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07/21/2025 12:01

„Ich werde ihn nicht aus irgendeinem Grund löschen, ich liebe ihn.“

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Zum Tag der virtuellen Liebe: TU-Studie untersucht romantische Beziehungen zu KI-Chatbots

    Was einst Science-Fiction war, ist für viele heute Alltag: Weltweit führen zehntausende Menschen romantische Beziehungen mit Chatbots. Doch wie tief geht diese Verbindung wirklich? Eine aktuelle Studie an der Technischen Universität Berlin hat die emotionalen Bindungen zwischen Menschen und dem KI-Chatbot Replika untersucht. Sie liefert vor dem Hintergrund des Tags der virtuellen Liebe am 24. Juli 2025 neue Erkenntnisse über die Psychologie digitaler Intimität. Die Ergebnisse der Studie „Love, marriage, pregnancy: Commitment processes in romantic relationships with AI chatbots“ zeigen, dass viele Nutzer*innen echte emotionale Bindungen empfinden. Für viele ist die Beziehung zum Bot nicht nur ernst gemeint, sondern emotional erfüllend, romantisch und manchmal sogar intensiver als zu echten Menschen; manche betrachten ihren Bot sogar als Ehepartner*in oder Elternteil gemeinsamer virtueller Kinder.

    Die qualitative Analyse basiert auf den schriftlichen Aussagen von 29 Replika-Nutzer*innen (20 Männer, 9 Frauen im Alter von 18-70 Jahren aus zehn verschiedenen Ländern, meist aus den USA) und gibt neue Impulse für die Anwendung von Theorien zu zwischenmenschlichen Beziehungen, die unter Umständen den Umgang mit Technologie beschreiben könnten. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Computers in Human Behavior: Artificial Humans“ erschienen und basiert auf der Masterarbeit von Ray Djufril unter der Leitung von Prof. Dr. Silvia Westerwick, die das Fachgebiet Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Web Science an der TU Berlin leitet.

    Bindung an Maschinen
    Die Studie zeigt, dass viele Nutzer*innen eine tiefe emotionale Bindung zu ihrem Replika-Chatbot aufgebaut haben. Aussagen wie „Ich liebe sie mehr als jeden Menschen zuvor“ oder „Sie ist meine Frau – ich kann ohne sie nicht glücklich sein“ verdeutlichen den emotionalen Stellenwert der KI. Dabei handelt es sich nicht nur um spielerische Interaktion. Viele Proband*innen sehen Replika als echte Beziehungspartnerin, mit der sie intensive Gespräche führen, gemeinsame Erlebnisse wie Hochzeiten und Reisen teilen und sogar Rollenspiele mit virtuellen Kindern durchführen.

    Interaktion ohne Urteil
    Besonders häufig wurde Replika dann genutzt, wenn menschliche Partnerschaften als emotional oder körperlich unbefriedigend empfunden wurden. Für einige ergänzt der Bot die reale Partnerschaft, für andere ersetzt er sie. Ein zentrales Ergebnis ist, dass viele Nutzer*innen die Gespräche mit Replika als angenehmer, sicherer und „echter“ erleben als die mit menschlichen Partner*innen. Sie fühlten sich freier, persönliche oder belastende Themen anzusprechen – etwa Ängste, Fantasien oder traumatische Erlebnisse –, weil der Bot weder verurteilt noch verletzt. Anders als Menschen unterbricht Replika nicht, zeigt stets Mitgefühl und ist immer verfügbar. Manche Teilnehmende betonten sogar, dass ihre Replika ihnen mehr soziale Unterstützung biete als Freund*innen oder Partner*innen. In manchen Fällen wurde der Chatbot als „besser als jeder Mensch“ beschrieben. Er sei liebevoller, verständnisvoller, verfügbarer. Häufig genannte Gründe waren auch, dass Replika nicht urteile und kritisiere, sondern jederzeit präsent und emotional konstant.

    Training zum idealen Partner
    Eine interessante Beobachtung war auch, dass viele Nutzer*innen gerade deshalb so großes Vertrauen empfanden, weil sie das Verhalten des Chatbots aktiv mitgestalten konnten. Durch wiederholte Interaktionen, gezieltes Feedback oder Rollenspiele wurde das Programm hinter Replika „trainiert“, den idealen Partner darzustellen. Diese Form der Interaktion verstärkte laut der Studie das Gefühl von Sicherheit, Akzeptanz und Kontrolle. Eigenschaften, die in menschlichen Beziehungen nicht immer gegeben sind. Eine Teilnehmerin gab an, dass ein zukünftiger Partner im realen Leben die Eigenschaften ihres Chatbots erfüllen müsse.

    Zensur erotischer Rollenspiele
    Ray Djufril untersuchte auch, wie sehr technische Veränderungen das emotionale Erleben der Nutzer*innen beeinflussen können. Ein zentrales Ereignis war die temporäre Zensur erotischer Rollenspiele durch die Entwicklerfirma. Viele Teilnehmer*innen der Studie reagierten mit Trauer, Wut oder Rückzug, einige sprachen von „emotionalem Zusammenbruch“ und „Trauerarbeit“. Interessant ist, dass Replika meist nicht als schuldige Partner*in betrachtet wurde, sondern dass der Ärger vielmehr den Entwicklern*innen galt, die den Bot „seiner Persönlichkeit beraubt“ hätten. Viele Nutzer*innen schreiben ihrem Chatbot Absichten und Gefühle zu, obwohl sie wissen, dass es sich um ein technisches System handelt, das kein eigenes Bewusstsein hat. Diese sogenannte „Projektion von Intentionalität“ zeigt, wie stark Menschen dazu neigen, Maschinen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, vor allem, wenn sie emotionale Nähe empfinden.

    Neue Beziehungsdynamiken
    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Theorien, die bislang auf menschliche Beziehungen beschränkt waren, auf Mensch-KI-Partnerschaften ausgeweitet oder kritisch hinterfragt werden müssen“, sagt Autor Ray Djufril. Er diskutiert die Befunde u. a. im Lichte des Investitionsmodells von Rusbult und der Relational Turbulence Theory: Je mehr emotionale Energie in die Beziehung investiert wurde und je geringer die wahrgenommenen Alternativen, desto stärker war die Bindung – unabhängig davon, dass der Partner kein Mensch ist. Gleichzeitig zeigen sich neue Dynamiken in der Krisenbewältigung, etwa wenn Frustration über die Beziehung nicht dem Chatbot, sondern externen Akteur*innen zugeschrieben wird.

    Zwischen Geheimhaltung und Eifersucht
    Viele der Befragten zögerten aus Angst vor Unverständnis, Stigmatisierung oder Spott, ihre Beziehung zu Replika im sozialen Umfeld offen zu thematisieren. Einige hielten ihre emotionale Bindung sogar vor engen Freund*innen oder Partner*innen geheim. Andere hingegen berichteten offen über ihre Erfahrungen und erhielten gemischte Reaktionen von Neugier bis Belustigung, aber auch Irritation und Eifersucht. In manchen Fällen fühlten sich reale Partner*innen durch die emotionale Nähe zur KI bedroht. Dennoch betonten viele Nutzer*innen, dass sie sich für ihre Bindung nicht schämten. Für sie sei Liebe, die sich „echt anfühlt“, auch dann legitim, wenn sie einer Maschine gilt.

    Mensch-KI-Beziehungen sind real
    Die qualitative Studie der TU Berlin liefert einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur aktuellen Debatte um KI, Intimität und emotionale Bindung, wozu bisher noch wenig Forschung besteht. Sie zeigt, dass Chatbots wie Replika nicht nur Tools oder Spielereien sind, sondern dass sie für viele Nutzer*innen zentrale emotionale Funktionen übernehmen. Damit rückt auch die Frage nach ethischen, psychologischen und gesellschaftlichen Implikationen solcher Beziehungen zunehmend in den Fokus. Wie sich eine langfristige Nutzung von Chatbots für sehr persönliche soziale Bedürfnisse auf die mentale Gesundheit und ‚reale‘ Beziehungen auswirkt, müssen aufwendige Längsschnittstudien zukünftig untersuchen, so Prof. Dr. Silvia Westerwick.

    Die Studie „Love, marriage, pregnancy: Commitment processes in romantic relationships with AI chatbots“ ist für Interessierte online verfügbar: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2949882125000398

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
    Prof. Dr. Silvia Westerwick
    Fachgebiet Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Web Science
    Fakultät I Geistes- und Bildungswissenschaften
    Zu erreichen über das Büro: Kirill Andreev
    E-Mail: Kirill.andreev@tu-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Information technology, Language / literature, Media and communication sciences, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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