idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
07/29/2025 10:44

Chemie am Anfang – wie Molekülreaktionen die Entstehung der ersten Sterne beeinflussten

Dr. Renate Hubele Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Kernphysik

    • Das HeH⁺- Ion war das erste Molekül das sich im frühen Universum gebildet hat, bevor die ersten Sterne entstanden
    • Forschende haben Reaktionen von HeH⁺ mit Wasserstoff-Atomen erstmals unter Bedingungen des frühen Universums untersucht, dabei wurden signifikante Abweichungen zu bisherigen Theorien festgestellt
    • Das Ergebnis hat einen wesentlichen Einfluss auf das Verständnis der frühen Chemie im Universum und auf die Prozesse, die zur Entstehung der ersten Sterne beigetragen haben

    Unmittelbar nach dem Urknall vor etwa 13,8 Milliarden Jahren herrschten im Universum unvorstellbar hohe Temperaturen und Dichten. Doch bereits nach wenigen Sekunden war das Universum so weit abgekühlt, dass sich die ersten Elemente zusammensetzen konnten – zum weitaus größten Teil Wasserstoff und Helium. Diese lagen zunächst noch vollständig ionisiert vor, denn erst nach knapp 380.000 Jahren war die Temperatur im Universum so weit abgesunken, dass sich durch die Rekombination mit freien Elektronen neutrale Atome bildeten, und so den Weg für die ersten chemischen Reaktionen frei machten.

    Das älteste Molekül der Welt ist das Heliumhydrid-Ion HeH⁺, das sich aus einem neutralen Heliumatom und einem ionisierten Wasserstoffkern bildete. Es markiert den Beginn einer Reaktionskette hin zur Bildung von molekularem Wasserstoff H₂ , dem mit Abstand häufigsten Molekül im Universum.

    Nach der Rekombination folgte das „Dunkle Zeitalter“ der Kosmologie – das Universum war nach der Bindung der freien Elektronen nun zwar lichtdurchlässig, lichtstarke Objekte wie Sterne gab es aber noch nicht. Bis zur Entstehung der ersten Sterne vergingen noch mehrere 100 Millionen Jahre.

    Doch gerade in dieser Frühphase des Universums waren einfache Moleküle wie HeH⁺ und H₂ für die Bildung der ersten Sterne unabdingbar: um die sich zusammenziehe Gaswolke eines Protosterns soweit kollabieren zu lassen, dass eine Kernfusion einsetzen kann, muss Wärme abgeführt werden. Dies geschieht über Kollisionen, die Atome und Moleküle anregen, welche diese Energie im Anschluss durch Photonen abstrahlen. Unterhalb von etwa 10.000 Grad Celsius wird dieser Prozess aber sehr ineffektiv für die zahlenmäßig dominanten Wasserstoff-Atome. Eine weitere Kühlung kann nur über Moleküle stattfinden, die über Rotationen und Schwingungen zusätzlich Energie abstrahlen können. Das HeH⁺ Ion erweist sich hier aufgrund seines ausgeprägten Dipolmoments als besonders effektiv bei diesen kühleren Temperaturen und wird daher schon lange als potentiell wichtiger Kandidat für die Kühlphase bei der Entstehung der ersten Sterne gehandelt. Die Konzentration des Helium-Hydrid-Ions im Universum hat damit möglicherweise signifikanten Einfluss auf die Effektivität der frühen Sternentstehung.

    In dieser Zeitspanne stellte die Kollision mit freien Wasserstoffatomen einen Hauptabbauweg für HeH⁺ dar, wobei sich ein neutrales Heliumatom sowie ein H₂⁺ -Ion bildeten, das sich im nachfolgenden mit einem weiteren H-Atom zu einem neutralen H₂ -Molekül und einem Proton umwandelte, und so zur Entstehung von molekularem Wasserstoff führte.

    Am Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg haben Forschende nun erstmals diese Reaktion unter ähnlichen Bedingungen wie im frühen Universum rekonstruiert. Sie untersuchten dazu die Reaktion von HeH⁺ mit Deuterium, einem Isotop von Wasserstoff, welches im Atomkern neben einem Proton ein zusätzliches Neutron beinhaltet. Bei der Reaktion von HeH⁺ mit Deuterium bildet sich neben einem neutralen Helium-Atom statt H₂⁺ ein HD⁺-Ion.

    Durchgeführt wurde das Experiment am Kryogenen Speicherring CSR am MPIK in Heidelberg, einem weltweit einmaligen Instrument zur Untersuchung molekularer und atomarer Reaktionen unter Weltraum-Bedingungen. Dazu wurden HeH⁺-Ionen in dem 35-Meter durchmessenden Ionenspeicherring für bis zu 60 Sekunden bei wenigen Kelvin (-267 C) gespeichert, und mit einem Strahl aus neutralen Deuterium-Atomen überlagert. Durch eine Anpassung der relativen Geschwindigkeiten der beiden Teilchenstrahlen zueinander konnten die Wissenschaftler:innen die Rate der Kollisionen in Abhängigkeit der Kollisionsenergie untersuchen - diese steht in direktem Zusammenhang zur Temperatur.

    Dabei stellten sie fest, dass die Rate, mit der diese Reaktion abläuft, nicht wie bis vor Kurzem vorhergesagt, mit abnehmender Temperatur verlangsamt abläuft, sondern nahezu konstant bleibt. „Bisherige Theorien sagten einen signifikanten Abfall der Reaktionswahrscheinlichkeit bei niedrigen Temperaturen voraus, diesen konnten wir aber weder im Experiment noch in neuen theoretischen Rechnungen unserer Kolleg:innen nachweisen“, erläutert Dr. Holger Kreckel vom MPIK. „die Reaktionen von HeH⁺ mit neutralem Wasserstoff und Deuterium scheinen daher für die Chemie im frühen Universum weitaus wichtiger gewesen zu sein als bisher angenommen“, führt er weiter aus. Die experimentelle Beobachtung deckt sich mit den Erkenntnissen einer Gruppe von theoretischen Physiker:innen um Yohann Scribano, die einen Fehler in der Berechnung der Potentialfläche identifizieren konnten, welche allen früheren Rechnungen für diese Reaktion zugrunde lag. Die neuen Berechnungen mit der verbesserten Potentialfläche stimmen nun sehr gut mit dem CSR-Experiment überein.

    Da die Konzentrationen der frühesten Moleküle wie HeH⁺ oder molekularem Wasserstoff (H₂ oder HD) aber eine wichtige Rolle bei der Entstehungsgeschichte der ersten Sterne spielen, ist dieses Ergebnis ein weiterer Puzzlestein, um dem Geheimnis der Bildung der ersten Sterne im Universum näherzukommen.


    Contact for scientific information:

    Dr. Holger Kreckel,
    holger.kreckel@mpi-hd.mpg.de,
    Tel.: +49 6221 516-517


    Original publication:

    Experimental confirmation of barrierless reactions between HeH+ and deuterium atoms suggests a lower abundance of the first molecules at very high redshifts; F. Grussie et al.;

    A&A, Volume 699, L12 (July 2025). DOI: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202555316


    More information:

    https://www.mpi-hd.mpg.de/mpi/de/nachrichten/nachricht/chemie-am-anfang


    Images

    Reaktionsschema der Reaktion des Helium-Hydrid-Ions mit Deuterium. Es handelt sich um eine schnelle und barrierefreie Reaktion, anders als bisherige Theorien vermuteten. Hintergrund: Der planetarischen Nebel NGC 7027, in rot molekularer Wasserstoff.
    Reaktionsschema der Reaktion des Helium-Hydrid-Ions mit Deuterium. Es handelt sich um eine schnelle ...

    Copyright: Schemata: MPIK; Bildrechte Hintergrund: W. B. Latter (SIRTF Science Center/Caltech) and NASA


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Chemistry, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Reaktionsschema der Reaktion des Helium-Hydrid-Ions mit Deuterium. Es handelt sich um eine schnelle und barrierefreie Reaktion, anders als bisherige Theorien vermuteten. Hintergrund: Der planetarischen Nebel NGC 7027, in rot molekularer Wasserstoff.


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).