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06/04/2025 08:04

Neues Verfahren für piezoelektrische Dünnschichten: Mit dem richtigen Timing zu besserer Elektronik

Anna Ettlin Kommunikation
Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

    Wenn Bruchteile von Sekunden entscheiden: Empa-Forschende haben ein Verfahren für High-Tech-Dünnschichten entwickelt, in dem ein ausgeklügeltes Timing hochwertige funktionale Schichten bei niedriger Prozesstemperatur ermöglicht. Anwendungen für die neue Methode gibt es sowohl in der Halbleiter-Industrie als auch in künftigen Quanten- und Photonik-Technologien.

    Unser Alltag ist so durchsetzt von Elektronik, dass wir sie kaum noch bewusst wahrnehmen. Beim beiläufigen Griff zum Smartphone denkt man kaum daran, wie komplex ein solches Gerät eigentlich ist. Hunderte von winzigen Komponenten spielen darin zusammen – jede davon ein hochpräzises Meisterwerk der Ingenieurskunst.
    Zu diesen kaum wahrgenommenen Komponenten zählen Frequenzfilter. Sie stellen sicher, dass ein Gerät nur die richtigen Signale empfängt, sei es über WiFi oder über mobile Netzwerke. Jedes Gerät, das kabellos kommuniziert, enthält solche Filter. Häufig basieren sie auf sogenannten piezoelektrischen Dünnschichten. Piezoelektrische Materialien haben eine Besonderheit: Sie erzeugen eine elektrische Spannung, wenn man sie verformt, und verformen sich im Gegenzug, wenn man eine elektrische Spannung anlegt.

    Nebst Frequenzfiltern kommen piezoelektrische Dünnschichten für viele weitere Komponenten in der Mikroelektronik zum Einsatz, sei es als Sensoren, Aktoren oder winzige Energiewandler. Zusätzliche Anwendungen, etwa für Quantentechnologien, sind Gegenstand laufender Forschung. Eines ist jedoch klar: Damit solche Dünnschichten ihre Arbeit verrichten können, müssen sie eine hohe Qualität aufweisen. Je nach Zusammensetzung und Funktion der Dünnschicht braucht es dafür unterschiedliche Herstellungsverfahren.

    Empa-Forschende aus der Abteilung «Surface Science & Coating Technologies» haben ein neues Beschichtungsverfahren für piezoelektrische Dünnschichten entwickelt. Das besondere daran: Mit ihrer Methode lassen sich die High-Tech-Schichten in sehr hoher Qualität auf isolierenden Substraten und bei relativ niedriger Temperatur herstellen – ein Novum. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden in der Fachzeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht und das Verfahren zum Patent angemeldet.

    Neue Stärken für bekanntes Verfahren

    Als Grundlage diente den Forschenden ein gängiges Beschichtungsverfahren namens HiPIMS – kurz für «high power impulse magnetron sputtering», auf Deutsch Hochleistungsimpulsmagnetronsputtern. Magnetronsputtern ist ein Beschichtungsverfahren, bei dem Material aus einem Ausgangstoff – dem Target – auf einem zu beschichtenden Bauteil – dem Substrat – abgeschieden wird. Hierfür wird am Target ein Prozessgas-Plasma gezündet. Die Prozessgas-Ionen – meistens Argon – werden dabei auf das Target geschossen, aus dem sie dann Atome herausschlagen, die anschliessend auf dem Substrat landen und die gewünschte Dünnschicht bilden. Als Target kommen viele Materialien in Frage. Für piezoelektrische Anwendungen sind es oft Metalle, mit denen sich unter Zugabe von Stickstoff Nitride, z.B. Aluminiumnitrid, herstellen lassen.
    Das HiPIMS-Verfahren läuft im Grunde genommen genau gleich ab – nur, dass der Prozess nicht laufend stattfindet, sondern in kurzen, aber besonders energiereichen Pulsen. Dies führt nicht nur dazu, dass die herausgeschlagenen Target-Atome schneller unterwegs sind. Viele von ihnen werden bei ihrem Weg durch das Plasma auch ihrerseits ionisiert. Das macht das Verfahren spannend für die Forschung. Im Gegensatz zu neutralen Atomen, lassen sich Ionen beschleunigen, zum Beispiel indem am Substrat eine negative Spannung angelegt wird. Seit rund 20 Jahren wird das Verfahren zur Herstellung von Hartstoffschichten genutzt. Hier sorgen die hohen Energien für besonders dichte und widerstandsfähige Schichten.

    Für piezoelektrische Dünnschichten kam das Verfahren bisher jedoch nicht in Frage. Denn wenn am Substrat eine Spannung anliegt, werden nicht nur die schichtbildenden Target-Ionen auf das Substrat beschleunigt, sondern auch die Argon-Ionen aus dem Prozessgas. Diesen Argon-Beschuss gilt es zu vermeiden. «In Hartstoffschichten können teilweise mehrere Prozent Argon eingeschlossen sein», weiss Empa-Forscher Sebastian Siol. «An eine piezoelektrische Dünnschicht müssen oft hohe Spannungen angelegt werden. Da würde das zu einem katastrophalen elektrischen Breakdown führen.»

    Dennoch glaubten die Forschenden rund um Siol an das Potenzial von HiPIMS für piezoelektrische Dünnschichten. Die hohe Energie, mit der die Ionen auf das Substrat zufliegen, ist nämlich äusserst vorteilhaft. Prallt das Ion mit genügend Energie auf, bleibt es auf dem Substrat noch eine kurze Zeit mobil und kann einen optimalen Platz im wachsenden Kristallgitter finden. Aber was tun gegen die Argon-Einschlüsse?

    Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelte Jyotish Patidar eine clevere Lösung. Nicht alle Ionen kommen gleichzeitig am Ziel an. Der Grossteil der Argon-Ionen befindet sich im Plasma vor dem Target. Somit sind sie oft schneller am Substrat angelangt als die Target-Ionen, die erst einmal aus dem Target geschlagen werden müssen und zusätzlich die gesamte Strecke überqueren müssen. Patidars Kunstgriff war das Timing: «Wenn wir die Spannung am Substrat genau im richtigen Moment anlegen, beschleunigen wir nur die gewünschten Ionen», erklärt Siol. Die Argon-Ionen sind zu diesem Zeitpunkt bereits vorbeigeflogen – ohne die zusätzliche Beschleunigung haben sie zu wenig Energie, um auf dem Substrat Fuss zu fassen.

    «Elektronendusche» als Fluglotse

    Mit diesem Kniff gelang es den Forschenden, erstmals hochwertige piezoelektrische Dünnschichten im HiPIMS-Verfahren herzustellen – gleichwertig oder sogar besser als mit herkömmlichen Methoden. Nun kam die nächste Herausforderung: Je nach Anwendung will man die Dünnschicht auf einer isolierenden Unterlage herstellen, etwa Glas oder Saphir. Ist das Substrat nichtleitend, kann aber keine Spannung daran angelegt werden. Zwar gibt es in der Industrie eine Möglichkeit, die Ionen trotzdem zu beschleunigen – aber auch sie führt oft zu Argon-Einschlüssen in der Schicht.

    Hier gelang den Empa-Forschenden der Durchbruch. Um die Ionen auf das isolierende Substrat zu beschleunigen, nutzen sie den Magnetron-Puls selbst – den kurzen Impuls, der die Prozessgas-Ionen auf das Target schiesst. Das Plasma in der Kammer enthält nämlich nicht nur Ionen, sondern auch Elektronen. Jeder Puls des Magnetrons beschleunigt automatisch auch diese negativ geladenen Elementarteilchen auf das Substrat. Die winzigen Elektronen kommen dabei viel schneller als die Ionen am Ziel an.

    Normalerweise ist diese «Elektronendusche» für den HiPIMS-Prozess nicht weiter relevant. Wenn die Elektronen am Substrat ankommen, verleihen sie ihm aber für einen Sekundenbruchteil eine negative Ladung – genug, um Ionen zu beschleunigen. Lösen die Forschenden einen nachfolgenden Magnetron-Puls im genau richtigen Zeitabstand aus, beschleunigt die Elektronendusche jeweils diejenigen Target-Ionen, die beim vorangehenden Puls «losgeflogen» sind. Und natürlich lässt sich das Timing auch hier so einstellen, dass nur die richtigen Ionen in der Dünnschicht landen.

    Von Chips zu Qubits

    Die Resultate überzeugen: «Mit unserer Methode konnten wir auf isolierenden Substraten genau so gute piezoelektrische Dünnschichten herstellen wie auf leitfähigen», resümiert Siol. Das Verfahren nennen die Forschenden «Synchronized Floating Potential HiPIMS», kurz SFP-HiPIMS. Der grosse Vorteil: Mit SFP-HiPIMS lassen sich piezoelektrische Dünnschichten in sehr hoher Qualität bei niedrigen Temperaturen produzieren. Das öffnet neue Wege für die Herstellung von Chips und Elektronikkomponenten, die oft keine Temperaturextreme vertragen. Insbesondere das Verfahren für isolierende Substrate ist für die Halbleiterindustrie von Bedeutung: «Die Prozesse bei der Halbleiterherstellung sind so gestaltet, dass oft gar keine Möglichkeit besteht, eine elektrische Spannung am Substrat anzulegen», weiss Siol.

    Mit seiner Forschungsgruppe widmet er sich als nächstes der Herstellung von ferroelektrischen Dünnschichten – eine weitere Schlüsseltechnologie in der heutigen und auch künftigen Elektronik. Ausserdem starten die Empa-Forschenden aufgrund dieses Erfolgs gleich mehrere Projekte mit anderen Forschungsinstitutionen, um ihre Dünnschichten in Anwendungen von Photonik bis Quantentechnologien zu bringen. Und schliesslich wollen sie das innovative Verfahren mit Hilfe von maschinellem Lernen und Hochdurchsatz-Experimenten noch weiter optimieren.


    Contact for scientific information:

    Dr. Sebastian Siol
    Coating Technologies
    Tel. +41 58 765 43 80
    sebastian.siol@empa.ch


    Original publication:

    J Patidar, O Pshyk, K Thorwarth, L Sommerhäuser, S Siol: Low temperature deposition of functional thin films on insulating substrates enabled by selective ion acceleration using synchronized floating potential HiPIMS; Nature Communications (2025); doi: 10.1038/s41467-025-59911-y


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    Argon-Plasma in der Vakuumkammer beim Magnetron-Sputtern, mit dem Substrat in der Bildmitte.
    Argon-Plasma in der Vakuumkammer beim Magnetron-Sputtern, mit dem Substrat in der Bildmitte.

    Empa

    Das Team um die Empa-Forscher Jyotish Patidar (links) und Sebastian Siol hat durch cleveres Timing die Herstellung von hochwertigen piezoelektrischen Dünnschichten mittels HiPIMS-Verfahren ermöglicht.
    Das Team um die Empa-Forscher Jyotish Patidar (links) und Sebastian Siol hat durch cleveres Timing d ...

    Empa


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Materials sciences, Mechanical engineering
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Argon-Plasma in der Vakuumkammer beim Magnetron-Sputtern, mit dem Substrat in der Bildmitte.


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