In einem aktuellen Kommentar sprechen sich die Nachwuchsorganisationen verschiedener medizinischer Fachgesellschaften, darunter auch die Junge Neurologie, gegen den aktuellen Entwurf eines Curriculums für einen Facharzt Notfallmedizin aus. Sie befürchten eine Abnahme der Versorgungsqualität und sehen darüber hinaus viele Struktur- und Umsetzungsprobleme. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie teilt die Bedenken der jungen Kolleginnen und Kollegen.
Derzeit läuft eine Diskussion um ein eigenständiges Weiterbildungsfach Notfallmedizin. Nach einem Vorschlag der Deutschen Gesellschaft für Notfallmedizin (vormals Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin, DGINA) sollen Medizinerinnen und Mediziner in einer fünfjährigen Weiterbildungszeit alle Kompetenzen erlernen, die derzeit durch ein multidisziplinäres Team in der Notaufnahme abgedeckt werden.
„Wir haben die Sorge, dass mit der Abkehr vom interdisziplinären Versorgungskonzept die hohe Qualität der medizinischen Versorgung in deutschen Notfallambulanzen enorm leiden würde. Entscheidungskompetenz in komplexen Situationen erfordert den Facharztstandard einzelner Fachrichtungen, wie der Anästhesiologie, der Kinderheilkunde, der Inneren Medizin und der Neurologie. Die Dichte der Inhalte in der Weiterbildung der einzelnen Fächer ist enorm hoch – und die moderne Medizin entwickelt sich rasant weiter, was immer mehr Tiefenexpertise erfordert“, erklärt Dr. Johannes Heinrich Alexander Piel, Sprecher der Jungen Neurologie, der damit auch den Standpunkt des medizinischen Nachwuchs anderer Disziplinen auf den Punkt bringt. Denn aktuell hat die Junge Neurologie gemeinsam mit den Nachwuchsorganisationen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Junge DIVI), der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Junge DGIM), der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (Junge DGKJ), der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (Young GNPI) sowie der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (Junge DSG) einen Kommentar [1] verfasst, in der sie diese Sicht dezidiert darlegt und begründet.
In dem Text wird am Beispiel des Schlaganfalls gezeigt, wie komplex die Diagnostik ist und wie hoch das Risiko, Patientenleben durch falsche Therapieentscheidungen zu gefährden. „Oft ist die Thrombolyseentscheidung eine Grenzfallentscheidung und der Entscheidungspfad wird durch die Erweiterung der Zeitfenster immer komplexer. Die genaue Indikationsstellung und der Ausschluss von Differentialdiagnosen erfordern Fachexpertise und Erfahrung, die nicht in ein paar Wochen erworben werden kann“, so Piel. Er verweist auf Daten, denen zufolge die Komplikationsrate bei der Therapie ischämischer Schlaganfälle, insbesondere für symptomatische intrazerebrale Blutungen, signifikant niedriger ist, wenn die Lysetherapie durch spezialisierte neurologische Teams erfolgt. Diese Problematik ergibt sich bei allen hochspezialisierten Therapien in der Notfallaufnahme, besonders stark in der Kinder- und Jugendmedizin.
Neben der Sorge um die Qualität der medizinischen Notfallversorgung in Deutschland wird in der Stellungnahme auch auf strukturelle Probleme verwiesen. Hierzu zählen Schnittstellenproblematiken, mögliche Doppelstrukturen und die Organisation der Weiterbildung zu „Fachärztinnen/-ärzte für Notfallmedizin“. Rein praktische Hürden ergeben sich durch die Zulassung verschiedener Therapieverfahren, die nur von einer Fachärztin oder einem Facharzt der entsprechenden Disziplin durchgeführt werden dürfen.
„Besonders bedenkenswert ist aus meiner Sicht, dass die an dem Kommentar beteiligten jungen Ärztinnen und Ärzte verschiedener Disziplinen auch Karrieregründe gegen das Vorhaben anführen und die mangelnde berufliche Flexibilität einer solchen Fachrichtung befürchten“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Quereinstiege in andere Facharztgebiete inklusive Allgemeinmedizin seien nicht möglich, auch die Zusatzweiterbildung Intensivmedizin könne durch „Fachärztinnen/-ärzte für Notfallmedizin“ nicht erworben werden und Niederlassungsmöglichkeiten seien kaum vorstellbar. „Das alles macht den vorgeschlagenen eigenständigen Facharzttitel letztlich unattraktiv. Umgekehrt ist jedoch für die meisten jungen Kolleginnen und Kollegen die Rotation auf die Notaufnahme mit der dort gelebten Interdisziplinarität ein Kernbestandteil der grundständigen Facharztweiterbildung. Als Fachgesellschaft wollen wir möglichst viele junge Menschen für den Arztberuf und die akute Patientenversorgung begeistern. Allein das spricht dafür, die Multidisziplinarität der Notaufnahmeversorgung beizubehalten.“
[1] Josuttis, D., Becker, C., Beuker, C. et al. Interdisziplinäre Notfallmedizin erhalten!. Notfall Rettungsmed (2025). https://doi.org/10.1007/s10049-025-01630-4. Abrufbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-025-01630-4
Pressekontakt
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
Pressesprecher: Prof. Dr. Peter Berlit
Leiterin der DGN-Pressestelle: Dr. Bettina Albers
Tel.: +49(0)174 2165629
E-Mail: presse@dgn.org
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 13.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
Präsidentin: Prof. Dr. Daniela Berg
Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Dr. Sven Meuth
Past-Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
Geschäftsstelle: Budapester Str. 7/9, 10787 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org
https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-025-01630-4
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Advanced scientific education, Organisational matters
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).