Derzeit führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Ausgrabungen im ehemaligen Kloster Himmelpforte bei Wernigerode durch. Die Untersuchungen, die mit Unterstützung der Stadt Wernigerode stattfinden, machen das vom Erdboden verschwundene Kloster in einem bewaldeten Tal des Harzes zu einem lebendigen Geschichtsort. Gut 40 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alter von 12 bis 77 Jahren arbeiten bei den Ausgrabungen mit. Möglich wurde das Citizen-Science-Projekt dank der Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Gedenkjahrs ›Gerechtigkeyt. Thomas Müntzer & 500 Jahre Bauernkrieg‹.
Vor 500 Jahren wurde die alte Ordnung aus den Angeln gehoben. Zehntausende Menschen lehnten sich gegen die hergebrachten Obrigkeiten auf, denen gegenüber sie zu Abgaben und Diensten verpflichtet waren, mit denen sie oftmals aber auch wirtschaftlich konkurrierten. Erstmals stellte der ›gemeine Mann‹ über Herrschaftsgrenzen hinweg Forderungen nach gerechter Behandlung und Selbstbestimmung, die heute von vielen als eine Forderung nach unveräußerlichen Grundrechten verstanden werden. Durch die an Fahrt aufnehmende Reformation war die Atmosphäre aufgeheizt und kirchlichen Einrichtungen gegenüber kritisch eingestellt. So wurden nicht nur Adelssitze, sondern vor allem auch Klöster Ziel von Angriffen der Aufständischen. Mit den im Frühling 1525 an zahlreichen Orten in Mitteldeutschland und Südwestdeutschland sowie Tirol parallel aufflammenden Konflikten kann der Bauernkrieg vor 500 Jahren als größter Volksaufstand vor der Französischen Revolution gelten.
Seit 2023 führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt archäologische Forschungsgrabungen an ausgewählten authentischen Stätten des Bauernkrieges auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt durch. Das ehemalige Augustiner-Eremitenkloster Himmelpforte bei Wernigerode (Landkreis Harz) ist einer dieser Orte. Derzeit findet mit Unterstützung der Stadt Wernigerode die dritte Forschungskampagne in Himmelpforte statt. Hier wird ›Citizen Science‹ in für alle Beteiligten gewinnbringender Weise verwirklicht. Zudem erfreuen sich die täglichen Führungen über das Grabungsgelände durch ehrenamtliche Mitarbeiter großer Beliebtheit bei interessierten Einheimischen und Touristen.
Das Bild eines untergegangenen Klosters entsteht: Die Ergebnisse der aktuellen Ausgrabungen In Himmelpforte
Das in der Mitte des 13. Jahrhunderts gegründete, im Frühjahr 1525 während des Bauernkrieges zerstörte und hernach aufgelassene Kloster war in der Folgezeit so gründlich abgetragen worden, dass sogar seine genaue Lage vergessen worden war. Im Ergebnis der archäologischen Forschungen unter Leitung von Prof. Dr. Felix Biermann, die neben Ausgrabungen auch geophysikalische Untersuchungen und Metalldetektorprospektionen umfassen, wird eine weitgehende Rekonstruktion der Gestalt und baulichen Entwicklung der steinernen Kernbauten des Konventes möglich sein. Auch aktuell werden wieder hervorragend erhaltene, teilweise über zwei Meter hohe Grundmauern des Klosters freigelegt. Eindrucksvoll ist insbesondere der Ostabschluss der Kirche aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts: Die Augustiner-Eremiten hatten eine architektonische Form gewählt, die stattlich und imposant wirkte, zugleich aber ohne Prunk auskam und ihre Demut und Bescheidenheit in Stein zum Ausdruck brachte – ein einfacher, nicht eingezogener Rechteckchor, den mächtige gotische Strebepfeiler gliederten. Ähnliche Pfeiler begegnen an dem später südlich an die Kirche angesetzten Baukörper, den wir vorerst mit der 1478 schriftlich erwähnten Katharinenkapelle in Verbindung bringen, die auch die Bibliothek des Klosters aufnehmen sollte. Im Norden schloss sich der dreiflügelige Klausurkomplex an die Kirche an, der sich mit seinem Kreuzgang um einen nur kleinen Hof schloss und sich dem üblichen Rechteck lediglich annäherte. Der Grund für den asymmetrischen Grundriss der Klausur ist unbekannt.
Auch andere Baulichkeiten werfen Fragen auf, etwa eine halbrunde, konchenartig in den Kreuzgang ragende Fundamentstruktur an der Nordwand der Kirche. Vielleicht ist an eine Nische für einen Seitenaltar zu denken. Die Grabungsschnitte durch Nord- und Ostflügel der Klausur ermöglichen auch dort detaillierte Einsichten in die Baugestalt und -geschichte, wo die geophysikalischen Untersuchungen kein klares Bild geliefert hatten.
In und an der Kirche sowie im Kreuzgang kommen zahlreiche Gräber des 13. bis 16. Jahrhunderts ans Tageslicht. Besonders das Terrain am Rechteckchor der Kirche, der den Hauptaltar enthielt, war zur Bestattung begehrt – die Nähe zum spirituellen Herzen des Klosters versprach den Gläubigen Seelenheil und Hoffnung auf Auferstehung. Hier ballen sich die Gräber von Kindern, Frauen und Männern, meistenteils Bewohner der Klostergüter. In der Kirche ruhen hohe Mitglieder und adelige Wohltäter des Konventes. Die im Kreuzgang zur letzten Ruhe gebetteten Menschen werden Augustiner-Eremiten gewesen sein. Einige Tote tragen bronzene Schnallen, an denen sich auch Reste ihrer Ledergürtel erhalten haben. Bei etlichen Gräbern weisen eiserne Nägel auf Särge hin.
Die Masse der Toten bleibt für uns anonym. Eine Ausnahme bildet das Grab der 1520 verstorbenen Gerrun von Königstein, deren reich verzierte Grabplatte bereits im letzten Jahr entdeckt und nun gehoben werden konnte: In der ungewöhnlich tiefen Grabgrube darunter liegen die Gebeine des vor 505 Jahren zu früh verstorbenen hochadeligen Mädchens mit fromm zum Gebet gefalteten Händen.
Mehr als ein Dutzend Silbermünzen, eisernes Arbeitsgerät, Tongeschirr und Ofenkacheln, Buchbeschläge aus Buntmetall, Schreibgriffel und sogar ein zierlich-eleganter Ohrlöffel aus Bein als Utensil der persönlichen Hygiene beleuchten viele Aspekte des klösterlichen Alltags. Trümmerschichten, Brandreste, heruntergebrochene Kellergewölbe und unter Feuereinwirkung zerschmolzene Dachziegel künden von der Zerstörung und Verwüstung des Klosters im Bauernkrieg und in den folgenden Jahrhunderten. Die vielfältigen archäologischen Ergebnisse ermöglichen nun ein lebensvolles und facettenreiches Bild der Himmelpforte, über die bis vor Kurzem nur wenige Schriftquellen Auskunft zu geben vermochten.
Dezentrale Landesausstellung und Vermittlung an authentischen Orten des Bauernkriegs
Vom 28. Juni bis zum 30. November 2025 bietet die Kabinettausstellung ›Klöster. Geplündert. In den Wirren der Bauernaufstände‹ den Besucherinnen und Besuchern des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) Einblicke in laufende Forschungen, die das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt seit 2023 an drei authentischen Orten des Bauernkriegs im heutigen Sachsen-Anhalt durchführt: den einstigen Klöstern Himmelpforte bei Wernigerode (Landkreis Harz) und Kaltenborn im Landkreis Mansfeld-Südharz sowie der erst 2024 wiederentdeckten Mallerbacher Kapelle bei Allstedt (ebenfalls Mansfeld-Südharz). Die Schau ist Teil der dezentralen Landesausstellung ›Gerechtigkeyt 1525‹. Im Mittelpunkt stehen Funde und Befunde, die Aufschluss über die Geschichte und das Alltagsleben an diesen Stätten sowie zu den gewaltsamen Geschehnissen geben, die sich dort vor 500 Jahren ereigneten.
Die Kabinettausstellung wird von zwei korrespondierenden Ausstellungen im Harzmuseum Wernigerode und im Spengler-Museum Sangerhausen begleitet. Die Präsentationen ›Zwischen Himmel und Revolte. Kloster Himmelpforte und der Bauernkrieg‹ im Harzmuseum (14. März bis 10. August 2025) und ›zerstört. vergessen. ausgegraben. Das Kloster Kaltenborn bei Emseloh‹ (30. April 2025 bis 6. Januar 2026) in Sangerhausen legen ihren Fokus jeweils auf die Stätten und Geschehnisse in der Region und zeigen unter anderem ausgewählte Funde aus den Grabungen in den genannten Klöstern.
Von Ende Juli bis Mitte Oktober 2025 können dank der Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Gedenkjahrs ›Gerechtigkeyt. Thomas Müntzer & 500 Jahre Bauernkrieg‹ und mit Unterstützung der Städte Wernigerode und Allstedt neben Himmelpforte auch die Forschungsgrabungen im ehemaligen Kloster Kaltenborn sowie an der Mallerbacher Kapelle fortgesetzt werden. Nachdem sich die Untersuchungen bereits in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung großen Interesses erfreuten und von zahlreichen Freiwilligen unterstützt wurden, ist auch in diesem Jahr an allen drei Orten die ehrenamtliche Mitarbeit an den Forschungsgrabungen möglich. Daneben können sich Interessierte im Rahmen von Grabungsführungen über die Geschichte, Blüte und den Niedergang der erforschten Orte sowie die neuesten Untersuchungsergebnisse informieren.
Überblicksaufnahme der Ausgrabungen am ehemaligen Kloster Himmelpforte
Source: Robert Prust
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Strebepfeiler an der vermutlichen Katharinenkapelle.
Source: Felix Biermann
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
History / archaeology
transregional, national
Research projects
German
Überblicksaufnahme der Ausgrabungen am ehemaligen Kloster Himmelpforte
Source: Robert Prust
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Strebepfeiler an der vermutlichen Katharinenkapelle.
Source: Felix Biermann
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
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