Uni Hohenheim: Wahrgenommene Zukunftsperspektive entscheidet darüber, ob im späten Erwerbsleben Freundschaften im Job gepflegt werden oder nicht.
Ob Menschen im fortgeschrittenen Erwerbsalter Freundschaften im Job pflegen oder sich eher zurückziehen, ist keine Frage des Alters, sondern der beruflichen Perspektive. Das zeigt eine Studie der beiden Professorinnen Ulrike Fasbender von der Universität Hohenheim in Stuttgart und Nina M. Junker von der Universität Oslo. Dazu befragten die beiden Arbeitspsychologinnen 902 Beschäftigte zwischen 50 und 67 Jahren. Entscheidend ist demnach, wie Menschen die eigene Zukunft im Job wahrnehmen: Wer Chancen sieht, etwa durch Lernmöglichkeiten, neue Projekte oder Mentoring, investiert stärker in Beziehungen. Wer dagegen innerlich bereits mit dem Beruf abgeschlossen hat, zieht sich eher zurück. Führungskräfte sollten das berücksichtigen.
Die Belegschaften werden immer älter. Für Unternehmen kann das Chance und Herausforderung zugleich sein. Denn Freundschaften am Arbeitsplatz gelten als wichtige Ressource: Sie stärken das Wohlbefinden, fördern Vertrauen und Zusammenarbeit im Job und tragen dazu bei, dass Wissen im Unternehmen erhalten bleibt. Doch wie verändern sich diese Bindungen, wenn Beschäftigte älter werden und sich dem Ruhestand nähern?
„Zwei Kolleginnen. Beide am Ende des Berufslebens, gleiches Alter, ähnliche Aufgaben und doch völlig verschiedene Dynamiken im jeweiligen Team. Warum blühen hier Freundschaften auf, während sie anderswo leiser werden?“, beschreibt Professorin Fasbender vom Fachgebiet Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Hohenheim die Problemstellung. „Genau solche Gegensätze sehen wir häufiger, und sie werfen die größere Frage auf: Wovon hängen Arbeitsfreundschaften im späten Erwerbsleben wirklich ab?“
Sind Arbeitsfreundschaften „nichts für Ältere“ – oder wovon hängt ihr Fortbestand ab?
„Uns fiel auf, dass frühere Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen kamen: Mal scheinen ältere Beschäftigte mehr Freundschaften zu pflegen, mal weniger, mal zeigt sich gar kein Zusammenhang“, so die Arbeitspsychologin. Diesem Rätsel wollten die beiden Professorinnen Ulrike Fasbender und Nina M. Junker auf die Spur kommen.
Unter der Frage: „Sind Arbeitsfreundschaften ‚nichts für Ältere‘ – oder wovon hängt ihr Fortbestand ab?“ untersuchten sie, welche Faktoren hinter den Gegensätzen stecken und wie sie zusammenwirken. Dazu befragten sie 902 Vollzeitbeschäftigte in Großbritannien im Alter von 50 bis 67 Jahren. Die Daten wurden in drei Befragungswellen im Abstand von jeweils zwei Wochen erhoben.
Der Schlüssel: berufliche Zukunftsperspektive
Das klare, aber überraschende Ergebnis: Nicht das Alter an sich entscheidet. Viel wichtiger ist die wahrgenommene berufliche Zukunftsperspektive. „Gemeint ist damit ausdrücklich nicht die kalendarische Zahl der Jahre bis zur Rente“, stellt Professorin Fasbender klar.
„Zwei Personen mit objektiv zwei Jahren bis zum Ruhestand können ihre Zukunft völlig unterschiedlich erleben. Die eine sieht Lernchancen, spannende Projekte und vielleicht eine Rolle als Mentor:in – ihre Zukunft wirkt offen und bedeutungsvoll. Die andere zählt innerlich schon die Tage bis zur Rente, spürt kaum noch Möglichkeiten und zieht sich zurück“, beschreibt die Expertin.
Diese subjektive Zukunftssicht nennen die Forschenden „berufliche Zukunftsperspektive“. „Sie umfasst, wie lang und offen sich die berufliche Zukunft anfühlt und ob jemand noch Chancen sieht, Ziele zu verfolgen“, erklärt die Arbeitspsychologin. „Genau das ist der zentrale Aspekt in unserer Studie. Damit lassen sich die Ergebnisse besser erklären als mit dem kalendarischen Alter. Was wiederum auch die unterschiedlichen Ergebnisse aus der Vergangenheit erklärt.“
Zwei gegensätzliche Prozesse: Nähe und Rückzug ...
Sinkt die wahrgenommene Zukunftsperspektive, treten zwei gegensätzliche Prozesse gleichzeitig in Gang. Auf der einen Seite wächst bei manchen der Wunsch nach Nähe und guter gemeinsamer Zeit: Die Menschen investieren bewusster in Gespräche, Vertrauen und Unterstützung, Freundschaften gewinnen an Tiefe. Die Wissenschaftlerinnen nennen dies „Prozess der sozio-emotionalen Nähe“.
Auf der anderen Seite nimmt bei manchen der Rückzug aus dem Job zu: Die Person kapselt sich eher ab, vermeidet zusätzlichen sozialen Aufwand und reduziert freiwilligen Austausch – die Forschenden bezeichnen dies als „Prozess des arbeitsbezogenen Rückzugs“. „Beide Prozesse existieren nebeneinander. Daher hat das Alter allein keinen signifikanten Gesamteffekt“, so Professorin Fasbender.
… ein Hebel: persönliche Präferenz
„Welche dieser beiden Kräfte überwiegt, hängt entscheidend von den individuellen Vorlieben ab: Wer außerberufliche Freundschaften wichtiger findet als solche mit den Kolleg:innen, neigt stärker dazu, sich mit steigendem Alter und abnehmender Zukunftsperspektive im Job zurückzuziehen“, fährt sie fort.
Wichtig hierbei: Diese Präferenz verstärkt ausschließlich den Rückzugs-Pfad. Der Nähe-Pfad wird davon nicht beeinflusst. „Das passt zu unserer Alltagserfahrung“, sagt die Expertin: „Wer sein soziales Leben hauptsächlich außerhalb der Arbeit verankert, baut betriebliche Kontakte eher ab, wenn die berufliche Zukunft kleiner erscheint.“
Insgesamt sind also drei psychologische Vorgänge entscheidend für die Arbeitsfreundschaften bei Älteren: der Nähe-Pfad, der Rückzugs-Pfad und der Vorzug von Freundschaften auf der Arbeit gegenüber denjenigen außerhalb des Jobs. „Die wahrgenommene Zukunftsperspektive schaltet die beiden ersten Prozesse an. Die persönliche Vorliebe entscheidet dann, welcher davon dominiert“, fasst sie zusammen.
Was heißt das für die Praxis?
„Daraus ergibt sich für Führungskräfte und Personalverantwortliche ein anderes zentrales Arbeitsfeld als bisher“, so die Arbeitspsychologin. „Wenn Organisationen spürbare Perspektiven bieten, wie zum Beispiel Lerngelegenheiten, Projektverantwortung, Coaching- und Mentoring-Programme oder klare Übergabepfade, sinkt das Risiko eines stillen Rückzugs, und Beziehungen bleiben lebendig.“
Ebenso wichtig sei die soziale Qualität im Arbeitsalltag: Räume und Rituale, die echten Austausch ermöglichen, statt ihn als „Zeitfresser“ zu behandeln. Und wer wisse, dass jemand sein soziales Netzwerk vor allem außerhalb des Jobs pflege, sollte den Übergang bewusst gestalten: geplante Tandems, Wissensweitergabe, Alumni-Anbindung.
„Am Ende geht es um Prioritäten“, meint sie. „Wer Arbeitsfreundschaften wichtig findet, plant feste Zeiten für kurze Gespräche, gemeinsame Reflexionen und kleine gemeinsame Aufgaben ein. Wer seinen Schwerpunkt außerhalb der Arbeit sieht, sollte den Abschied sozial fair gestalten: Wissen sammeln, Übergaben klären, Erreichbarkeit festhalten.“ So blieben Beziehungen und Wissen im Unternehmen, lautet das Fazit der Forscherinnen.
Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
https://www.uni-hohenheim.de/presse
Text: Gehrig / Stuhlemmer
Prof. Dr. Ulrike Fasbender, Universität Hohenheim, Fachgebiet Wirtschafts- und Organisationspsychologie,
+49 (0)711 459 24754, ulrike.fasbender@uni-hohenheim.de
Fasbender, U., & Junker, N. M. (2025). Are Workplace Friendships Nothing for Older Workers? Decoding the Psychological Mechanisms Linking Age to Workplace Friendship. Journal of Organizational Behavior, 1–20. https://doi.org/10.1002/job.70014
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, all interested persons
Economics / business administration, Psychology, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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