Neue Studie
Bürgergeld: Einkommen bei Mindestlohnbeschäftigung deutlich höher als mit Grundsicherung – Zahlen zu allen Landkreisen und Städten
Auch wer zum Mindestlohn arbeitet, hat ein deutlich höheres verfügbares Einkommen als vergleichbare Personen, die Bürgergeld beziehen. Das gilt überall in Deutschland und unabhängig von der Haushaltskonstellation.
Im deutschen Durchschnitt liegt der Einkommensvorteil bei 557 Euro monatlich im Falle einer alleinstehenden Person, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet. Eine alleinerziehende Person mit einem Kind hat bei Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn 749 Euro mehr zur Verfügung als bei Bürgergeldbezug. Bei einer Paarfamilie mit zwei Kindern und einer oder einem in Vollzeit zum Mindestlohn Beschäftigten beträgt der Vorteil 660 Euro. In Ostdeutschland inklusive Berlin ist der Lohnabstand etwas größer als im Westen. Bei einer alleinstehenden Person sind es beispielsweise durchschnittlich 570 Euro im Osten gegenüber 549 Euro im Westen.
Regional unterscheidet sich der Umfang des Einkommensvorteils bei Beschäftigung ebenfalls, in vielen Städten und Landkreisen sind die Unterschiede zum Bundesdurchschnitt nach oben oder unten dabei eher moderat. Im regionalen Vergleich am kleinsten ist der Lohnabstand zum Bürgergeldbezug in Orten mit sehr hohen Mieten wie z.B. in München und seinem Umland oder Hamburg. Das zeigt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Sie liefert auch detaillierte regionale Daten für alle 400 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte (siehe Tabelle im Anhang der Studie; Link unten).*
Dass überall in Deutschland ein deutlicher Lohnabstand zwischen einer Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn und Bürgergeld besteht, ist auch eine Folge entsprechend gestalteter Sozialleistungen, zeigt die Untersuchung des WSI: Erstens gibt es mit Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag Leistungen, die verhindern sollen, dass Menschen, die in Beschäftigung stehen, überhaupt auf die Grundsicherung angewiesen sind. Zweitens stellen die Hinzuverdienstregelungen im Sozialgesetzbuch II sicher, dass auch Menschen, die Bürgergeld beziehen, bei Erwerbstätigkeit stets mehr Einkommen zur Verfügung haben als ohne eine Beschäftigung.
„Aktuell steht das Bürgergeld wieder im Zentrum einer oft polemisch geführten Debatte. Eine häufig gehörte Unterstellung ist, dass es sich für Bezieher*innen von Bürgergeld nicht lohne, erwerbstätig zu sein, weil das Bürgergeld zu hoch sei. Die Zahlen dieser Studie zeigen erneut, dass Bürgergeldempfänger*innen unabhängig vom Haushaltstyp und von der Region, in der sie wohnen, weniger Geld haben als Erwerbstätige, die zum Mindestlohn arbeiten“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „In Regionen, in denen der Abstand geringer ist, liegt dies an den Mieten, die in einigen Gegenden extrem hoch sind. Das verweist auf ein Feld, auf dem es im Gegensatz zum Niveau des Bürgergelds tatsächlich dringend politischen Handlungsbedarf gibt: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die sowohl die Staatskasse als auch die unteren Einkommen entlasten würde.“
Der erhebliche Abstand zwischen Bürgergeld und Mindestlohnbeschäftigung mache auch klar, mit wie wenig Geld Bürgeldempfänger*innen auskommen müssen, betont die Soziologin. „Die Behauptung, sie wollten nicht erwerbstätig sein, weil sich mit dem Bürgergeld gut leben lasse, ist sachlich falsch und stigmatisierend. Das ist das letzte, was Bürgergeldempfänger*innen brauchen. Und es hilft auch nicht bei der gesellschaftlichen Problemlösung, weil es von wirksamen Lösungsansätzen ablenkt.“
Tatsächlich helfen würde Qualifizierung von erwerbsfähigen Menschen im Bürgergeldbezug, gute Betreuung „und in vielen Fällen Entlastung von sehr zeit- und kraftintensiver Sorgearbeit, wie der Pflege von Kranken und alten Angehörigen oder der Betreuung von Kindern“, analysiert Kohlrausch. „Statt Menschen mit niedrigen Erwerbseinkommen und Bürgergeldempfänger*innen gegeneinander auszuspielen, ist es Zeit, diese arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen endlich zu adressieren.“
Im Rahmen der Analyse hat WSI-Forscher Dr. Eric Seils für drei typische Haushaltskonstellationen Modellrechnungen auf Basis des „WSI-Steuer-/Transfermodells“ durchgeführt, das alle relevanten Abgaben, das Bürgergeld sowie weitere Sozialleistungen umfasst. Regionale Daten zu den laufenden anerkannten Kosten der Unterkunft wurden der SGB-II-Statistik der Bundesagentur für Arbeit entnommen.
Den Berechnungen zufolge kommt eine alleinstehende Person, die 38,19 Stunden pro Woche zum Mindestlohn arbeitet – was der durchschnittlichen betriebsüblichen Vollarbeitszeit entspricht –, auf einen Bruttomonatslohn von 2121,58 Euro. Davon bleiben nach Abzug von Einkommenssteuer und Sozialversicherungsbeiträgen 1546 Euro. Zusammen mit 26 Euro Wohngeld, auf die im Beispielfall im Bundesdurchschnitt Anspruch besteht, ergibt sich ein verfügbares Einkommen in Höhe von 1572 Euro. Wenn die Person Bürgergeld bezieht, stehen ihr 563 Euro Regelbedarf und bei gleicher Miete 451,73 Euro für die Unterkunft, also in Summe 1015 Euro zu. Der Lohnabstand beträgt damit 557 Euro. Auch wenn man davon noch den Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro abzieht, bleibt eine Differenz von deutlich über 500 Euro.
Bei einer alleinstehenden Person mit fünfjährigem Kind ergibt sich bei gleicher Arbeitszeit ein Nettolohn von 1636 Euro. Mitsamt Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschuss beträgt das verfügbare Einkommen 2532 Euro. Im Falle von Bürgergeldbezug summieren sich die beiden Regelsätze, der Mehrbedarf für Alleinerziehende, die Kosten der Unterkunft und der Sofortzuschlag auf 1783 Euro, was einem Lohnabstand von 749 Euro entspricht.
Ein Ehepaar mit zwei Kindern im Alter von fünf und 14 Jahren und einer Person als Alleinverdiener*in kommt netto auf ein Arbeitseinkommen von 1682 Euro, das verfügbare Einkommen inklusive Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld beträgt hier 3414 Euro. Bürgergeld-Regelsätze, Kosten der Unterkunft und Sofortzuschläge machen zusammen 2754 Euro aus, also 660 Euro weniger.
Regionale Abweichungen beruhen auf Unterschieden bei den Mietkosten: Im Landkreis München, in Dachau und in der Stadt München fällt der Lohnabstand beispielsweise bei einem Single-Haushalt mit 379, 438 bzw. 444 Euro am geringsten aus, in Nordhausen und dem Vogtlandkreis mit 662 bzw. 652 Euro am größten.
Prof. Dr. Bettina Kohlrausch
Wissenschaftliche Direktorin des WSI
Tel.: 0211-7778-186
E-Mail: Bettina-Kohlrausch@boeckler.de
Dr. Eric Seils
WSI, Experte für vergleichende Sozialpolitik
Tel.: 0211-7778-591
E-Mail: Eric-Seils@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
*Eric Seils: Lohnt sich Arbeit in Deutschland noch? WSI Policy Brief Nr. 90, August 2025. Download: https://www.boeckler.de/data/p_wsi_pb_90_2025.pdf
Hinweis an die Redaktionen: Den Appendix mit den regionalen Daten können wir Ihnen auch als Excel-Datei zur Verfügung stellen. Bitte fordern Sie ihn an unter presse@boeckler.de.
Criteria of this press release:
Journalists
Economics / business administration, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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