Die vom GEOFON-Programm des GFZ gemessenen Beben lagen etwa 60 km südwestlich bzw. 40 km südlich von Istanbul etwa 10 km tief unter dem Marmarameer. Nach den beiden ersten Beben ereigneten sich drei weitere Nachbeben mit Magnituden bis 5.9.
Ein Erdbeben der vom GEOFON-Programm des GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung gemessenen Magnitude 6.2 erschütterte heute Vormittag, am Mittwoch, 23. April 2025, die Stadt Istanbul. Der Ursprung des Bebens um 11:49 MESZ (12:59 Uhr Ortszeit) lag in einer Tiefe von etwa 10 Kilometern etwa 60 Kilometer westlich von Istanbul im Marmarameer. Nur 13 Minuten später ereignete sich dann ein weiteres Beben mit der Magnitude 5.3 direkt südlich Istanbuls in etwa 40 Kilometern Entfernung.
„Bereits im Jahr 2019 hatte sich am 26. September an ähnlicher Stelle im zentralen Marmarameer ein ähnlich starkes Beben von Mw 5.7 ereignet. Das heutige 6.2er-Beben erweitert die damalige Bruchzone, und zwar auch in Richtung Istanbul. Insgesamt ist auf dieser Verwerfung Energie für ein Erdbeben der Magnitude bis zu 7.4 gespeichert“, erklärt Marco Bohnhoff, Leiter der GFZ-Sektion Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren am GFZ.
„Wir beobachten die Vorgänge sehr genau. Das Beben am heutigen Mittwoch ist das schwerste in der Region seit über 25 Jahren. Der Herdmechanismus zeigt mit einem rechtslateralen Versatz an, dass das Beben auf der Hauptverwerfung stattgefunden hat. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es zwei Szenarien: Entweder ist die unmittelbare Region nun vorerst entspannt und die Seismizität klingt langsam ab, oder die durch das Beben erzeugten Spannungsumlagerungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein größeres Erdbeben in der Region. Wir führen dazu weitere Datenanalysen durch. Für offizielle Prognosen ist der türkische Katastrophenschutz AFAD zuständig, unser zentraler Kooperations-Partner im Rahmen des GONAF-Projekts vor Ort.“
Die Region um das Marmarameer in der Nähe von Istanbul, einer Millionenstadt mit mehr als 16 Millionen Einwohnern, besitzt eine der risikoreichsten geologischen Strukturen weltweit. Die „nordanatolische Verwerfung“ trennt die eurasische und die anatolische tektonische Platte auf einer Länge von mehr als 1000 Kilometern von Ostanatolien entlang der türkischen Schwarzmeerküste und durch das Marmarameer bis in die Nordägäis. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind bei Starkbeben mit Magnituden stärker als 7 dort mehr als 20.000 Menschen gestorben. Der Bereich unterhalb des Marmarameeres südlich von Istanbul ist der einzige Bereich der gesamten Plattengrenze, der seit über 250 Jahren kein Starkbeben mehr generiert hat und demzufolge überfällig für ein Erdbeben einer Magnitude bis zu 7.4.
Das erste heutige Beben mit der Magnitude 6.2 ereignete sich nach ersten, noch vorläufigen Erkenntnissen im zentralen Teil des Marmarameeres an der Übergansstelle zwischen einem langsam und ‚aseismisch‘ kriechenden Teil der Erdbebenzone in Richtung Westen und dem komplett verhakten Bereich ostwärts in Richtung Istanbul. Die Tatsache, dass es kurze Zeit später zu einem Erdbeben der Stärke 5.3 südlich von Istanbul gekommen ist, weist darauf hin, dass es Spannungsumlagerungen gegeben hat, die die Wahrscheinlichkeit für weitere Beben dort eher erhöht haben.
Weitere Informationen: Geophysikalisches Observatorium an der Anatolischen Störung – GONAF (www-gonaf-network.org)
Die Anatolische Mikroplatte ist eine Schlüsselregion für Untersuchungen, die sich schwerpunktmäßig mit Erdbebenmechanismen, den Wechselwirkungen der Seismizität auf Plattenebene sowie komplexen Deformationsprozessen an Transform-Plattengrenzen beschäftigen. Am nördlichen Plattenrand der anatolischen Mikroplatte stellt die Nordanatolische Verwerfungszone (NAFZ) eine der wichtigsten kontinentalen Transformstörungen auf der Erde dar, die eine mehr als 1000 Kilometer lange Plattengrenze mit erheblicher Erdbebengefahr formt. Große Teile des Marmarameers südlich der Megastadt Istanbul bilden eine so genannte seismische Lücke entlang eines über 100 Kilometer langen Verwerfungssegments. Das heißt, dass es an dieser Lücke seit längerer Zeit zu keinen schweren Beben gekommen ist und sich daher dort Spannung aufbaut. Mittels eines hochauflösenden seismischen Bohrloch-Arrays rund um das östliche Marmarameer (Nordwest-Türkei) konzentriert sich die Arbeit des integrierten Plattengrenzenobservatoriums auf dieses Störungssegment. Wir hoffen, so neue Einblicke in die physikalischen Prozesse zu gewinnen, die vor und ggf. auch während und nach einem starken Erdbeben (M>7) wirken, sowie Erdbebenmodelle neu zu definieren und zu kalibrieren und Gefahrenabschätzungen für die Megastadt Istanbul in Fast-Echtzeit vorzunehmen. Auf diese Weise leisten wir einen Beitrag zu Istanbuls Frühwarnsystem.
Publikationen zum Thema:
Chen, X., Martínez‐Garzón, P., Kwiatek, G., Ben‐Zion, Y., Bohnhoff, M., Cotton, F., Rupture Directivity of Moderate Earthquakes Along the Main Marmara Fault Suggests Larger Ground Motion Towards Istanbul. Geophys. Res. Lett., 52, e2024GL111460.
https://doi.org/10.1029/2024GL111460, 2025
Martínez-Garzón, P., Beroza, G.C., Bocchini, G. M., Bohnhoff, M. Sea level changes affect seismicity rates in a hydrothermal system near Istanbul. Geophys. Res. Lett., 50, e2022GL101258. https://doi.org/10.1029/2022GL101258, 2023.
Becker, D., Martínez-Garzón, P., Wollin, C., Kılıç, T., Bohnhoff, M. Variation of fault creep along the overdue Istanbul-Marmara seismic gap in NW Türkiye. Geophys. Res. Lett., 50, e2022GL101471. https://doi.org/10.1029/2022GL101471, 2023.
Malin, E.P., Bohnhoff, M., Blümle, F., Dresen, G., Martínez-Garzón, P., Nurlu, M., Ceken, U., Kadirioglu, F.T., Kartal, R.F., Kilic, T., Yanik, K., 2018. Microearthquakes preceding a M4.2 Earthquake Offshore Istanbul. Nature Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-018-34563-9
Prof. Dr. Marco Bohnhoff (marco.bohnhoff@gfz.de)
Lage und Stärke der Beben Mw 6.2 und Mw 5.3 im Marmarameer vor Istanbul am 23. April 2025. Darstellu ...
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