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04/25/2025 12:16

Soziales Lernen: Menschen passen ihre Lernstrategien dynamisch an

Nicole Siller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

    Wer geschickt zwischen eigenem Lernen und der Beobachtung anderer wechselt, erzielt den größten Lernerfolg. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Mithilfe des beliebten Videospiels Minecraft untersuchten die Forschenden, wie Menschen persönliche und soziale Informationen bei einer virtuellen Nahrungssuche kombinieren. Die erfolgreichsten Teilnehmenden waren diejenigen, die ihr eigenes Wissen flexibel mit sozialen Hinweisen verbanden. Ihre Fähigkeit, sich an ständig wechselnde Bedingungen anzupassen, war entscheidend für ihren Erfolg.

    Die besondere Fähigkeit, voneinander zu lernen, ist ein entscheidendes Merkmal der menschlichen Spezies. Soziales Lernen ermöglicht es Menschen, Informationen über Generationen hinweg schrittweise aufzubauen und zu erweitern. Und obwohl wir in der Lage sind, Städte voller Wolkenkratzer zu bauen, Menschen ins All zu schicken und gemeinsam Heilmittel für Krankheiten zu entwickeln, konzentrieren sich die meisten Studien, die sich mit den Mechanismen des sozialen Lernens befassen, auf relativ einfache, abstrakte Aufgaben, die wenig Ähnlichkeit mit realen sozialen Lernumgebungen haben. Daher ist wenig darüber bekannt, wie Menschen persönliche und soziale Informationen in realistischen Kontexten dynamisch integrieren. Um dies zu untersuchen, entwickelte ein internationales Team von Forschenden des Exzellenzclusters Science of Intelligence (SCIoI), des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB), der Universität Tübingen und der New York University eine virtuelle Nahrungssuche im beliebten Videospiel Minecraft – einer aus dreidimensionalen Blöcken bestehenden Spielewelt. Die Studie zeigte, dass Anpassungsfähigkeit – also der flexible Wechsel zwischen eigenständigem und sozialem Lernen – der wichtigste Erfolgsfaktor ist.

    „Soll ich allein erkunden oder mit der Gruppe zusammenarbeiten?“

    Im Experiment steuert jeder Teilnehmende einen Avatar, der Minecraft-Blöcke zerstört, um Ressourcen (Wassermelonen oder Kürbisse) zu finden. Immer wenn eine Ressource entdeckt wird, erscheint ein blauer Funkenschauer, der anderen Spielenden soziale Informationen über den Standort weiterer Ressourcen liefern kann. Zu Beginn jeder Runde werden die Spielenden darüber informiert, ob sie allein oder in einer Gruppe von vier Personen spielen werden, die in Echtzeit miteinander interagieren können. Zusätzlich werden sie in zwei verschiedenen Umgebungen getestet. In „regelmäßigen“ Umgebungen sind Ressourcen in Gruppen angeordnet, sodass mehrere Blöcke mit Ressourcen in unmittelbarer Nähe gefunden werden können. In „zufälligen“ Umgebungen sind die Ressourcen hingegen verstreut. Dies bedeutet, dass soziale Informationen in „regelmäßigen“ Umgebungen besonders wertvoll sind, da sie auf weitere Belohnungen in der Nähe hinweisen können. In „zufälligen“ Umgebungen haben soziale Informationen hingegen keinen Nutzen, da es kein erkennbares Muster gibt, wo die Ressourcen liegen. Jede Spielerin und jeder Spieler versucht, die eigenen Belohnungen zu maximieren, anstatt ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, und muss daher die richtige Balance zwischen individuellem und sozialem Lernen finden.

    „Ein Spiel wie Minecraft zu nutzen, ist sinnvoll, weil es reale Herausforderungen simuliert. Zum Beispiel kann man immer nur einen kleinen Teil der virtuellen Welt sehen und muss sich daher entscheiden, ob man sich auf die eigene Suche konzentriert oder darauf achtet, was die anderen Spielenden tun, um von ihnen zu lernen“, sagt Ralf Kurvers, Seniorautor der Studie und Senior Research Scientist am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. „Das bedeutet, dass ich ständig vor der Wahl stehe: Folge ich meiner Intuition und suche allein oder nutze ich soziale Informationen, indem ich den Spielenden folge, die bereits etwas gefunden haben?“

    Neue Tools zur Untersuchung der Interaktion zwischen individuellem und sozialem Lernen

    Mithilfe einer neu entwickelten computergestützten Methode zur automatisierten Erfassung von Blickdaten konnten die Forschenden messen, welche Objekte, Ereignisse und Mitspielende von jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer beobachtet wurden – mit einer Aufzeichnungsrate von 20 Datenpunkten pro Sekunde. Sie entwickelten ein Modell, das kombiniert, wohin Menschen schauen, wie sie sich bewegen und welche Entscheidungen sie bei der Nahrungssuche treffen. „Einfach ausgedrückt können wir nun vorhersagen, welchen Block eine Person als Nächstes auswählen wird, indem wir individuelle und soziale Lernstrategien in einem gemeinsamen Modell zusammenführen“, erklärt Charley Wu von der Universität Tübingen. „Dieser neue Ansatz ermöglicht es uns, Lernalgorithmen moderner künstlicher Intelligenz mit flexiblen sozialen Lernmechanismen zu verbinden, die adaptiv aus dem erfolgreichen Verhalten anderer lernen.“

    Warum dies von Bedeutung ist

    Insgesamt schließt die Studie eine jahrzehntelange Lücke zwischen der Forschung zum individuellen und sozialen Lernen. Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen nicht nur passive Imitatoren oder sture Individualisten sind. Vielmehr halten sie diese Strategien dynamisch im Gleichgewicht; adaptive Mechanismen des individuellen und sozialen Lernens verstärken sich gegenseitig und werden durch den individuellen Erfolg angetrieben. Darüber hinaus war die Fähigkeit jeder und jedes Einzelnen, die individuellen und sozialen Lernstrategien anzupassen, der beste Prädiktor für die jeweilige Leistung. Dies unterstreicht, dass Anpassungsfähigkeit – und nicht starre Strategien – die treibende Kraft menschlicher Intelligenz ist.

    Künftige Implikationen

    Diese Arbeit trägt dazu bei, die kognitiven Mechanismen zu verstehen, die adaptives Lernen und Entscheidungsfindung in sozialen Kontexten steuern. Sie eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis der Informationsverbreitung in Gruppen, der Entstehung neuer Innovationen und gibt Hinweise darauf, wie Systeme gestaltet werden können, die adaptives Lernen in sozialen Umgebungen besser fördern.

    In Kürze:

    - Die Forschenden nutzten das Videospiel Minecraft, um soziale Lernprozesse in einer dynamischen, realistischen Umgebung zu untersuchen.

    - Die Studie zeigt, dass Anpassungsfähigkeit, d.h. der flexible Wechsel zwischen individuellem und sozialem Lernen, entscheidend für den Erfolg ist.

    - Mit neuen computergestützten Methoden zur Erfassung von Blickdaten und Modellierung von Entscheidungen konnten individuelle und soziale Lernstrategien präzise beschrieben und vorhergesagt werden.

    - Die Ergebnisse schließen eine Forschungslücke und zeigen, dass Menschen Lernstrategien dynamisch anpassen – ein wichtiger Faktor für die Gestaltung von Lernumgebungen und Informationsverbreitung in sozialen Gruppen.


    Original publication:

    Wu, C.M., Deffner, D., Kahl, B., Meder, B., Mark, H.H., Kurvers R.H.J.M. Adaptive mechanisms of social and asocial learning in immersive collective foraging (2025). Nature Communications, 16, 3539. https://doi.org/10.1038/s41467-025-58365-6


    More information:

    https://www.mpib-berlin.mpg.de/pressemeldungen/minecraft Zur Pressemitteilung auf der MPIB-Webseite
    Einblick in das Experiment auf Youtube


    Images

    Illustration Minecraft-Experiment
    Illustration Minecraft-Experiment

    MPI für Bildungsforschung

    Erforschung des adaptiven Lernens in virtuellen Umgebungen
    Erforschung des adaptiven Lernens in virtuellen Umgebungen
    Charley Wu
    CC BY - Charley Wu


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Psychology
    transregional, national
    Research results
    German


     

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