären Endpunkt deutlich verfehlt wurde.

    Post-hoc-Analysen der Altersuntergruppen: Besserung nur bei Jüngeren

    Die beiden Therapiegruppen (zuerst TPS, dann Scheinstimulation vs. zuerst Scheinstimulation, dann TPS) unterschieden sich signifikant im Alter. Die Gruppe, die zuerst TPS erhielt, war jünger. Das veranlasste die Autorinnen und Autoren zu nicht geplanten Sekundäranalysen. Es zeigte sich eine signifikante Interaktion, wenn zusätzlich zu Sitzung und Intervention noch das Alter (< 70 Jahre vs. > 70 Jahre) als Variable eingeführt wurde. Spezifisch für die Gruppe der Patientinnen und Patienten, die jünger als 70 Jahre waren, wurde eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und Intervention gefunden, mit einer Verbesserung der kognitiven Leistung ausschließlich nach echter TPS, nicht nach Scheinstimulation. Dieser Effekt war in der Gruppe der Patientinnen und Patienten, die älter als 70 Jahre waren, nicht nachweisbar. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die beobachteten Effekte allein durch Lerneffekte (bei in kurzen Intervallen wiederholter Testung des CERAD) erklären lassen, die bei der Gruppe < 70 Jahre stärker ausgeprägt waren als bei der Gruppe > 70 Jahre. Zudem zeigt die Studie eine große Gruppe von „non-Respondern“ (d. h. die neurokognitive Leistung im CERAD wurde schlechter), insbesondere in der Gruppe, die zuerst die Scheinstimulation und dann TPS erhielt.

    Möglicherweise könnte TPS also jüngeren Menschen mit Alzheimer helfen, aber unspezifische Effekte sind nicht ausgeschlossen. Die Autorinnen und Autoren resümieren selbst: „Based on our data and given the large interindividual variability, we suggest sample sizes exceeding 100 participants and longer follow-up periods to optimize future therapeutic research“ [1].

    Weitere publizierte Studien zu klinischen Effekten der TPS

    Alle zuvor veröffentlichten Studien zur Wirksamkeit von TPS bei Alzheimer [2-10] sind offene (d. h. nicht durch eine andere Intervention kontrollierte) Fallserien, die den Evidenzgrad der einzigen randomisierten kontrollierten Studie [1] nicht erhöhen.

    Kritik am Studiendesign: dünne Studienlage und unklare Wirkung

    Trotz interessanter Ergebnisse: Zahlreiche Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. und Forschende unterschiedlicher Universitäten, zweifeln an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie. Auch die DGKN sieht die neue Methode auf Basis der aktuellen Datenlage unverändert kritisch. Prof. Ziemann fasst das Fazit und die Bewertung der DGKN wie folgt zusammen: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind mittels Scheinstimulation kontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit höherer Patientenzahl, Parallelgruppendesign und längerer Nachbeobachtungszeit erforderlich. Die erste 2025 publizierte Studie [1] geht hierin den richtigen Weg, die Ergebnisse zeigen gute Verträglichkeit aber keinen Wirksamkeitsnachweis für den primären Studienendpunkt und Einschränkungen in der Beurteilbarkeit der durchgeführten Sekundäranalysen.“

    Literatur

    1. Matt et al. 2025, Ultrasound Neuromodulation With Transcranial Pulse Stimulation in Alzheimer Disease: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open 8:e2459170. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.59170
    2. Beisteiner et al. 2020, Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer's Disease – A New Navigated Focal Brain Therapy. Adv Sci (Weinh). 7:1902583
    3. Matt et al. 2022, Transcranial pulse stimulation (TPS) improves depression in AD patients on state-of-the-art treatment. Alzheimers Dement (N Y). 10;8(1):e12245
    4. Dörl et al. 2022, Functional Specificity of TPS Brain Stimulation Effects in Patients with Alzheimer's Disease: A Follow-up fMRI Analysis. Neurol Ther. 11(3):1391-1398
    5. Cont et al. 2022, Retrospective real-world pilot data on transcranial pulse stimulation in mild to severe Alzheimer's patients. Front Neurol. 13:948204. doi:10.3389/fneur.2022.948204
    6. Fong et al. 2023, Transcranial pulse stimulation in the treatment of mild neurocognitive disorders. Ann Clin Transl Neurol 10:1885-1890. doi: 10.1002/acn3.51882
    7. Shinzato et al. 2024, Non-invasive sound wave brain stimulation with Transcranial Pulse Stimulation (TPS) improves neuropsychiatric symptoms in Alzheimer's disease. Brain Stimul 17:413-415. doi: 10.1016/j.brs.2024.03.007
    8. Wojtecki et al. 2024, Electrical brain networks before and after transcranial pulsed shockwave stimulation in Alzheimer's patients. Geroscience 47:953-964. doi:10.1007/s11357-024-01305-x
    9. Lo et al. 2024, Enhanced Cognition and Modulation of Brain Connectivity in Mild Neurocognitive Disorder: The Promise of Transcranial Pulse Stimulation. Biomedicines 12:2081. doi: 10.3390/biomedicines12092081
    10. Radjenovic et al. 2025, A retrospective analysis of ultrasound neuromodulation therapy using transcranial pulse stimulation in 58 dementia patients. Psychol Med 55:e70. doi:10.1017/s0033291725000406

    Kontakt zur Pressestelle der DGKN
    Sandra Wilcken, c/o albertZWEI media GmbH, Tel.: +49 (0) 89 461486-11, E-Mail: presse@dgkn.de

    Gerne unterstützen wir Ihre Berichterstattung, vermitteln Expertinnen und Experten sowie Bildmaterial. Bitte beachten Sie auch unseren Online-Bilderservice unter https://dgkn.de/dgkn/presse/bilddatenbank. Wir freuen uns über einen Hinweis auf Ihre Veröffentlichung.

    Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. vertritt die Interessen von Medizinerinnen und Medizinern sowie Forschenden, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Die wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft mit über 4.400 Mitgliedern fördert die Erforschung von Gehirn und Nerven, sichert die Qualität von Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheiten und treibt Innovationen auf diesem Gebiet voran. Sie ist aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-Gesellschaft“ hervorgegangen. https://dgkn.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results, Transfer of Science or Research
    German


     

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