Wie kann Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeit in Bürgerräten unterstützen? Dieser Frage gehen Wissenschaftler*innen der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) derzeit nach. Die Vermutung: An den richtigen Stellen eingesetzt, kann KI mehr Menschen politische Teilhabe ermöglichen und möglicherweise die Kosten und den Aufwand für die Durchführung der Bürgerräte reduzieren. Zwei Tests im Herbst sollen erste Ergebnisse liefern.
Mit ihrem Experiment erschließen die Forschenden der Bergischen Uni neues Wissen. Zur konkreten Anwendung von KI in Bürgerräten liegen bisher kaum Daten vor, was darauf hindeutet, dass ein Einsatz bislang eher selten erfolgt oder nicht erfasst wird. Das haben die Voruntersuchungen im Projekt „KI und Bürgerräte“, kurz KIB, gezeigt. Um KI als Mitspielerin im Prozess gewinnbringend einzusetzen, sei es aber wichtig, mehr darüber zu wissen: „Über unser Experiment hinaus gedacht kann mit KI vielen Menschen gleichzeitig Raum für Beteiligung eröffnet werden. Wenn größere und diversere Bevölkerungsgruppen erreicht werden können, zum Beispiel durch direkt verfügbare Übersetzungsmöglichkeiten oder eine Wissensvermittlung für unterschiedliche Bildungsniveaus, gehen wir davon aus, dass dies auch der Öffnung und Strukturierung von Debatten dient, die für die Gesellschaft zukunftsrelevant sind“, erklärt der Politikwissenschaftler und Projektleiter Prof. Dr. Detlef Sack.
Ein weiterer Punkt, der unterstreicht, wie bedeutend es ist, den Möglichkeiten von KI in Bürgerräten nachzugehen: „Die Themen Wirtschaft und Verteidigung stehen aktuell stark im Fokus, das wirkt sich auch auf die finanziellen Budgets der Kommunen und Länder aus. Es deutet sich an, dass für partizipative Demokratieformate wie Bürgerräte, also für die Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen, nicht mehr so viel Geld übrig ist“, weiß Detlef Sack. In Gesprächen mit denjenigen, die Bürgerräte durchführen, höre man die Hoffnung und den Glauben heraus, dass KI dabei helfen könne, die Kosten für einen Bürgerrat zu reduzieren, sodass sie auch zukünftig stattfinden können, berichtet Emilia Blank, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt.
Genau hingeschaut: Wie im Projekt KI und Bürgerräte gearbeitet wird
Wie sieht der Stadtverkehr der Zukunft aus? Wie soll die Pflege organisiert werden? Wie kann der lokale Marktplatz neu gestaltet werden? Diese und viele andere Themen können in einem Bürgerrat diskutiert werden. Die daraus formulierten Handlungsempfehlungen werden dem jeweils zuständigen Parlament oder Gemeinderat zur Beratung vorgelegt.
Damit die zufällig aus der Bevölkerung ausgelosten Teilnehmenden eines Bürgerrats in großer Runde sowie in Kleingruppen auch sachkundig diskutieren können, hören sie zu dem jeweiligen Thema Vorträge von Fachleuten und können Fragen stellen. Genau in dieser Phase setzt das Forschungsprojekt „KI und Bürgerräte“ an. „Wir entwickeln derzeit ein KI-Expert*innen-System, das in Form eines Chatbots die Vermittlung der Informationen und den Austausch der Teilnehmenden über das Thema unterstützen könnte“, erklärt Demokratieforscher Detlef Sack.
Denn: „Eine bestehende Herausforderung in Bürgerräten ist, dass sich nicht alle Menschen trauen, vor Publikum Fragen zu stellen. Damit sie das zu verhandelnde Thema durchdringen, ist die Beantwortung ihrer Frage aber wichtig. Auch die Art und Weise, wie die Fachleute ihr Wissen vortragen kann sich auf das Verständnis und die Einstellung der Teilnehmenden zum Thema auswirken“, erklärt Emilia Blank, die am von Prof. Sack geleiteten Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung promoviert. Für beide Herausforderungen soll der Chatbot eine Lösung sein: Er ermöglicht es den Teilnehmenden, ohne Hemmungen nachzufragen und gibt Antworten in einfacher Sprache.
Fakultätsübergreifende Kooperation
Bei der Entwicklung des Tools kooperieren die Politikwissenschaftler*innen innerhalb der Universität mit den KI-Experten des Interdisziplinären Zentrums für Machine Learning and Data Analytics (IZMD). Während die einen die Anforderungen kennen, wissen die anderen, sie technisch umzusetzen. Detlef Sack: „Das Tool muss die grundlegenden Fakten zu einem Thema kennen. Wenn es um Fragen der Mobilität in einer Stadt geht, muss es parat haben, wie viel Verkehr es in dieser Stadt gibt, wie viel davon Lieferverkehr oder Individualverkehr ist, et cetera.“ Zudem müsse es die unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema kennen, die den Teilnehmenden im Bürgerrat vorgetragen werden.
Andreas Burgdorf und Miguel Gomes vom IZMD sorgen dafür, dass die Dokumentendatenbank im Hintergrund mit all diesem nötigen Wissen gefüllt werden kann und programmiert den Chatbot auf Grundlage eines großen Sprachmodells, das die Daten nutzt, um verständliche und sachlich richtige Antworten zu formulieren. „Das bedeutet, dass wir für jeden Bürgerrat, der künftig mit dem Expert*innen-System arbeitet, eine themenspezifische Dokumentendatenbank aufbauen und diese sicher auf den Servern der Uni betreiben“, gibt Informatiker Burgdorf Einblicke ins Vorgehen.
Praxistest steht kurz bevor
Wie der Chatbot ankommt und ob er einen Mehrwert für die Durchführung des Bürgerrats hat, das wollen die Forschenden ab Herbst herausfinden. In zwei NRW-Städten begleiten sie jeweils einen Bürgerrat – einen zum Thema Beteiligungsformate in der Stadt und einen zum Thema Energiegenossenschaften. „Die Bürgerräte laufen ab, wie sonst auch. Das Expert*innen-Tool ersetzt niemanden, sondern kommt als zusätzliches Hilfsmittel zum Einsatz“, berichtet Emilia Blank.
Ein Experiment, dessen Ausgang offen ist. „Uns geht es in erster Linie darum, produktive Potenziale von Künstlicher Intelligenz für die Demokratie ausfindig zu machen. Natürlich können wir dabei auch herausfinden, dass der Einsatz dieses Tools wenig bringt oder im Verhältnis zum Aufwand, es für jeden Bürgerrat aufzubereiten, nicht lohnt“, betont Detlef Sack.
Durch Beobachtung und Befragung der Teilnehmenden soll all das geklärt werden. „Dazu gehören auch Fragen, wie technikaffin die Teilnehmenden sind und ob ihre Einstellung zu KI die Benutzung im Bürgerrat beeinflusst“, berichtet Blank.
Wichtig sei, dass der Charme von Bürgerräten bestehen bleibt: „Bürgerräte haben das Pfund, aus eins und eins mehr als zwei zu machen. Das bedeutet, dass durch den Austausch der Teilnehmenden untereinander Gruppenwissen entsteht und zur Anwendung kommt. Die Erkenntnis über ein Thema wächst. Wir schauen also genau hin, wie sich der Einsatz des Tools auf die Interaktivität der Gruppe auswirkt“, so Sack.
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Mehr Hintergrund: Bürgerräte
Bei Bürgerräten beraten zufällig ausgewählte Bürger*innen über eine konkrete, themenfokussierte Fragestellung und erarbeiten Empfehlungen. Charakteristisch sind neben dem Losverfahren eine Phase der Wissensvermittlung durch Fachkundige sowie eine neutrale und faire Moderation. Ziel dieses Vorgehens ist die Schaffung einer optimalen Umgebung für offene, sachorientierte und gleichberechtigte Diskussionen („Deliberation“) zwischen den Bürger*innen.
An der Bergischen Universität Wuppertal beschäftigt sich das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung intensiv mit Bürgerräten. Die Expert*innen begleiten und evaluieren einzelne Bürgerräte und erforschen ebenso den gesamten Prozess als demokratisches Beteiligungsformat. Mit der Datenbank Bürgerräte haben die Forschenden in Zusammenarbeit mit dem Verein Mehr Demokratie e. V. ein Instrument geschaffen, das einen systematischen Überblick über die losbasierte Beteiligungspraxis in Deutschland erlaubt. 2024 veröffentlichten die Kooperationspartner ihren ersten Bericht zu Bürgerräten in Deutschland.
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Prof. Dr. Detlef Sack
Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung
E-Mail detlef.sack@uni-wuppertal.de
https://idpf.uni-wuppertal.de/de/ - Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung, BUW
https://www.datenbank-buergerraete.info/ - Datenbank Bürgerräte
https://www.datenbank-buergerraete.info/pdf/2024-10-22_Mehr-Demokratie_Buergerra... - Bericht zu Bürgerräten in Deutschland
https://www.izmd.uni-wuppertal.de/de/ - Interdisziplinäres Zentrum für Machine Learning and Data Analytics, BUW
Um ein Thema zu diskutieren, brauchen die Teilnehmenden fundierte Informationen. KI kann im Bürger ...
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Criteria of this press release:
Journalists
Information technology, Politics
transregional, national
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German
Um ein Thema zu diskutieren, brauchen die Teilnehmenden fundierte Informationen. KI kann im Bürger ...
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