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09/08/2025 14:11

Einzigartiges Konzept zur Beobachtung arktischen Meereises erfolgreich umgesetzt

Roland Koch Kommunikation und Medien
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

    Die Polarstern beendete kürzlich in Longyearbyen, Svalbard, eine zweimonatige Expedition in der Zentralarktis. Dabei stand die sommerliche Schmelze des arktischen Meereises in drei verschiedenen Regimen im Fokus des internationalen und interdisziplinären Forschungsteams unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts. Die umfangreiche Bestandsaufnahme zeigte große Unterschiede zwischen verschiedenen Meereisregimen sowie eine geringe Meereiskonzentration im Untersuchungsgebiet. Außerdem dominierten Bakterien und Zooplankton die Biologie während die erwarteten Eisalgen kaum gefunden werden konnten.

    Im Zentrum der CONTRASTS-Expedition stand erstmals der parallele Vergleich verschiedener arktischer Meereisregime in der Hauptschmelzsaison. Dem Forschungsteam an Bord unter Leitung von Dr. Marcel Nicolaus, Meereisphysiker am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) gelang es, drei verschiedene Eisregime zu finden, dort Messstationen aufzubauen und sie genau unter die Lupe zu nehmen. Marcel Nicolaus erklärt: „Wir konnten in jedem der drei Eisregime je eine Eisscholle in den vergangenen zwei Monaten viermal anfahren und vor Ort erforschen. Zwischen unseren Stationsarbeiten sammelten autonome Messstationen und Kameras kontinuierlich Daten. Die Beobachtungen deckten damit sechs Wochen der intensivsten sommerlichen Schmelzperiode ab.“

    Überraschenderweise wurden während der gesamten Expedition kaum Eisalgen in oder unter den Eisschollen gefunden, selbst in Regime 3, wo zu Beginn nur wenig Eisschmelze stattgefunden hatte. Eine ähnliche Abwesenheit wurde zwei Jahre zuvor während ArcWatch 1 beobachtet, während frühere Expeditionen durchweg von einer Dominanz der Eisalgen berichteten. Ob dies einen drastischen Rückgang der Eisalgen oder deren frühzeitiges Abschmelzen vor CONTRASTS widerspiegelt, ist noch unklar; Sedimentproben aus 4000 m Tiefe könnten Antworten liefern. Mit Hilfe von Mikroskopie und dem neuen Planktoskop-System konnte Alexandra Kraberg (AWI) nur wenige vereinzelte Eisalgenzellen unter Millionen von Phytoplankton nachweisen. Stattdessen wurde die beobachtete hohe Biomasse durch das mikrobielle Recycling organischer Stoffe und reichlich vorhandenes Zooplankton unterstützt, das Kohlenstoff über Kotbällen in die Tiefsee transportierte. Während der Studie hing die Dynamik des Ökosystems kaum vom Licht ab, sondern wurde stark von mikrobiellen Prozessen und trophischen Verbindungen geprägt, die es Rudderfußkrebsen und anderen Zooplankton ermöglichten, sich von Bakterien zu ernähren. In laufenden Analysen wird nun untersucht, wie Eisregime, Atmosphäre und Meeresbedingungen zusammenwirken und die Ökologie und den Kohlenstoffkreislauf beeinflussen.

    „In diesem Jahr war die Eiskonzentration in der Untersuchungsregion im Juli und August ungewöhnlich niedrig, vermutlich infolge von im Frühjahr vorherrschenden Winden, die das Eis auseinandertreiben“, berichtet Marcel Nicolaus aus der Arktis. „Dadurch konnte die Polarstern häufig mit bis zu 5 Knoten durchs Eis fahren – deutlich schneller als die erwarteten 2,5–3 Knoten. Das gemessene Eis war trotz hohen Alters mit durchschnittlich 1,5 Metern verhältnismäßig dünn und zeigte nur wenige Presseisrücken.“ Die Meereisausdehnung, die im September in der Arktis ihr jährliches Minimum erreichen wird, liegt aktuell ungefähr in der Größenordnung des Vorjahres, und damit voraussichtlich über dem Allzeitminimum im Jahr 2012. Per Definition gilt die Fläche dann als meereisbedeckt, die eine Eiskonzentration von mindestens 15 Prozent aufweist. Dabei spielt es für die Berechnung der Meereisausdehnung keine Rolle, ob 100 Prozent eisbedeckt sind oder ob das Wasser bis zu 85 Prozent offen ist.

    Abgestimmt auf die Polarstern-Expedition fanden im Rahmen der IceBird-Kampagne parallele Meereis-Messungen mit dem AWI Forschungsflugzeug Polar 6, unter der Leitung von Gerit Birnbaum (AWI), statt. Neben der Eisdicke und der Verteilung von Schmelztümpeln wurden aus der Luft auch erstmalig deren Tiefe anhand eines speziellen Lasers erfasst. Verteilung und Tiefe von Schmelztümpeln haben einen entscheidenden Einfluss auf die Energiebilanz des arktischen Eises: Die dunklen Wasserflächen auf hellem Eis verringern die Albedo, also die Rückstrahlung von Sonnenenergie. Deshalb stand die Entwicklung von Schmelztümpeln auch im Fokus der Arbeiten auf den Eisschollen, mit überraschenden Ergebnissen: Schon minimale Temperaturabnahmen von weniger als 0,5 °C konnten kurzfristige Gefrierprozesse an der Oberfläche auslösen. Marcel Nicolaus beschreibt, was das Forschungsteam im Juli und August beobachten konnte: „Zunächst dominierte die Oberflächenschmelze durch warme Lufttemperaturen. Danach schmolz das Eis zunehmend an der Unterseite durch ozeanische Wärme. Regen beschleunigte die Schmelze zusätzlich und veränderte die Oberflächeneigenschaften, wie Albedo, Rauigkeit, Wärmeleitfähigkeit, Wassergehalt und damit vor allem auch die Art, wie sich das Eis in Satellitenbildern darstellt, in kurzer Zeit stark. Besonders beeindruckend war, wie Schmelztümpel innerhalb kurzer Zeit verschwanden, weil sie plötzlich drainierten. Dies führte ebenso zu einer Erhöhung der Albedo wie Schneefall.“

    An Bord arbeiteten 57 wissenschaftliche Fahrtteilnehmende aus 13 Nationen zusammen mit 43 Crewmitgliedern. Die aufgenommenen Daten und Proben analysieren sie jetzt weiter in ihren Heimatinstituten. Die Polarstern unternimmt eine weitere Arktisexpedition in das Seegebiet nordöstlich von Grönland unter Leitung des physikalischen Ozeanographen Prof. Torsten Kanzow vom Alfred-Wegener-Institut. Ende Oktober wird das Schiff in seinem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

    Hintergrund: die untersuchten Meereisregime
    Ein Meereisregime ist definiert durch Alter, Herkunft, Drift und die Bedingungen in Ozean und Atmosphäre. Die Polarstern steuerte nacheinander drei Regime an, die sich stark voneinander unterschieden. Erste Analysen an Bord der Polarstern bestätigten, dass das Team die richtigen Eisschollen ausgewählt hatte. So konnten beispielsweise die Driftrouten und damit der Ursprünge des Eises berechnet werden. Folgende Regime wurden erforscht:
    • Regime 1: einjähriges Eis in der marginalen Eiszone (MIZ), dünn und sehr eben. Dieses Regime wird die Arktis voraussichtlich in der Zukunft dominieren. In diesem Jahr ist es überraschend stark nach Osten verdriftet.
    • Regime 2: vorwiegend zwei- bis mehrjähriges Eis welches in der russischen Arktis gebildet wurde und häufig Sedimenteinschlüsse aufweist. Während es früher das Bild der zentralen Arktis bestimmte, schmilzt es heute verstärkt, bevor es die Framstrasse erreicht.
    • Regime 3: mehrjähriges Eis aus den Regionen nördlich von Grönland und Kanada. Das älteste und am stärksten deformierte Eis, da es über lange Zeit hohen Drücken ausgesetzt war. Dieses Eis ist stark zurückgegangen und war in der Vergangenheit weit verbreitet.


    Contact for scientific information:

    Dr. Marcel Nicolaus (zur Zeit noch an Bord Polarstern)
    mnicolaus@awi-polarstern.de


    More information:

    https://we.tl/t-XYBHO89HHA Aktuelles Videomaterial
    https://multimedia.awi.de/pincollection.jspx?collectionName=%7B91035899-a0fa-455... Fotos zur CONTRASTS Expedition
    https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse.html Onlineversion dieser Pressemitteilung


    Images

    CONTRASTS ROV-Einsatz
    CONTRASTS ROV-Einsatz
    Source: Evgenii Salganik
    Copyright: Alfred-Wegener-Institut / Evgenii Salganik


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
    Environment / ecology, Oceanology / climate
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications
    German


     

    CONTRASTS ROV-Einsatz


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