Auf Initiative und teilweise mit finanzieller Unterstützung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt und mit der Unterstützung des Kirchengemeindeverbands Kirchspiel Gröningen sowie der Verbandsgemeinde Westliche Börde haben sich im diesjährigen Sommersemester 30 Studierende der Fachgebiete Denkmalpflege und Bauwerkserhaltung sowie Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen im Rahmen ihrer Bachelor- und Masterausbildung zeitweise in Gröningen aufgehalten.Dabei wurden Überlegungen zum möglichen künftigen Umgang mit der derzeit ungenutzten Kirche St. Vitus angestellt.
Die Klosterkirche St. Vitus – ein Kleinod des 12. Jahrhunderts
Die Kirche St. Vitus des ehemaligen Benediktinerklosters Gröningen (Landkreis Börde) beherbergt bis heute einen herausragenden Bestand an hochromanischer Bauplastik und Wandmalerei. Das Kloster wurde 936 vom Merseburger Grafen Siegfried, einem engen Vertrauten König Heinrichs I., gestiftet und der bedeutenden karolingischen Reichsabtei Corvey unterstellt. Bereits 940 wurde der ottonische Gründungsbau durch den Abt Volkmar I. aus Corvey geweiht. Der heutige Bau stammt aus dem 12. Jahrhundert und wurde als dreischiffige Basilika mit Querhaus, dreiteiligem Chorabschluss und einer vermutlichen Doppelturmfassade errichtet.
Nach der Auflösung des Klosters verfiel der Kirchenbau zusehends. Im Laufe der Jahrhunderte wurden das südliche und das nördliche Seitenschiff sowie die beiden Chorseitenschiffe abgebrochen, der ursprünglich quadratische Chor verkürzt und gerade geschlossen. Im frühen 20. Jahrhundert erfolgte die Sanierung der Kirche, in deren Zuge sie die noch heute erfahrbare, qualitätvolle Raumfassung erhielt.
Die im Kircheninnenraum vorhandene Bauplastik ist von Vorbildern aus Oberitalien beeinflusst und mit der Ornamentik der Quedlinburger Stiftskirche verwandt. Die Würfelkapitelle sind reich mit stilisierten Tiergestalten, Flechtbändern und Blattfriesen verziert. Besonders der westliche Kapelleneinbau mit Empore aus der Zeit um 1160 ist von herausragender kunsthistorischer Bedeutung. Zum einen bewahrt das Tonnengewölbe im Inneren der Kapelle, der sogenannten Westkrypta, einen Wandmalereizyklus mit Darstellungen aus dem Leben Christi und Szenen aus dem Alten Testament in typologischer Gegenüberstellung. Zum anderen wurde an der Außenseite des Kapelleneinbaus eine monumentale Weltgerichtsdarstellung angebracht. Während im unteren Teil das Weltgerichtsgeschehen als Wandmalerei ausgeführt wurde, wurde der von den Aposteln umgebende Weltenrichter an der Brüstung der Westempore sehr plastisch und eindringlich in Hochbrandgips ausgearbeitet. Aufgrund seiner herausragenden Bedeutung wurde dieses Hauptwerk der Skulptur des 12. Jahrhunderts bereits 1902 an das damalige Kaiser-Friedrich-Museum (heute Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin) übergeben, wo es bis heute als eines der zentralen Ausstellungstücke in der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst präsentiert wird. Die Klosterkirche erhielt im Tausch dafür eine Nachbildung der Westempore, die von der Charlottenburger Gipsformerei angefertigt wurde. Diese Nachbildung macht bis heute den früheren Zustand erlebbar – obwohl fehlende Teile des Originals rekonstruiert und in einer neuen, farbstarken Fassung ausgeführt wurden. Beide lehnen sich an das Gesamtkonzept der neoromanischen Ausmalung des Kirchenschiffes an. Dessen ungeachtet bleiben somit die ursprüngliche hochmittelalterliche Raumgestaltung mit dem anspruchsvollen Bildprogramm des Westbaus sowie das einzigartige Zusammenspiel aus Architektur, Blauplastik und Ausmalung im Kirchenraum bis heute greifbar. Die ehemalige Klosterkirche von Gröningen ist nicht nur ein bedeutendes Bauwerk, sondern auch eine wichtige Station auf der Straße der Romanik und damit Teil der Transromanica, einer Kulturroute des Europarates.
Ideen und Konzepte für die Klosterkirche St. Vitus
Einer drohenden Schließung und Nichtnutzung des Kirchengebäudes wollten sowohl die kirchliche als auch die politische Kirchengemeinde im Zusammenschluss mit der Denkmalpflege und deren Kooperationspartner, der Fakultät Bauen und Erhalten der HAWK Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, entgegenwirken. Auf Initiative und teilweise mit finanzieller Unterstützung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und mit der Unterstützung des Kirchengemeindeverbands Kirchspiel Gröningen sowie der Verbandsgemeinde Westliche Börde haben sich im diesjährigen Sommersemester 30 Studierende der Fachgebiete Denkmalpflege und Bauwerkserhaltung sowie Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen im Rahmen ihrer Bachelor- und
Masterausbildung zeitweise in Gröningen aufgehalten und sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem bedeutenden Baudenkmal auseinandergesetzt. Dabei wurden konservatorische Fragestellungen entwickelt und verfolgt, naturwissenschaftliche Analysen durchgeführt und Überlegungen zum möglichen künftigen Umgang mit der derzeit ungenutzten Kirche angestellt.
Entstanden ist eine herausragende und breite Initiative, die auf beeindruckende Weise am 27. Juli 2025 in der Klosterkirche vorgestellt wurde. Neben den studentischen Konzepten setzt sich der 2024 gegründete und mittlerweile 70 Mitglieder starke Verein KirchplatzVier e. V. für eine Förderung des kulturellen und künstlerischen Lebens im gesamten Stadtgebiet ein und hat sich jetzt auch des baukulturellen Erbes der ehemaligen Klosterkirche angenommen. Die Verbandsgemeinde Westliche Börde unterstützt im Zusammenwirken mit der kirchlichen Gemeinde mit zusätzlichen Öffnungsangeboten und mit der geplanten Unterbringung des Heimatvereins im ehemaligen Klosterareal.
Klosterkirche neu gedacht. Erhaltung, Nutzung, Perspektiven. Studierende zeigen Visionen und Erkenntnisse
Wie gehen wir mit leerstehenden und ungenutzten Kirchenräumen um? Welchen Wert haben diese oftmals mit wertvoller Ausstattung versehenen Räume mit hohem Identifikationspotential für die örtliche Bevölkerung und möglicherweise darüber hinaus? Kann ein solches Gebäude Menschen zusammenführen und das dörfliche Leben, welches vielfach von Vereinzelung, Überalterung und Abwanderung geprägt ist, hin zum Positiven verändern oder beeinflussen und ist das mit additiven Nutzungen möglich? Welche architektonischen Ideen können unter Respektierung der historische Bausubstanz und deren Ausstattung helfen? Das waren Fragestellungen und die Ansätze für das interdisziplinäre studentische Projekt des Studiengangs.
Zehn Bachelor-Studierende der verantwortlichen Professorin für Denkmalpflege und Bauwerkserhaltung, Frau Prof. Dr.-Ing. Birgit Franz, präsentierten in Impulsreferaten ihre Abschlussarbeiten zum Thema ›Möglichkeiten für eine Nutzungserweiterung bei Bewahrung einer kirchlichen Nutzung‹. Ausgehend von der Bausubstanz sowie einer Analyse des Umfelds und des Ortsteils, aber auch einer Bedarfsanalyse sollten Ideen entwickelt werden, die durchaus auch ausgewiesene Flächen des umgebenden Friedhofs einbeziehen durften. Im Zentrum standen die Schaffung von Begegnungsräumen, wie eine Bibliothek, Ateliers, Werkstätten und Ausstellungen, ebenso Räumlichkeiten für eine regionale Versorgung oder Co-Working-Spaces mit kleinem – automatenbasiertem – Café. Die Entwürfe näherten sich an die bestehende Substanz an, sodass kaum Substanzverluste der äußeren Hülle geplant sind.
Weiterhin stellte die verantwortliche Professorin Frau Dr. Barbara Beckett die Untersuchungen und Arbeiten zur Sicherung des Wandmalereibestands der 20 Studierenden ihres Fachgebiets ›Konservierung und Restaurierung von Steinobjekten und Architekturoberflächen‹ vor, die damit die Erkenntnisse zum wertvollen Wandmalereibestand erweiterten.
Die Arbeiten der Studierenden eröffneten einerseits neue Perspektiven für die zukünftige Nutzung der Kirche und bildeten andererseits auch die Grundlage für einen konstruktiven Austausch zwischen interessierten Bürgern, Vereinsvertretern, den Genehmigungsbehörden und der Gemeinde – ein gelungener Auftakt für eine gemeinsame Weiterentwicklung dieses besonderen Ortes.
Gröningen. St. Vitus. Außenansicht.
Source: Michel Klehm
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Gröningen. St. Vitus. Besucherinnen und Besucher während der Vorstellung der Arbeiten der Studierend ...
Source: Torsten Arnold
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students
Art / design, Construction / architecture, Cultural sciences, History / archaeology
transregional, national
Research projects
German
Gröningen. St. Vitus. Außenansicht.
Source: Michel Klehm
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Gröningen. St. Vitus. Besucherinnen und Besucher während der Vorstellung der Arbeiten der Studierend ...
Source: Torsten Arnold
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
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