Nach Jahrzehnten der Suche könnte nun ein exotischer Materiezustand gefunden worden sein: Ein internationales Team mit Beteiligung der TU Wien präsentiert entscheidende Hinweise.
Seit den 1970er-Jahren wird darüber spekuliert, ob es Materialien geben könnte, die eine ganz spezielle Form magnetischer Unordnung zeigen – die sogenannten „Quanten-Spin-Flüssigkeiten“ (Quantum Spin Liquids, QSL).
Solche Materialien sind aus mehreren Gründen hochinteressant. Sie könnten ein Schlüssel für die Entwicklung neuer Supraleiter sein, auch für Quantencomputer und ähnliche Anwendungen würden sie neue Möglichkeiten eröffnen. Doch echte Quanten-Spin-Flüssigkeiten sind schwer zu finden. Viele Experimente wurden durchgeführt, vor allem mit zweidimensionalen Materialien. Aber obwohl durchaus vielversprechende Eigenschaften von QSLs gefunden wurden, gab es nie eine echte Übereinstimmung zwischen Experiment und Theorie.
Nun gelang es aber einem internationalen Team mit Beteiligung der TU Wien, der Rice University in Texas, der Universität von Toronto, der Rutgers University und mehreren Neutronen-Streu-Anlagen, den ersten überzeugenden Kandidaten für eine echte dreidimensionale Quanten-Spin-Flüssigkeit zu finden: Experimente mit Cer-Zirkon-Oxid (Ce₂Zr₂O₇) zeigen Schlüsselsignaturen, die man von einer Quanten-Spin-Flüssigkeit erwarten würde – unter anderem sogenannte „emergente Photonen“ – das sind keine echten Photonen, sondern magnetische Effekte, die sich verblüffenderweise wie Photonen verhalten. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Physics“ publiziert.
Geordnete Magnete, ungeordnete Flüssigkeit
Bei gewöhnlichen Magneten richten sich die Spins – die quantenmechanischen Drehimpulse der einzelnen Teilchen – in einem regelmäßigen Muster aus. Sie können zum Beispiel alle in dieselbe Richtung zeigen, das ist beim gewöhnlichen Ferromagnetismus der Fall, zumindest wenn das Material unterhalb einer gewissen Temperatur bleibt.
Es gibt aber auch Materialien, die selbst am absoluten Temperatur-Nullpunkt keine magnetische Ordnung haben. Die Spins bleiben, auch wenn man sie abkühlt, in ständiger quantenmechanischer Bewegung. „Sie verhalten sich dabei wie eine flüssige Form von Magnetismus – ohne starre Ordnung“, erklärt Prof. Silke Bühler-Paschen vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. Eine Quanten-Spin-Flüssigkeit ist also keine Flüssigkeit wie wir sie kennen - es handelt sich um Festkörper. Der Begriff „Flüssigkeit“ bezieht sich auf die magnetische Ordnung im Material.
Obwohl die einzelnen Spins im Material ungeordnet bleiben und in verschiedene Richtungen zeigen, sind sie allerdings quantenphysikalisch miteinander verschränkt. Ihre Richtungen erscheinen zufällig, sie hängen aber trotzdem miteinander zusammen. Eine Messung an einem Spin hat auch Einfluss auf die anderen Spins – und genau diese Verschränkung macht Quanten-Spin-Flüssigkeiten zu so einem wichtigen Hoffnungsträger für künftige Quantentechnologien.
Emergente Photonen – Licht, das kein echtes Licht ist
Es ist allerdings extrem schwer nachzuweisen, dass es sich bei einem bestimmten Material tatsächlich um eine Quanten-Spin-Flüssigkeit handelt. „Das ist auch der Grund, warum seit Jahrzehnten der echte Durchbruch auf diesem Gebiet ausgeblieben ist“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Wir haben nun Cer-Zirkon-Oxid untersucht, das ein dreidimensionales Netzwerk aus Spins bildet, in dem auch bei Temperaturen von 20 Millikelvin keine magnetische Ordnung auftritt. Dabei konnten wir erstmals Signale beobachten, die einen überzeugenden Hinweis auf eine dreidimensionale Quanten-Spin-Flüssigkeit liefern, insbesondere die sogenannten emergenten Photonen.“
Ähnlich wie Wasser, wenn es flüssig ist, angeregt werden kann, sodass Wellen entstehen, können auch die Spins einer Quanten-Spin-Flüssigkeit angeregt werden und Wellen produzieren. Diese Wellen verhalten sich in vielerlei Hinsicht wie Licht – obwohl sie kein Licht sind, sondern kollektive Anregungen einer großen Zahl von Spins. Man kann sie aber mathematisch mit denselben Formeln beschreiben, die man für die Beschreibung von Photonen verwendet. Die Messungen stimmen in Energie, Impuls und Polarisation genau mit den theoretischen Vorhersagen überein.
„Die Entdeckung dieser emergenten Photonen in Cer-Zirkon-Oxid ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass wir tatsächlich eine Quanten-Spin-Flüssigkeit gefunden haben“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Wir werden noch weitere Experimente dazu durchführen, aber Cer-Zirkon-Oxid ist damit aus unserer Sicht der bislang überzeugendste Kandidat für eine Quanten-Spin-Flüssigkeit.“ Geplant sind nun noch weitere Studien mit höherer Auflösung und an verwandten Materialien.
Prof. Silke Bühler-Paschen
Institut für Festkörperphysik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13716
silke.buehler-paschen@tuwien.ac.at
B. Gao et al., Neutron scattering and thermodynamic evidence for emergent photons and fractionalization in a pyrochlore spin ice, Nat. Phys. (2025). https://doi.org/10.1038/s41567-025-02922-9
Diana Kirschbaum im Labor von Prof. Silke Bühler-Paschen an der TU Wien
Source: Angelika Bosak/TU Wien
Copyright: Angelika Bosak/TU Wien
Criteria of this press release:
Journalists
Physics / astronomy
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).