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07/23/2025 16:29

Blinder Fleck in der Suchthilfe: Promotion an der HSBI untersucht Väter mit Abhängigkeitserkrankungen

Dr. Lars Kruse Ressort Hochschulkommunikation
Hochschule Bielefeld

    Christoph Beineke untersucht in seiner Dissertation an der Hochschule Bielefeld, welche Wechselwirkungen Vaterschaft und problematischer Drogenkonsum haben, um herauszufinden, wie Väter im Rahmen der Suchthilfe in ihrer Vaterschaft unterstützt werden können. Durch seine erfolgreiche Bewerbung beim Promotionskolleg NRW konnte er nun eine durch das Kolleg geförderte Stelle besetzen. Betreut von Prof. Dr. Thomas Altenhöner, seinem Doktorvater an der HSBI, kann sich Beineke nun voll auf seine Abhandlung konzentrieren.

    Bielefeld (hsbi). Aus der deutschen Suchthilfestatistik* geht hervor: Etwa 40 Prozent der ambulant und 50 Prozent der stationär behandelten Männer sind Väter. „Obwohl die Gruppe der Väter unter suchterkrankten Personen sehr groß ist, spielt die Vaterschaft weder in der Versorgungsstruktur der Betroffenen noch in der Forschung eine nennenswerte Rolle“, sagt Christoph Beineke. „Das Thema wird im Rahmen der Suchthilfe kaum beachtet, zielgruppenspezifische Angebote fehlen weitgehend.“ Und so hatte Beineke, der in Köln an der Katholischen Hochschule im Master Soziale Arbeit studiert hat, das Thema seiner Doktorarbeit gefunden. Die schreibt er seit dem Wintersemester 2023/24 als Promotionsstudierender an der Hochschule Bielefeld (HSBI), neuerdings ausgestattet mit einer Promotionsstelle des Promotionskollegs Nordrhein-Westfalen (PK NRW).

    Wertvoller Perspektivwechsel: Vaterschaft als Chance für den Suchthilfeverlauf

    Erste Versuche, Vaterschaft bei Hilfsangeboten stärker einzubeziehen, haben klare Indizien dafür geliefert, dass die Beachtung des Themas Potenzial hat, den Substanzkonsum der Betroffenen zu reduzieren und ihre Rolle als Vater zu stärken. „Das Neue und Besondere an der Doktorarbeit von Christoph Beineke ist der Perspektivwechsel“, betont auch Prof. Dr. Thomas Altenhöner, Experte für Prävention und Gesundheitsförderung an der HSBI. Altenhöner ist der am PK NRW akkreditierte Erstbetreuer Beinekes. „Es liegt auf der Hand“, so der Professor, „dass sich aus einer väterlichen Abhängigkeitserkrankung Herausforderungen für das kindliche Entwicklungsumfeld ergeben und die Erkrankung Schwierigkeiten für die Familie mit sich bringt. Aber, so die These, Vaterschaft bietet auch Chancen. Denn: Wer seine Rolle als Vater künftig besser ausfüllen möchte, hat womöglich eine nachhaltige Motivation, sich vom Konsum zu lösen. Und vermutlich können davon dann auch die Kinder und Partner:innen profitieren“, so Altenhöner.

    Um hier der Suchthilfe mittelfristig Handlungsempfehlungen geben zu können, wertet Christoph Beineke zurzeit 15 leitfadengestützte Einzelinterviews und 94 schriftliche Fragebögen aus. Die Fragebögen wurden von Vätern beantwortet, die sich aufgrund ihres problematischen Konsums aktuell in Angeboten der professionellen Suchthilfe befinden. Die Datenerhebung fand im Zuge des Drittmittelprojekts „Papa auch!“ der Katholischen Hochschule in Köln statt, das vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert und dort umgesetzt wurde. Beineke hat auf diese Weise beispielsweise Informationen und Daten erhalten zur familiären Situation, zu Vorstellungen über die Vaterrolle, zu Wechselwirkungen zwischen Vaterschaft und Abhängigkeit sowie zu Unterstützungsbedarfen.

    Die Gruppe der Teilnehmer am Projekt war dabei recht heterogen: Bei mehr als der Hälfte der Befragten handelt es sich um Konsumenten illegaler Substanzen, eine weitere große Gruppe weist einen problematischen Alkoholkonsum auf. Auch Väter, die ein problematisches Glückspiel- oder Videospielverhalten entwickelt haben, sind Teil der Untersuchung.

    „Zunächst einmal erleben Väter durch ihre Erkrankung die üblichen Aspekte einer Abhängigkeit“, berichtet Christoph Beineke. „Das sind der Kontrollverlust über den Konsum, die zunehmende Priorisierung des Konsums und bei den stoffgebundenen Abhängigkeiten auch die negativen körperlichen Auswirkungen in Form von Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik.“ Auch die Vaterschaft wird allerdings durch den Konsum und die Abhängigkeit in spezifischer Weise beeinflusst, so Beineke weiter: „Häufig zeigt sich konsumbedingt ein sprunghaftes und inkonsistentes Verhalten den Kindern gegenüber. Es gibt Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung eines geregelten Tagesablaufs. Viele Väter sind nicht anwesend oder, wenn sie da sind, ist das Zusammenleben oft von Unsicherheiten und Konflikten geprägt.“ Allerdings muss dies nicht zwangsläufig der Fall sein, ist Beineke überzeugt: „In der Unterstützung der Väter ist es deshalb ebenfalls wichtig, auch die Aspekte, deren Umsetzung gut gelingt, nicht außer Acht zu lassen.“

    Wie können negative Gefühle im Kontext von Vaterschaft und Konsum überwunden werden?

    Ein Teil der Väter, die bei der Untersuchung mitmachen, lebt nicht mit ihren Kindern zusammen. „Viele der Befragten schämen sich dafür, aufgrund der Abhängigkeit ihre Vaterrolle nur unzureichend ausfüllen zu können“, berichtet Beineke. „In den Befragungen wurde deutlich, dass die Betroffenen große Ansprüche an sich selbst stellen, die Umsetzung ihrer Ansprüche jedoch mit Schwierigkeiten verbunden ist. Daraus ergibt sich ein Risiko für Überforderungsgefühle, denen einige Väter mit einer Intensivierung des Konsums begegnen.“

    Eine weitere Erkenntnis aus den Befragungen ist der Umstand, dass viele der betroffenen Väter keine Vorbilder für eine gelingende Vaterschaft hatten. „Ihre eigenen Väter haben oftmals ebenfalls keine positive Rolle eingenommen, waren abwesend, nicht selten sogar selbst abhängig“, so Christoph Beineke. „Wie man mit eigenen Fehlern und Schwierigkeiten den Kindern gegenüber umgeht, haben sie also häufig nicht gelernt. Hier könnte man therapeutisch ansetzen, sodass die Väter profitieren, aber am Ende auch ihre Kinder und die Familie insgesamt.“

    Bisherige Erhebungen weisen darauf hin, dass viele der betroffenen Väter der Vaterschaft an sich positiv gegenüberstehen und deshalb eine hohe Motivation zur Ausübung einer gelingenden Vaterschaft und zur Umsetzung notwendiger Änderungen beschreiben. Christoph Beineke: „Gerade diese persönliche Motivation kann im Rahmen der Suchthilfe genutzt bzw. gefördert werden, um Väter bei der gelingenden Umsetzung zu unterstützen.“

    Tabuisierung, psychische Krankheiten, soziale Isolation – so erleben Kinder die Abhängigkeit des Vaters

    Auf die Frage, ob es nicht auch fatale Auswirkungen für die Kinder haben kann, abhängigkeitserkrankte Väter zu ermuntern, ihre Vaterrolle wieder stärker auszufüllen, antwortet Christoph Beineke: „Natürlich! Neben den Chancen, die bestehen, betrachtet meine Arbeit daher auch die Risiken, und es ist selbstverständlich, dass das Wohlergehen und die kindliche Entwicklung an oberster Stelle stehen. Es kann durchaus sein, dass in bestimmten Phasen der Abhängigkeitserkrankung kein Kontakt zum Vater für die Kinder das Beste ist. Das ist abhängig vom Einzelfall. Die Befragten in meiner Untersuchung sind allerdings in der Regel ein Stück weiter: Sie haben zumeist bereits eine Konsumfreiheit erreicht und machen jetzt eine Therapie, um ihre Abstinenz möglichst dauerhaft zu festigen.“

    Trotzdem beachtet der Forscher auch potenzielle Auswirkungen einer Abhängigkeit auf die Kinder: Ein Risiko sind demnach spezifische Belastungen, die mitbetroffene Kinder erleben können, beispielsweise Irritationen durch die beschriebene Abhängigkeitssymptomatik. „Kinder aus suchtbelasteten Familien weisen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten, psychischen Erkrankungen oder einer eigenen Abhängigkeitserkrankung auf“, so Christoph Beineke. Ein Problem dabei, so Beineke, ist die Tabuisierung des Themas und die damit einhergehende soziale Isolation von Kindern mit einem suchterkrankten Vater. „Kinder bekommen viel mehr mit, als Eltern in der Regel annehmen“, berichtet Christoph Beineke. „Kindern fehlt aber häufig die Möglichkeit, über ihre Erlebnisse und Gefühle zu sprechen. Hier sind passende Unterstützungsangebote angezeigt, mit denen Kinder aus suchtbelasteten Familien erreicht werden.“

    Stoffungebundene Süchte: Spielautomaten, Videogames, Wetten

    Beineke ist noch auf weitere Forschungslücken gestoßen: „Eine Auseinandersetzung mit einer väterlichen stoffungebundenen Abhängigkeit findet bisher nicht statt. Dass beispielsweise die Teilnahme an Glücksspielen zu einer Abhängigkeit führen kann, die mit nachteiligen Aspekten für die gesamte Familie einhergeht, zeigen Beispiele seit Jahrzehnten. Dennoch fehlt bislang eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle des Vaterseins im Kontext dieser Form der Abhängigkeit.“ Ähnliches gilt für das in unserer Gesellschaft stark beworbene Gebiet der Sportwetten, und auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Videospielabhängigkeit im Kontext einer Vaterschaft steckt noch in den Kinderschuhen, so Beineke. „Vorhandene Untersuchungen zeigen, dass Kinder von Vätern mit stoffungebundener Abhängigkeit neben den negativen finanziellen Auswirkungen stark unter der spielbedingten Unaufmerksamkeit des Vaters leiden.“ Im Rahmen der aktuellen Erhebung wurden nun auch gezielt Väter mit stoffungebundener Problematik berücksichtigt, um für diesen bislang weniger beachteten Bereich ebenfalls Erkenntnisse und Optimierungsmöglichkeiten in der Versorgungsstruktur zu gewinnen.

    Bis vor kurzem war Christoph Beineke als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen des mittlerweile abgeschlossenen Forschungsprojekts „Papa auch!“ an der Katholischen Hochschule in Köln beschäftigt. Parallel war er bereits seit dem Wintersemester 2023/24 an der HSBI als Promotionsstudent eingeschrieben und wurde von Prof. Altenhöner betreut. Nun hat er eine Promotionsstelle des PK NRW erhalten und kann sich ganz auf seine Doktorarbeit konzentrieren. Beineke hofft, mit seiner Untersuchung ein möglichst umfassendes Bild der positiven wie auch der negativen Wechselwirkungen von Vaterschaft und Konsumstörungen sowie den damit einhergehenden Unterstützungsbedürfnissen zeichnen zu können, um die Versorgungslücke in diesem Feld schließen zu können.


    More information:

    https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/blinder-fleck-in-der-suchthilfe-pr... Pressemitteilung auf www.hsbi.de


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    Unstetes Verhalten, Konflikte, emotionale und tatsächliche Abwesenheit sind oft prägend für die Vaterschaft von Abhängigkeitserkrankten.
    Unstetes Verhalten, Konflikte, emotionale und tatsächliche Abwesenheit sind oft prägend für die Vate ...

    Copyright: K. Schradi/HSBI

    Ein Suchterkrankter kann ein guter Vater sein, lautet eine der Thesen der Doktorarbeit.
    Ein Suchterkrankter kann ein guter Vater sein, lautet eine der Thesen der Doktorarbeit.

    Copyright: K. Schradi/HSBI


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Nutrition / healthcare / nursing, Psychology, Social studies
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research projects
    German


     

    Unstetes Verhalten, Konflikte, emotionale und tatsächliche Abwesenheit sind oft prägend für die Vaterschaft von Abhängigkeitserkrankten.


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