Neue Studie untersucht „Realexperimente“
IMK: Kein empirischer Beleg dafür, dass weniger Feiertage das Wachstum stärken
In der Empirie gibt es keine Belege dafür, dass die Abschaffung von Feiertagen die Wirtschaftsleistung erhöht. Das zeigt die Analyse von konkreten Fällen, in denen in Deutschland beziehungsweise in einzelnen Bundesländern in den vergangenen 30 Jahren arbeitsfreie Feiertage gestrichen oder neu eingeführt wurden. In gut der Hälfte der Fälle entwickelte sich die Wirtschaft sogar danach in jenen Bundesländern besser, in denen arbeitsfreie Feiertage beibehalten wurden oder neu hinzukamen.
Das ergibt eine neue Kurzstudie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.* „Die Gleichung: Wenn Feiertage wegfallen, steigt das Wachstum, geht offensichtlich nicht auf. Denn sie ist zu simpel und wird einer modernen Arbeitsgesellschaft nicht gerecht – so wie viele aktuelle Ideen zur Arbeitszeitverlängerung“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien,wissenschaftlicher Direktor des IMK und Ko-Autor der Untersuchung. „Die Forderung nach einem solchen Schritt zur Wachstumsförderung ist deshalb nicht zielführend.“
Üblicherweise wird die These einer positiven wirtschaftlichen Wirkung gestrichener Feiertage damit begründet, dass in Monaten mit besonders vielen Feiertagen (oder wenig Arbeitstagen, wie durch die regelmäßig kurze Monatslänge im Februar) weniger produziert wird als in anderen Monaten. So kalkuliert etwa das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft mit einer vermeintlichen zusätzlichen Wirtschaftsleistung von 5 bis 8,6 Milliarden Euro pro gestrichenem Feiertag, oder etwa 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Betrachtet man allerdings reale Fälle, in denen die Zahl der Feiertage verändert wurde, sieht das Bild anders aus. Das IMK betrachtet sechs solcher „Realexperimente“ seit 1990. Dabei wurden in manchen Bundesländern gesetzliche Feiertage gestrichen oder neu eingeführt, in anderen nicht. Hier kann man im Jahr der Einführung oder Streichung die Wirtschaftsleistung dieser Länder mit jener der Bundesrepublik insgesamt und ähnlich strukturierten (benachbarten) Bundesländern vergleichen.
Dullien und die IMK-Forscher*innen Dr. Ulrike Stein und Prof. Dr Alexander Herzog-Stein betrachten in ihrer Studie: Erstens die Abschaffung des Buß- und Bettages in allen Bundesländern außer Sachsen ab dem Jahr 1995, zweitens die einmalige Ausdehnung des Reformationstages auf alle Bundesländer 2017, drittens den erneuten Wegfall des arbeitsfreien Reformationstages in vielen Bundesländern im Folgejahr, viertens die Einführung des Internationalen Frauentages als gesetzlicher Feiertag in Berlin 2019, fünftens die Einführung des Weltkindertages in Thüringen im selben Jahr und sechstens die Einführung des Internationalen Frauentags als gesetzlicher Feiertag in Mecklenburg-Vorpommern 2023. Basis für die Analyse sind die Daten des Statistischen Bundesamts zum jährlichen nominalen Bruttoinlandsprodukt auf Ebene der Bundesländer.
Würde die einfache Gleichung aufgehen: „Weniger Feiertage = Mehr Wirtschaftsleistung“, dann müsste man 1995 ein niedrigeres Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Sachsen als in anderen Bundesländern sehen, ebenso in Berlin und Thüringen 2019 und in Mecklenburg-Vorpommern 2023. 2017 müsste das Bruttoinlandsprodukt in jenen Bundesländern, die den Reformationstag erstmals als gesetzlichen Feiertag begingen, langsamer gewachsen sein als im Rest der Republik, 2018 dann in jenen Ländern stärker, in denen der Reformationstag nicht mehr gesetzlicher Feiertag war.
Sachsen 1995: Beibehaltung des Buß- und Bettages
Tatsächlich hat sich das Bruttoinlandsprodukt 1995 in Sachsen aber stärker entwickelt als im Rest Deutschlands. Nominal wuchs die Wirtschaftsleistung im Bundesschnitt um 3,4 Prozent, im ostdeutschen Freistaat dagegen um 9,7 Prozent. Dabei stellen die Forschenden natürlich in Rechnung, dass Mitte der 1990er Jahren noch der wirtschaftliche Aufholprozess in Ostdeutschland lief. Es ist also plausibel, dass Sachsens Wirtschaft deutlich schneller wuchs als jene Gesamtdeutschlands. Ein Vergleich mit den angrenzenden ostdeutschen Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen zeigt allerdings: Auch ihnen gegenüber legte das nominale BIP in Sachsen 1995 erheblich stärker zu, obwohl die beiden anderen Bundesländer den Buß- und Bettag als Feiertag strichen. Der Vorsprung lag bei 3,7 Prozentpunkten gegenüber Sachsen-Anhalt und 4,3 Prozentpunkten gegenüber Thüringen (siehe auch Abbildung 1 in der Studie; Link unten).
Reformationstag 2017 und 2018
2017 wurde anlässlich des 500. Jahrestags der Reformation in allen Bundesländern der 31. Oktober als gesetzlicher Feiertag begangen. In den ostdeutschen Bundesländern, in denen der Feiertag schon zuvor gesetzlich verankert war, fiel das nominale Wachstum in diesem Jahr tatsächlich minimal um 0,2 Prozentpunkte stärker aus als in jenen Ländern, in denen der Reformationstag einmalig arbeitsfrei war (Abbildung 2 in der Studie).
Allerdings zeigte der Wegfall des Feiertages im Folgejahr in den betroffenen Bundesländern wiederum keinen positiven Effekt. 2018 war der 31. Oktober in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland wieder normaler Arbeitstag. Vergleicht man das Wirtschaftswachstum in diesen Bundesländern mit jenen westdeutschen Bundesländern, die den Reformationstag 2017 als gesetzlichen Feiertag eingeführt haben und 2018 beibehielten, so hatten die Bundesländer mit Wegfall des Feiertages sogar ein minimal um 0,2 Prozentpunkte schwächeres Wirtschaftswachstum als jene, die den Feiertag dauerhaft beibehielten (Bremen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein; Abbildung 3).
Internationaler Frauentag in Berlin und Weltkindertag in Thüringen 2019
In Berlin wurde 2019 der Internationale Frauentag am 8. März erstmals als gesetzlicher Feiertag begangen. Die Wirtschaftsleistung in der Bundeshauptstadt entwickelte sich in dem Jahr besser als im Bundesdurchschnitt: Der Vorsprung beim Wachstum des nominalen BIPs lag bei 2,0 Prozentpunkten. Auch im Vergleich zu den anderen beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie dem umliegenden Brandenburg wuchs das BIP in Berlin stärker, nicht schwächer.
In Thüringen wurde ebenfalls 2019 der Weltkindertag am 20. September als gesetzlicher Feiertag eingeführt. Hier fiel das Wachstum um 0,4 Prozentpunkte niedriger aus als im Bundesdurchschnitt (Abbildung 4).
Internationaler Frauentag in Mecklenburg-Vorpommern 2023
In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Internationale Frauentag 2023 gesetzlicher Feiertag. Dort fiel das Wachstum höher aus als in der Bundesrepublik insgesamt und im angrenzenden Bundesland Schleswig-Holstein, allerdings niedriger als in Brandenburg und Niedersachsen (Abbildung 5). Zu beachten ist hier laut IMK jedoch, dass es sowohl für Niedersachsen als auch für Mecklenburg-Vorpommern 2023 Sonderfaktoren gab: In Stade wurde in dem Jahr ein LNG-Terminal fertiggebaut und in Betrieb genommen. Mecklenburg-Vorpommern war zum einen besonders negativ von der Unterbrechung der russischen Gaslieferungen durch die Nordstream-Pipelines betroffen, gleichzeitig liefen die Vorbereitungen für die Inbetriebnahme eines LNG-Terminals in Mukran 2024, die das BIP erhöht haben dürften. Von daher sei fraglich, wie aussagekräftig letztlich dieses Beispiel ist.
Schaden weniger Feiertage der Produktivität?
Dass ein Feiertag weniger keinen klaren positiven Einfluss auf die Wirtschaftsleistung hat, erklären die Forschenden des IMK einerseits mit der Flexibilität einer modernen Volkswirtschaft: Unternehmen planen die Abarbeitung ihrer Aufträge so, dass diese möglichst nicht an Feiertagen stattfindet, auch, weil dann Zuschläge gezahlt werden. Unklar ist, ob ohne diese Feiertage tatsächlich über das Jahr mehr produziert würde – wie es die Befürworter*innen von Streichungen annehmen –, oder ob die Produktion nur anders verteilt würde.
Viel spricht aber laut IMK dafür, dass – auch in Zeiten vielerorts beklagten Fachkräftemangels – die Nachfragesituation der Unternehmen der bestimmende und begrenzende Faktor für die Produktion ist. So gaben in den jüngsten Umfragen des Ifo-Instituts 36,8 Prozent der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes an, mangelnde Aufträge seien ein Hindernis für die Produktion, während nur 17,5 Prozent sagten, Personalmangel behindere die Produktion.
Hinzu kommt, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion nicht nur auf die geleistete Zahl der Arbeitsstunden zurückgeht, sondern auch Produktivität und Innovation eine wichtige Rolle spielen. „Denkbar ist, dass die Beobachtung fehlender positiver Wachstumseffekte einer geringeren Zahl an Feiertagen darauf zurückgeht, dass die geringere Erholungszeit die Produktivität senkt“, schreiben Dullien, Stein und Herzog-Stein. Möglich sei auch der Effekt, dass Erwerbstätige, die sich durch ihre Arbeit und andere Verpflichtungen in Familie oder Haushalt stark belastet fühlen, zumindest mittel- und langfristig als Reaktion auf die Streichung des Feiertages ihr Arbeitsangebot an anderer Stelle zurückfahren, etwa durch die Verringerung der Arbeitszeit in Teilzeitstellen oder die Aufgabe eines zusätzlichen Minijobs. So gibt es Hinweise, dass während der Covid-Pandemie Pflegekräfte als Reaktion auf die hohe Belastung ihre Arbeitszeit verringert haben.
Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung
Prof. Dr. Sebastian Dullien
Wissenschaftlicher Direktor des IMK
Tel.: 0211-7778-331
E-Mail: Sebastian-Dullien@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: presse@boeckler.de
https://www.imk-boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-009154 - Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Ulrike Stein: Abschaffung von Feiertagen als „Wachstumsbooster“: Idee ohne robustes empirisches Fundament. IMK Kommentar Nr. 14, Juni 2025
https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-arbeitstage-von-ueber-12-stun... - Hintergrundinformation: Eine aktuelle Studie analysiert die Folgen weiterer Ideen zur Deregulierung und Verlängerung von Arbeitszeiten
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Economics / business administration, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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