Ubiquitin bestimmt das Schicksal vieler Proteine in menschlichen Zellen: Es entscheidet, ob sie aktiv bleiben oder abgebaut werden und welche Funktionen sie ausführen. Ubiquitin-Ligasen sind hierfür unerlässlich. Als molekulare Etikettiermaschinen heften sie das kleine Protein Ubiquitin an die zu steuernden Zielproteine an. Forschende haben nun entdeckt, dass die menschliche Ubiquitin-Ligase HUWE1 Ubiquitin nicht nur an zelluläre Proteine anheftet. Sie kann auch von außen zugesetzte arzneimittelähnliche Moleküle damit markieren und so das Ubiquitin-System in der Zelle beeinflussen. Diese Erkenntnisse könnten neue Möglichkeiten in der Arzneimittelforschung und Biotechnologie eröffnen.
Klein – und trotzdem mächtig: Ubiquitin steuert die Lebenszeit und Verteilung von Proteinen in der Zelle, kann aber auch deren Form, Funktion oder Wechselwirkungen mit anderen Zellbestandteilen bestimmen. Entscheidend dabei ist, dass Ubiquitin-Ligasen die entsprechenden Proteine unter Zehntausenden von Molekülen zuverlässig erkennen und passende Anweisungen übermitteln. Ist dieser präzise Etikettier-Vorgang gestört, können Prozesse in der Zelle fehlerhaft sein und Krankheiten wie Krebs entstehen. Umgekehrt ist es möglich, Ubiquitin-Ligasen durch Medikamente so zu beeinflussen, dass einzelne krankheitsfördernde Proteine mit Ubiquitin etikettiert und somit abgebaut werden. Dieses Prinzip ist bisher jedoch nur für wenige der über 600 menschlichen Ubiquitin-Ligasen anwendbar.
Ein interessanter, bislang nicht genutzter Angriffspunkt für therapeutische Strategien ist die Ubiquitin-Ligase HUWE1, die eine wichtige Rolle in Tumoren und bei geistigen Entwicklungsstörungen spielt. Zwar werden arzneimittelähnliche Substanzen als Hemmstoffe für HUWE1 in der Forschung bereits verwendet, ihr Wirkprinzip war jedoch bisher unverstanden. Dies verhinderte ihre Weiterentwicklung hin zu potenziellen therapeutischen Wirkstoffen.
Raffinierter Entdeckungsprozess
Den überraschenden Wirkmechanismus dieser Substanzen entschlüsselte jetzt ein Team um Sonja Lorenz vom MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften mit einem interdisziplinären Ansatz. Die Forschenden kombinierten dabei Methoden aus der Proteinbiochemie, Zellbiologie und der sogenannten Click-Chemie. Entscheidend für den Erfolg seien außerdem maßgeschneiderte Molekülsynthesen durch Medizinchemiker um Matthias Gehringer an der Universität Tübingen, massenspektrometrische Messungen der Forschungsgruppe von Henning Urlaub sowie Molekulardynamiksimulationen durch Kollegen aus der Abteilung von Helmut Grubmüller am MPI gewesen, wie die Forschungsgruppenleiterin betont.
Wettbewerb statt Hemmung
„Wir haben herausgefunden, dass die arzneiähnlichen Verbindungen, die als Hemmstoffe für HUWE1 vertrieben werden, in der Tat mit diesem Enzym wechselwirken. Aber nicht, indem sie es hemmen. Vielmehr erkennt HUWE1 die Substanzen selbst als Zielmoleküle und markiert sie mit Ubiquitin“, berichtet Lorenz. „Wenn die arzneimittelähnlichen Stoffe in im Reagenzglas im Überschuss gegenüber einem natürlichen Zielprotein einsetzt werden, verbrauchen sie das Ubiquitin. Dann liegt nämlich eine Wettbewerbssituation zwischen den arzneimittelähnlichen Stoffen und dem Zielprotein vor, die zuvor irrtümlich als Hemmung von HUWE1 interpretiert wurde“, ergänzt Pavel Pohl, einer der Hauptautor*innen der jetzt im Fachmagazin Nature Communications erschienenen Arbeit.
Dem Team gelang außerdem erstmals der Nachweis, dass die synthetischen Substanzen auch in lebenden Zellen mit Ubiquitin versehen werden. Hier ist die Situation allerdings deutlich komplexer als im Reagenzglas. „In der Zelle fördert HUWE1 zwar die Ubiquitinierung der Substanzen, treibt sie aber nicht allein an“, erklärt Barbara Orth, ebenfalls Hauptautorin der Studie. Dies bedeutet, dass neben HUWE1 auch andere zelluläre Ubiquitinierungsenzyme die Fähigkeit besitzen, arzneimittelähnliche Moleküle mit Ubiquitin zu etikettieren. Diese Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung, da man Ubiquitin-Signale in Zellen bisher nur auf Proteinen, Zuckern und anderen Biomolekülen beobachtet hatte, nicht aber auf synthetischen Substanzen.
„Das neuartige Substratspektrum wird besonders für therapeutische und biotechnologische Anwendungen im Ubiquitin-Feld interessant sein. Unsere Entdeckung liefert konkrete Ansätze für neue molekulare Werkzeuge, um von außen in das Ubiquitin-System einzugreifen und so Krankheitsprozesse zu beeinflussen“, erklärt Lorenz.
Dr. Sonja Lorenz
Forschungsgruppe Spezifitätsmechanismen im Ubiquitin-System
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Tel.: +49 551 201-1757
E-Mail: sonja.lorenz@mpinat.mpg.de
Orth, B.; Pohl, P.; Aust, F.; Ji, Y.; Seenivasan, A.; Dybkov, O.; Liang, X. J.; Bock, L.; Leidner, F.; Levantovsky, S.; Schardey, P.; Sander, P.; Disch, N. J.; Trautz, M. L.; Mizi, A.; Papantonis, A.; Lenz, C.; Grubmüller, H.; Steinchen, W.; Behrends, C.; Urlaub, H.; Gehringer, M.; & Lorenz, S.: Selective ubiquitination of drug-like small molecules by the ubiquitin ligase HUWE.1. Nature Communications (2. September 2025)
https://www.nature.com/articles/s41467-025-63442-x
https://www.mpinat.mpg.de/5118503/pr_2519 – Original-Pressemitteilung
https://www.mpinat.mpg.de/de/lorenz – Webseite der Forschungsgruppe Spezifitätsmechanismen im Ubiquitin-System, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Die Ligase HUWE1 kann synthetische Moleküle in Zellen mit Ubiquitin markieren.
Source: Blanca Jaime Banos
Copyright: Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology, Chemistry
transregional, national
Research results
German
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