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08/19/2025 08:00

Das demokratische Potenzial von Gaming-Communitys besser nutzen

Hendrik Baumann Pressestelle
Bertelsmann Stiftung

    Gaming wird in Deutschland zumeist als Wirtschaftsfaktor oder Unterhaltungsform betrachtet. Dabei kommt viel zu kurz, wie politisch die Spieler:innen denken und handeln – vor allem, wenn sie sich in Gaming-Communitys wie Twitch und Discord miteinander austauschen. In diesen digitalen Räumen treffen hohes gesellschaftspolitisches Engagement und Demokratievertrauen auf eine sehr diverse, in Teilen aber auch problematische Debattenkultur. Es ist wichtig, Gaming-Communitys endlich zu verstehen, ernst zu nehmen und einzubinden.

    Gütersloh, 19. August 2025. Mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland ab 16 Jahre spielen digitale Spiele; in der Altersgruppe der 16- bis 34-Jährigen sind es sogar 86 Prozent, wie aus einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Über das Spielen hinaus vernetzen sich viele, vor allem jüngere Menschen, auf Plattformen wie Twitch, TikTok, YouTube oder Discord. In solchen Gaming-Communitys tauschen sie sich nicht nur über Spielerlebnisse, sondern auch über gesellschaftspolitische Themen aus. Aus den USA ist bereits bekannt, dass diese Plattformen für immer mehr junge Menschen zu den wichtigsten Quellen für politische Informationen zählen. Die Bertelsmann Stiftung hat nun erstmals untersucht, wie politisch die Mitglieder dieser Communitys in Deutschland denken und handeln.

    Ein Ergebnis der Studie: Nutzer:innen digitaler Spiele weisen eine ähnliche Bereitschaft zu gesellschaftspolitischem Engagement auf wie der Durchschnitt aller Befragten. Bemerkenswert ist, dass diejenigen, die besonders viel spielen und sich selbst als „Gamer“ bezeichnen würden, sich überdurchschnittlich in demokratische Prozesse einbringen: So geben zum Beispiel 45 Prozent dieser Gruppe der "Gaming-Enthusiast:innen" an, in den vergangenen zwölf Monaten an einer Unterschriftensammlung oder einer Maßnahme zur Bürgerbeteiligung mitgewirkt zu haben. Damit waren sie aktiver als die Gesamtbevölkerung (39 Prozent). Noch größer fällt der Abstand bei politischen Kommentaren in Social-Media-Kanälen (43 Prozent zu 25 Prozent) und bei der Teilnahme an Demonstrationen (27 Prozent zu 14 Prozent) aus.

    "Gaming-Communitys sind alles andere als unpolitisch“

    "Gaming-Communitys sind alles andere als unpolitisch. Für viele junge Menschen sind sie wichtige Kanäle der politischen Meinungsbildung und helfen beim Erlernen demokratischer Spielregeln. Bislang werden sie von Politik und Öffentlichkeit aber zu wenig ernst genommen oder übersehen. Es ist an der Zeit, das demokratische Potenzial der Gaming-Communitys zu nutzen“, sagt Joachim Rother, Experte der Bertelsmann Stiftung für Gaming und Demokratie.

    Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Vertrauen in die Demokratie. Danach gefragt, ob die Demokratie funktioniert, fällt die Zustimmung unter den "Gaming-Enthusiast:innen“ deutlich höher aus als im Durchschnitt aller Befragten (65 Prozent zu 55 Prozent). Auch trauen sie der Politik eher zu, Herausforderungen zu lösen (53 Prozent zu 42 Prozent). Zudem gibt jede:r Zweite von ihnen an, mit anderen Spieler:innen über politische Themen zu diskutieren. Das ist für die Zukunftsfähigkeit der Demokratie auch deshalb sehr relevant, da sich unter den "Gaming-Enthusiast:innen“ viele junge Menschen befinden.

    Wie Rother betont, seien Gaming-Communitys nicht bloß ein Zeitvertreib, sondern bilden soziale und kulturelle Räume, in denen viele Menschen Anschluss und Teilhabe finden. So fühlen sich 43 Prozent aller jungen Männer zwischen 16 und 34 Jahren einer Gaming-Community zugehörig. Mehr als jede:r zweite aus dieser Altersgruppe (54 Prozent) gibt an, über Gaming bereits Freundschaften geschlossen zu haben. Viele von ihnen haben Personen, die sie übers Gaming kennengelernt haben, bereits in der analogen Welt getroffen. Das bedeutet: Gaming kann vor allem bei jungen Menschen soziale Bindungen fördern und Brücke zwischen digitaler und analoger Welt sein.

    Mobbing, Einsamkeit und antidemokratischen Einstellungen begegnen

    Allerdings weist die Studie auch problematische Aspekte aus: Je mehr Spieler:innen online in den sozialen Austausch treten, desto häufiger berichten sie davon, schon mal diskriminiert oder gemobbt worden zu sein. Ein weiteres Problem: 58 Prozent der sehr jungen Gruppe der Enthusiast:innen stufen sich als moderat oder stark einsam ein. Bereits im Vorjahr hat die Bertelsmann Stiftung nachgewiesen, dass junge Menschen besonders häufig von Einsamkeit betroffen sind. Alarmierend ist zudem, dass in der Gruppe der "Gaming-Enthusiast:innen“ auch antisemitische, sexistische und queerfeindliche Einstellungen deutlich häufiger verbreitet sind als im Durchschnitt aller Befragten. Diese ambivalenten Befunde machen laut Bertelsmann Stiftung weitere Forschung sowie Vergleiche zu anderen Online-Räumen erforderlich.

    "In Gaming-Communitys spiegeln sich viele Probleme der Gesamtgesellschaft. Frauenfeindliche oder homophobe Haltungen finden sich besonders häufig bei jungen Männern, die drei Viertel der ‚Gaming-Enthusiast:innen‘ ausmachen. Auch deshalb ist es wichtig, Gaming-Communitys stärker in den Blick zu nehmen. Denn damit steigt die Chance, betroffenen jungen Menschen zu helfen und antidemokratischen Tendenzen zu begegnen“, sagt Jessica Gerke, Jugendexpertin der Bertelsmann Stiftung. Bildungseinrichtungen, Pädagog:innen, Jugendhilfe und Familien seien gefragt, Schutzräume zu schaffen, Gegenrede zu stärken und mit jungen Menschen auf Augenhöhe über ihre digitalen Interaktionen in den Austausch zu treten. Zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch Schulen bietet sich die Chance, über die Verknüpfung von populären Games-Titeln mit gesellschaftlich relevanten Themen bzw. Lerninhalten innovative und interessante Angebote für junge Menschen zu schaffen.

    Um sowohl die Potenziale als auch die Herausforderungen von Gaming-Communitys für die Demokratie sichtbar zu machen, ist es laut Gerke entscheidend, "dass sie von Politik und Öffentlichkeit endlich als das betrachtet werden, was sie sind: zentrale und identitätsstiftende Erfahrungsräume für Millionen junger Menschen“.

    Zusatzinformationen:
    Die Studiendaten hat das Institut pollytix strategic research im Auftrag der Programme "Demokratie und Zusammenhalt”, „Bildung und Next Generation” und „Digitalisierung und Gemeinwohl” der Bertelsmann Stiftung erhoben. Die Erhebung erfolgte als Quotenstichprobe über ein Online-Panel. Insgesamt wurden 6.435 Internetnutzer:innen ab 16 Jahren im Zeitraum vom 10. bis 25. März 2025 befragt. Die Gruppe der „Gaming-Enthusiast:innen“ umfasste 1.203 Befragte.

    AnsprechpartnerInnen:

    Joachim Rother, Telefon: +49 52 41 81 81 579
    E-Mail: joachim.rother@bertelsmann-stiftung.de

    Jessica Gerke, Telefon: +49 30 27 57 88 178
    E-Mail: jessica.gerke@bertelsmann-stiftung.de


    More information:

    https://www.bertelsmann-stiftung.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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