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06/12/2025 11:13

Ein neues Fenster zum geheimen Leben der Tiere

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Das Verhalten von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum detailgetreu beobachten? Forschende des Konstanzer Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ haben ein einzigartiges Outdoor-Kamerasystem entwickelt, um die dreidimensionalen Bewegungen und Körperhaltungen von Wildvögeln zu erfassen. Das mobile, feldtaugliche System kann an eine Vielzahl von Experimenten und Tierarten angepasst werden.

    Um das Leben von Tieren besser zu verstehen – zum Beispiel ihre sozialen Netzwerke, ihr Wanderverhalten oder ihre Interaktionen mit der Umwelt – benötigt die Forschung detaillierte Daten darüber, wie sie sich in ihrem natürlichen Lebensraum verhalten. Doch wie können diese Daten im Freiland, also fernab von den technischen Möglichkeiten eines voll ausgestatteten Verhaltenslabors, erhoben werden? Forschende des Konstanzer Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ haben für diesen Zweck das mobile Kamerasystem „3D-SOCS“ (kurz für „3D Synchronized Outdoor Camera System“) entwickelt und zur Erforschung wildlebender Meisen eingesetzt.

    Das hochmoderne System zur Erfassung von Verhaltensdaten wurde gerade in der Fachzeitschrift Methods in Ecology and Evolution veröffentlicht. Mithilfe von zwei oder mehr synchronisierten Kameras ermöglicht es die präzise und markerlose 3D-Nachverfolgung der Körperhaltungen und Bewegungen von mehreren Vögeln gleichzeitig. „3D-SOCS ist eines der ersten Freiland-Systeme, mit denen das möglich ist. Bisher wurde eine vollständige dreidimensionale Nachverfolgung der Körperhaltung mehrerer Individuen fast ausschließlich in Innenräumen und bei in Gefangenschaft lebenden Tieren durchgeführt“, sagt Alex Hoi Hang Chan, der die Studie gemeinsam mit Michael Chimento geleitet hat.

    „3D-SOCS ist ein großer Fortschritt für die Erforschung des Verhaltens wildlebender Tiere“, so Chimento. „Unsere Methode eröffnet neue Möglichkeiten für die Untersuchung von Kognition und Sozialverhalten unter ökologisch validen Bedingungen.“

    Die Reaktionen von Wildvögeln im Blick
    Um die Möglichkeiten zu veranschaulichen, die 3D-SOCS bietet, setzte das Forschungsteam das System in einem Wald nahe dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Möggingen ein, wo Populationen von Kohl- und Blaumeisen leben. In einem Freilandversuch vor Ort präsentierten die Forschenden den Vögeln visuelle Reize – von Mehlwürmern bis hin zu einem ausgestopften Vogel. Sie verwendeten 3D-SOCS, um zu erfassen, wie die Vögel als Reaktion auf diese Objekte ihre Kopfposition veränderten. Die gewonnenen Daten erlaubten Rückschlüsse auf die Nutzung des Sehfeldes der einzelnen Vögel und sogar auf deren Lateralisation – die Bevorzugung eines Auges gegenüber dem anderen. So konnten mit dem System feine Unterschiede in der visuellen Aufmerksamkeit zwischen einzelnen Vögeln aufgedeckt werden.

    Über die Messung von Verhalten hinaus bietet 3D-SOCS auch leistungsstarke Tools für ein ökologisches Monitoring. Mithilfe der vom System gelieferten Daten zur Körperhaltung ermittelten die Forschenden beispielsweise das Körpervolumen der Vögel als Näherungswert für deren Gewicht und erzielten eine sehr hohe Übereinstimmung mit per Waage erhobenen Daten. Der Vorteil einer Schätzung solcher Körperparameter über das Kamerasystem liegt auf der Hand: Die Datenerhebung ist nicht-invasiv, sprich die Tiere müssen für die Messung nicht jedes Mal eingefangen werden.

    Das Verfahren ebnet dadurch den Weg für die vollautomatische Beobachtung des Körper- oder Gesundheitszustands von Wildtieren und sogar für eine automatische Artenklassifizierung im Feld. Hinzu kommt: 3D-SOCS ist eine offene Plattform. Alle Hardware-Pläne und Software-Pipelines stehen im Sinne von Open Science frei zur Verfügung. Dadurch ist eine einfache Anpassung an verschiedene Untersuchungssysteme und Tierarten möglich.

    Ein Schritt nach vorn für die Freiland-Verhaltensforschung
    Insgesamt eröffnet 3D-SOCS neue Wege für Synergien zwischen Labor- und Feldforschung. Durch eine detaillierte Verhaltensnachverfolgung in freier Wildbahn, wie sie bisher nur in Laborumgebungen möglich war, schließt das System die Lücke zwischen kontrollierten, hochauflösenden Laborstudien und ökologisch validen, aber oft weniger detaillierten Freilandbeobachtungen. „Dies gestattet einen integrierten Ansatz, bei dem die Stärken beider Welten kombiniert werden können, sodass hier potentiell ein neues interdisziplinäres Feld in der Verhaltens- und kognitiven Ökologie entsteht“, sagt Fumihiro Kano, Letztautor der Studie.

    Zu Zeiten, in denen der Bedarf an hochdetaillierten Verhaltensdaten in der Ökologie und der Forschung zum Naturschutz wächst, bietet 3D-SOCS eine durchdachte und leicht zugängliche Lösung. „Dieses neue Fenster in das geheime Leben der Tiere ist im Begriff, grundlegend die Art und Weise zu verändern, wie wir Verhalten erforschen – vom Waldboden bis in die Baumwipfel“, so Kano.

    Faktenübersicht:
    • Originalpublikation: Michael Chimento, Alex Hoi Hang Chan, Lucy M. Aplin, Fumihiro Kano. 2025. Peering into the world of wild passerines with 3D-SOCS: synchronized video capture and posture estimation. Methods in Ecology Evolution; DOI: 10.1111/2041-210x.70051
    • Konstanzer Forschende haben ein einzigartiges Kamera-System (3D-SOCS) entwickelt, das eine präzise, automatisierte und markerlose 3D-Verfolgung der Körperhaltung und der Bewegungen von Wildvögeln ermöglicht.
    • Alex Hoi Hang Chan und Dr. Michael Chimento sind Teil der Arbeitsgruppe von Dr. Fumihiro Kano, Junior-Gruppenleiter im Exzellenzcluster Kollektives Verhalten (Universität Konstanz).
    • Der Exzellenzcluster Kollektives Verhalten der Universität Konstanz ist ein weltweit führendes Spitzenforschungszentrum für die Erforschung von Schwarmverhalten. Interdisziplinär werden drängende Fragen über Arten- und Organisationsebenen hinweg angegangen, von neuronalen Mechanismen über individuelle Wahrnehmung und Präferenzen bis hin zu kollektivem Verhalten in Gruppen oder ganzen Gesellschaften.
    • Open Science: Alle Hardware-Pläne und Software-Pipelines für 3D-SOCS sind frei verfügbar, was eine einfache Anpassung an verschiedene Studiensysteme und Tierarten ermöglicht.
    • Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI)

    Hinweis an die Redaktionen:
    Fotos können im Folgenden heruntergeladen werden:

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_extra/neues_fenster_1.p...
    Bildunterschrift: Eine Kohlmeise blickt mit ihrem linken Auge zu einem Stimulus. Die gelben Linien zeigen die von 3D-SOCS berechnete Kopfposition. Die anderen Linien zeigen in Richtung Mittelpunkt der berechneten lateralen und binokularen Gesichtsfelder.
    Copyright: Universität Konstanz, Comparative Cognition and Sociality Lab

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_extra/neues_fenster_2.p...
    Bildunterschrift: 3D-SOCS ist ein mobiles Labor für 3D-Tracking. Im Beispiel verfolgen sechs Kameras die Bewegungen und Körperhaltungen aller Meisen, die den Käfig betreten. Das System ist batteriebetrieben und kann im Freiland verwendet werden.
    Copyright: Universität Konstanz, Comparative Cognition and Sociality Lab


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Environment / ecology
    transregional, national
    Research results
    German


     

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