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07/01/2025 11:00

»Zentraler Spieler im europäischen Energiemarkt«

Britta Widmann Kommunikation
Fraunhofer-Gesellschaft

    Im Verbundprojekt HydroConnect hat das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE untersucht, ob und wie die norwegische Wasserkraft einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Im Interview erläutert Dr. Philipp Härtel, Wissenschaftler am Fraunhofer IEE, welche Bedeutung die Wasserkraft des skandinavischen Landes für ganz Europa hat.

    Warum spielt die norwegische Wasserkraft eine wichtige Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels in Europa?

    Norwegen spielt eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung des Klimawandels in Europa, vor allem wegen seiner außergewöhnlich hohen Wasserkraftnutzung. Rund 90 Prozent des norwegischen Stroms stammen aus Wasserkraft. Das ist europaweit einzigartig.

    In vielen europäischen Ländern wird derzeit die Energieversorgung grundlegend umgebaut. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, wächst der Anteil wetterabhängiger erneuerbarer Energien wie Wind und Solar. Damit steigt der Bedarf an Flexibilität und Speichermöglichkeiten im Stromsystem – und genau hier kommt Norwegen ins Spiel. Die norwegische Wasserkraft kann sehr schnell auf Bedarfsschwankungen reagieren: Sie kann Strom in großem Umfang exportieren, wenn in Europa wenig Wind und Sonne verfügbar sind – und umgekehrt auch importieren, wenn es gerade ein Überangebot und damit niedrige Preise gibt. Diese Fähigkeit macht Norwegen zu einem zentralen Akteur in einem klimaneutralen, vernetzten europäischen Energiemarkt.

    Wie gelangt der Strom aus Wasserkraft in die europäischen Länder?

    Norwegen ist über sogenannte Interkonnektoren – das sind leistungsstarke Unterseekabel – mit dem kontinentaleuropäischen Stromnetz verbunden. Es bestehen direkte Verbindungen zu den Niederlanden, Dänemark, Deutschland und Großbritannien. Über diese Leitungen kann Norwegen mit seiner sehr flexiblen Wasserkraft helfen, die Schwankungen von Wind- und Solarenergie in anderen Ländern auszugleichen.

    Welche Aspekte beleuchten und bewerten Sie im Projekt HydroConnect?

    Ein besonderer Fokus lag auf der mittel- und langfristigen Ausgestaltung des europäischen Energiesystems, den Treibhausgasemissionen in Europa, den Strompreisen in Norwegen und Europa sowie den Umweltauswirkungen auf norwegische Stauseen und Flusssysteme. Zu beantworten galt es etwa die folgenden Fragen: Wie kann norwegische Wasserkraft zur Dekarbonisierung des europäischen Energiesystems beitragen? Welche Folgen hat die Teilnahme an den europäischen Märkten für das norwegische Stromsystem? Welche Auswirkungen hat die Teilnahme an den europäischen Märkten auf den Betrieb und die Erlöse von Wasserkraftwerken? Welche Auswirkungen hat der Betrieb von Wasserkraftwerken auf die Umweltbedingungen in den Stauseen?

    Welche Tools wurden für die Analysen eingesetzt?

    Konkret nutzen wir unser am Fraunhofer IEE entwickeltes Energiesystemmodell SCOPE Scenario Development, um Szenarien für die zukünftige Rolle der norwegischen Wasserkraft im europäischen Energiesystem zu untersuchen. Wir bilden die Wasserkraftsysteme detailliert ab und analysieren, wie sich diese flexible und klimafreundliche Energiequelle sowohl kurz- als auch langfristig – also mit Blick auf die Jahre 2030 und 2050 – auf das europäische Stromsystem auswirken könnte. In HydroConnect haben wir ein Basisszenario mit einem erweiterten Szenario verglichen, in dem Norwegen zusätzlich elf Gigawatt an Turbinen- und Pumpenkapazität aufbaut und neue Stromverbindungen zu seinen Nachbarländern entstehen.

    Besonders spannend ist, dass wir in jedem der Szenarien nicht nur eine Zukunft be-trachten, sondern gleich mehrere Varianten durchspielen: Was passiert zum Beispiel, wenn die norwegische Stromnachfrage stark steigt? Oder wenn die gesellschaftliche Akzeptanz für Onshore-Windkraft zurückgeht? Wie wirken sich mehr Offshore-Windparks, Offshore-Energy-Hubs oder unterschiedliche Importpreise für elektrolytisch erzeugte Energieträger wie Wasserstoff auf das Gesamtsystem aus?

    Wie gelingt die Darstellung von Wasserkraftsystemen?

    Damit wir die Wasserkraft realistisch abbilden können, greifen wir auf eine umfangreiche Datenbank des Fraunhofer IEE zurück, die europaweit Wasserkraftwerke und Stauseesysteme erfasst. Für unser Projekt haben wir diese Daten speziell für das nordische Stromsystem überprüft, abgeglichen und aktualisiert. Die Datenbank umfasst Informationen zu über 850 Wasserkraftsystemen, das sind mehr als 2800 einzelne Kraftwerke und rund 3600 Reservoire, die aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragen wurden.

    Neben technischen Details zu den Anlagen enthält die Datenbank auch komplexe Informationen über hydraulische Verbindungen – also wie die Komponenten miteinander gekoppelt sind – sowie Angaben zur grenzüberschreitenden Marktteilnahme, wie sie beispielsweise entlang des Rheins erfolgt. Diese Detailtiefe ist entscheidend, um in unseren Energiesystemmodellen das Verhalten der Wasserkraft realistisch zu simulieren, insbesondere ihre Speicherfähigkeit und Flexibilität, die im Zusammenspiel mit Wind- und Solarenergie von zentraler Bedeutung sind.

    Wodurch zeichnet sich HydroConnect aus?

    HydroConnect zeichnet sich vor allem durch seinen interdisziplinären Ansatz aus. Das Projekt bringt Fachwissen aus verschiedenen Bereichen zusammen – von Meteorologie, Energie- und Stromsystemanalyse bis hin zur Umweltforschung. So können wir Wetterdaten, Stromnachfrage, Stromerzeugung, den Betrieb von Wasserkraftwerken und die ökologischen Bedingungen in den Stauseen – wie etwa die Eisrissbildung – konsistent miteinander verknüpfen.

    Ein großer Vorteil dabei ist die Modellkopplung: Unsere Analysen reichen von der europäischen Systemebene bis hinunter zu einzelnen Einzugsgebieten und konkreten Stauseen. So bekommen wir ein sehr genaues Bild davon, wie Wasserkraftanlagen heute und in Zukunft betrieben werden können.

    Welche Ergebnisse zeigen die Analysen mit dem Modell SCOPE Scenario Development?

    Hier nur einige wesentliche Ergebnisse: Unsere Analysen zeigen, dass der Ausbau der norwegischen Wasserkraft – zusammen mit zusätzlichen Stromverbindungen zu anderen Ländern – deutliche Vorteile für das europäische Energiesystem bringt. Die Gesamtkosten sinken, und es kommt zu einer stärkeren Angleichung der Strompreise zwischen Norwegen, Kontinentaleuropa und Großbritannien. Unterschiede im Preisniveau und in der -volatilität werden geringer: In Norwegen steigen sie leicht an, während sie in den Nachbarländern deutlich zurückgehen.

    Besonders in Zeiten schwacher Wind- und Solareinspeisung dämpft die flexible Was-serkraft sonst auftretende Preisspitzen. Gleichzeitig steigen die Preise in Norwegen in diesen Zeiten nur moderat. Auch der Stromhandel über die Unterseekabel ist sehr dynamisch: Norwegen exportiert und importiert Strom regelmäßig im Tages- und Wochenverlauf. Unsere Szenarien zeigen außerdem: Je mehr Windkraft Norwegen zusätzlich ausbaut, desto höher sind seine Stromexporte. Steigt hingegen die heimische Nachfrage, sinken diese. Die Kombination aus Wasserkraft, Windkraft und Interkonnektoren ist also entscheidend für die künftige Exportfähigkeit und auch für die Frage, wie attraktiv die Wasserstoffproduktion in Norwegen wird.

    Bleibt Wasserkraft in Europa für klimaneutrale Energiesysteme unverzichtbar?

    Ja, Wasserkraft bleibt auch in Zukunft ein zentraler Baustein für ein klimaneutrales Energiesystem in Europa. Unsere Analysen zeigen: Allein durch den Ausbau der norwegischen Wasserkraft um elf Gigawatt und den Ausbau der Interkonnektoren kann der Investitionsbedarf in Europa deutlich reduziert werden – konkret um rund 70 Gigawatt an zusätzlicher Kapazität bei Photovoltaik, Elektrolyseuren und Batteriespeichern. Das demonstriert sehr deutlich, welchen systemischen Mehrwert flexible Wasserkraftanlagen und deren Anbindung an die Nachbarsysteme liefern.

    Gleichzeitig bleibt offen, wie sich die Vorteile eines solchen Ausbaus verteilen – wer am stärksten profitiert, wer mögliche Lasten trägt und wie soziale, ökologische und regionale Auswirkungen berücksichtigt werden sollten. Diese Fragen wurden im Projekt nicht vertieft untersucht, sie sind jedoch entscheidend für eine gerechte und tragfähige Umsetzung.



    Projekt HydroConnect

    Projektpartner:
    Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und für Energiesystemtechnik IEE, Norwegian University of Science and Technology, SINTEF Energy Research, The University of Trento

    Fördergeldgeber:
    The Research Council of Norway, Å Energi, BKK, EnergiNorge, Hydro Energi, Lyse Produksjon, Sira-Kvina kraftselskap


    More information:

    https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2025/juli-2025/zentraler...


    Images

    Norwegens Wasserkraft spielt eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung des Klimawandels in Europa.
    Norwegens Wasserkraft spielt eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung des Klimawandels in Europa.

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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Construction / architecture, Energy, Environment / ecology, Geosciences, Oceanology / climate
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research projects
    German


     

    Norwegens Wasserkraft spielt eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung des Klimawandels in Europa.


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