Wissenschaftliche Begleitung zeigt differenziertes Bild der Umgestaltung beider Verkehrsachsen, Verstetigung wird empfohlen
Um den Rad- und Fußverkehr zu fördern sowie die Wohn- und Aufenthaltsqualität zu verbessern, führte die Stadt Frankfurt am Main ab 2022 Umgestaltungsmaßnahmen im Grüneburgweg sowie an der Achse Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße durch. Wie diese angenommen werden und was sie bewirken, haben Forscher*innen der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) untersucht und ziehen insgesamt eine positive Bilanz. Gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadt Frankfurt stellten sie am 15. Mai 2025 die Ergebnisse vor, die sie im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung seit Anfang 2022 gesammelt haben.
Die Ziele der Umgestaltung, insbesondere die Förderung des Radverkehrs, wurden demnach in beiden Untersuchungsgebieten erreicht, während der Kfz-Verkehr vielerorts messbar zurückgegangen ist. Zudem hat sich die Wohnqualität verbessert und das Forschungsteam beobachtete weniger Konflikte zwischen den Verkehrsmitteln. Die Wissenschaftler*innen empfehlen daher eine Verstetigung der Maßnahmen, im Grüneburgweg allerdings verbunden mit einer Prüfung von möglichen Anpassungen. Dort deuten die Ergebnisse der Befragungen auf eine starke Polarisierung hin. Aufgrund der in Teilen negativen Rückmeldung von Gewerbetreibenden und Bewohner*innen, vor allem umliegender Straßen, regen die Wissenschaftler*innen für den Grüneburgweg eine Prüfung von alternativen Verkehrsführungen und eine verstärkte Einbindung der Betroffenen bei der zukünftigen Ausgestaltung von Maßnahmen an. „Insgesamt haben wir festgestellt, dass das Konzept der fahrradfreundlichen Nebenstraßen in unterschiedlichen Kontexten anwendbar und erfolgreich ist, aber je nach Straßentyp eine unterschiedlich intensive Begleitung erfordert“, so Projektleiter Prof. Dr. Dennis Knese, Professor für Nachhaltige Mobilität und Radverkehr im Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt UAS.
Im Projekt „Analyse zu den Auswirkungen von fahrradfreundlichen Nebenstraßen“ untersuchte Knese mit seinem Team zuvor schon Umgestaltungsmaßnahmen am Beispiel des Oeder Wegs in Kooperation mit der Stadt Frankfurt am Main. Alle Maßnahmen sind Teil des „Fahrradstadt-Beschlusses“ der Stadt Frankfurt am Main von 2019. „Die Verkehrswende findet im Alltag der Menschen statt – und genau dort setzt das Projekt an. Wir freuen uns, dass unsere Wissenschaftler*innen ihre Expertise hier praxisnah einbringen konnten. Das Projekt ergänzt die vielfältigen Forschungstätigkeiten der Frankfurt UAS im Bereich Mobilität“, sagt Prof. Dr. Susanne Rägle, Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Internationalisierung der Frankfurt UAS. Wolfgang Siefert, Mobilitätsdezernent der Stadt Frankfurt am Main: „Mit unseren Umgestaltungen zu Fahrradstraßen machen wir den Verkehr spürbar sicherer, reduzieren Luft- und Lärmbelastung und steigern die Aufenthaltsqualität – vier zentrale Ziele unserer Arbeit. Damit verbessern wir die Situation nicht nur für den Radverkehr, sondern auch für alle, die zu Fuß unterwegs sind. Es ist wichtig, den Erfolg unserer Umgestaltungsmaßnahmen wissenschaftlich zu evaluieren – gerade deshalb, weil es beim Thema Fahrradstraßen so viele unterschiedliche Meinungen, Stakeholder und Mobilitätsbedürfnisse gibt.“
Die wissenschaftliche Begleitung umfasste unter anderem kameragestützte Verkehrsbeobachtungen, Unfallanalysen und die Auswertung von Verkehrszählungen. Zudem werteten die Forscher*innen insgesamt 3.161Fragebögen im Rahmen von mehrstufigen quantitativen Befragungen aus und führten 67 Tiefeninterviews mit Gewerbetreibenden. Die detaillierten Projektergebnisse sind unter http://www.relut.de nachzulesen.
Angebot wird von Radfahrenden angenommen, Kfz-Verkehr geht zurück
Die Verkehrszählungen zeigen: Die umgestalteten Straßen werden von Radfahrenden zunehmend als Alternative zu den Hauptstraßen wahrgenommen. Der Radverkehr hat in beiden Projektgebieten deutlich zugenommen, während der Kfz-Verkehr spürbar zurückging. Im Grüneburgweg wurden im Vorher-Nachher-Vergleich je nach Abschnitt bis zu viermal so viele Radfahrende gezählt wie vor der Umgestaltung – mit Spitzenwerten von 3.500 Radfahrenden pro Tag im östlichen und 2.000 im westlichen Teil. Gleichzeitig nahm der motorisierte Verkehr im östlichen Abschnitt ab – von über 6.000 auf rund 2.000 Fahrzeuge täglich. In vielen Nebenstraßen ging der Kfz-Verkehr ebenfalls zurück. Eine Zunahme wurde im südlichen Abschnitt der Straße Im Trutz, im nördlichen Teil der Liebigstraße sowie der Achse Parkstraße/Telemannstraße festgestellt. Auch an der Achse Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße wird das Fahrrad deutlich stärker genutzt – im östlichen Abschnitt stieg die Zahl von rund 2.500 auf über 4.000 Räder täglich. Der Kfz-Verkehr ging auf der gesamten Achse zurück. In den angrenzenden Straßen gab es nur geringe Veränderungen im Verkehrsaufkommen.
Verkehrssicherheit der Radfahrenden und Wohnqualität gestärkt
In Bezug auf die Verkehrssicherheit sind die Unfallzahlen mit Beteiligung von Radfahrenden trotz der Zunahme des Radverkehrs in beiden Untersuchungsgebieten deutlich zurückgegangen. Die Zahl der Kfz-Unfälle hat sich an der Achse Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße erhöht, überwiegend durch Unfälle mit Sachschäden. Gleichzeitig gibt es weniger Unfälle mit Beteiligung von Fußgänger*innen. Im Grüneburgweg deutet die Unfallstatistik auf einen Rückgang bei Kfz-Unfällen hin. Unfälle mit Fußgänger*innen gab es weder vor noch nach der Umgestaltung. In beiden Untersuchungsgebieten berichten insbesondere Radfahrende von einem gestiegenen subjektiven Sicherheitsgefühl, Kamerabeobachtungen deuten auf weniger Konfliktsituationen zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln, z. B. auf Gehwegen, hin. Auch die Wohnqualität wurde als verbessert wahrgenommen – Anwohner*innen lobten speziell die geringere Lärmbelastung.
Herausforderungen in gemischt genutzten Straßen
Befragungen deuten aber auch auf negativ wahrgenommene Effekte und eine Polarisierung hin: Während sich in primär wohnlich geprägten Straßen wie dem Kettenhofweg und der Robert-Mayer-Straße die Maßnahmen weitgehend konfliktarm umsetzen ließen, zeigt sich im Grüneburgweg ein differenzierteres Bild: Zwar wurden auch hier verkehrsbezogene Ziele erreicht, doch insbesondere Autofahrende und gewerbliche Akteure äußerten teils deutliche Kritik – etwa in Bezug auf eine erschwerte Erreichbarkeit und schlechtere Parksituation für ihre Kund*innen. Dabei wurden im Kettenhofweg und der Robert-Mayer-Straße 154 Stellplätze einer anderen Nutzung zugeführt, im gesamten Grüneburgweg nur 25. „Dies zeigt den unterschiedlichen Charakter beider Straßen und verdeutlicht, wie individuell Maßnahmen im Bestand geplant werden müssen“, so Projektleiter Knese.
13 von 39 Interviewten im Grüneburgweg berichteten von einem Rückgang bei Kund*innen- und Umsatzzahlen, wobei nicht alle dies ausdrücklich mit der Umgestaltung der Straße in Verbindung bringen. Die Auszüge aus dem Gewerberegister lassen keine signifikanten Schlüsse über Geschäftsaufgaben zu. So lag der Anteil abgemeldeter Betriebe im Grüneburgweg 2024 mit 3,2 Prozent etwas höher als in der Berger Straße (1,6 Prozent) und im ebenfalls umgestalteten Oeder Weg (2,7 Prozent), aber deutlich niedriger als in der Leipziger Straße (5,1 Prozent) und der Schweizer Straße (9,5 Prozent). Im Kettenhofweg und der Robert-Mayer-Straße betrug der Anteil 1,6 Prozent.
Wolfgang Siefert ergänzt: „Als die Strategie zur ‚Fahrradstadt Frankfurt‘ beschlossen wurde, waren Klima- und Verkehrswende zentrale Themen der öffentlichen Debatte. Gegenwärtig prägen Krisen und Rezession den Alltag vieler Menschen stark – vor diesem Hintergrund verstehe ich die Sorge, dass eine Verkehrsplanung, die die Mobilitätsbedürfnisse aller Menschen berücksichtigt und Veränderung bedeutet, zugleich zu Verunsicherung führt. Allerdings lassen die Zahlen aus dem Gewerberegister Frankfurt keine Rückschlüsse darauf zu. Studien zeigen sogar, dass sich Verkehrsberuhigung eher positiv auf den Handel auswirkt. Das verwundert nicht: Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit verbessern sich. Aber klar ist, dass wir die Anliegen der Frankfurter Gewerbetreibenden berücksichtigen müssen, denn ein funktionierender Verkehr ist wesentlich für eine funktionierende Wirtschaft.“
Empfehlung: Verstetigung und kooperative Weiterentwicklung
Insgesamt belegt die Forschung das Potenzial des Konzepts „Fahrradfreundliche Nebenstraßen“, Rad- und Fußverkehr nachhaltig zu fördern und den motorisierten Verkehr zu reduzieren. Deshalb empfehlen die Wissenschaftler*innen die Verstetigung sicherheitsfördernder Maßnahmen, wie die umgestalteten Kreuzungsbereiche mit mehr Platz für den Fußverkehr und verbesserten Sichtbeziehungen oder die Dooring-Zone zur Vermeidung von Fahrradunfällen mit parkenden Fahrzeugen. Zudem braucht es Kernelemente, die zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens durch Kraftfahrzeuge führen. Dazu zählen insbesondere die Umnutzung von Verkehrsflächen sowie infrastrukturelle Elemente zur Verringerung des Durchgangsverkehrs. In Bezug auf den Grüneburgweg ist aus Sicht der Wissenschaftler*innen jedoch eine gezielte Nachsteuerung mit Beteiligung des Gewerbes und der Anwohnenden wünschenswert. Hier gilt es, gemeinsam alternative Maßnahmen zur Reduzierung des Durchgangsverkehrs und zur attraktiveren Gestaltung des Seitenraums zu diskutieren. Ein vollständiger Rückbau würde die bisher erreichten Verbesserungen jedoch in Frage stellen. „Wir empfehlen hier den Fortbestand der Maßnahmen mit einem intensiven Kommunikations- und Beteiligungskonzept zu flankieren – um gemeinsam tragfähige Lösungen für die weitere Entwicklung zu erarbeiten. Gerade das Beispiel des Grüneburgwegs zeigt: Das Konzept funktioniert – es ist jedoch kein Selbstläufer“, resümiert Knese.
Mobilitätsdezernent Siefert: „Straßen haben unterschiedliche Charaktere, für die wir individuelle Lösungen finden müssen. Während die Einrichtung der fahrradfreundlichen Nebenstraße Kettenhofweg/ Robert-Mayer-Straße ganz klar ein Erfolg ist, gibt es beim Grüneburgweg teilweise Kritik. Auf der Bürger*innenveranstaltung und beim anstehenden Werkstattgespräch mit dem Ortsbeirat holen wir uns ein direktes Feedback ab. Ziel ist es, gemeinsam mit den Stadtteilvertreter*innen zu beraten, wie sich die Erfolge für Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität, Fuß- und Radverkehr verstetigen lassen und wo Nachbesserungen erforderlich werden.“
Zum Research Lab for Urban Transport (ReLUT):
Im Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt UAS forscht ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaft und Praxis zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs im städtischen Raum. Es werden Forschungsprojekte zur letzten Meile des Wirtschaftsverkehrs, zum Personenverkehr sowie große Datenanalysen durchgeführt. http://www.frankfurt-university.de/relut
Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Research Lab for Urban Transport (ReLUT), Prof. Dr.-Ing. Dennis Knese, Telefon: +49 69 1533-2445, E-Mail: knese@fra-uas.de
Zum Projekt „Fahrradfreundliche Nebenstraßen“: http://www.frankfurt-university.de/?id=11019
Vollständige Bildunterschrift:
Zur Umgestaltung des Grüneburgwegs sowie der Achse Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße liegen die Abschlussberichte im Projekt „Fahrradfreundliche Nebenstraßen“ vor. (V.l.n.r.): Stefan Lüdecke, Büroleiter, Dezernat für Mobilität der Stadt Frankfurt a.M., Wolfgang Siefert, Mobilitätsdezernent der Stadt Frankfurt am Main, Prof. Dr. Susanne Rägle, Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Internationalisierung der Frankfurt UAS, Prof. Dr.-Ing. Dennis Knese, Professor für Nachhaltige Mobilität und Radverkehr, Frankfurt UAS.
Bildquelle: Frankfurt UAS
Abschlussbericht Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße: https://doi.org/10.48718/zjs8-cj69
Abschlussbericht Grüneburgweg: https://doi.org/10.48718/btth-np47
https://bit.ly/PK_Grueneburgweg (verfügbar bis zum 15.06.2025): Pressematerial zum Projekt „Fahrradfreundliche Nebenstraßen“ finden Sie in der Nextcloud.
Vorstellung der Abschlussberichte im Projekt "Fahrradfreundliche Nebenstraßen". (V.l.n.r.): Stefan L ...
Frankfurt UAS
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, all interested persons
Economics / business administration, Environment / ecology, Social studies, Traffic / transport
regional
Cooperation agreements, Research results
German
Vorstellung der Abschlussberichte im Projekt "Fahrradfreundliche Nebenstraßen". (V.l.n.r.): Stefan L ...
Frankfurt UAS
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