Ein Team von Wissenschaftler*innen unter der Leitung des Paul-Drude-Instituts für Festkörperelektronik (PDI) in Berlin hat die „Black Box“ der Precursor-Chemie aufgebrochen und erstmals die verborgenen Reaktionswege einer Schlüsselverbindung offengelegt, die beim Wachstum komplexer Oxide eingesetzt wird. Ihr prädiktiver Ansatz verlagert die Synthese von Versuch und Irrtum hin zu einem steuerbaren, transparenten Prozess und ebnet den Weg für eine schnellere, präzisere und kostengünstigere Herstellung fortschrittlicher Dünnfilme.
Berlin, 01. Oktober 2025 – Metallorganische (MO) Precursoren sind die chemischen Bausteine im Zentrum atomar präziser komplexer Oxidmaterialien. Doch in Gasphasenabscheidungstechniken wie MOCVD, ALD und Hybrid-MBE wurden sie lange Zeit wie eine „Black Box“ behandelt – ihre Reaktionen waren schlecht verstanden und wurden oft als „nur ein weiterer Regler zum Verstellen“ abgetan.
Eine neue Studie, die kürzlich zur Veröffentlichung in npj Computational Materials angenommen wurde, ändert das. Durch die Kombination von rechenintensiver Quantenmechanik mit der Effizienz von ReaxFF und Metadynamik kartierten die Forschenden die vollständige Reaktionslandschaft von Titanisopropoxid (TTIP), einem gängigen Precursor für das komplexe Oxidwachstum. Das Team enthüllte verborgene Schritte, mögliche Hindernisse und Nebenproduktpfade und verwandelte die Chemie der MO-Precursoren in einen besser vorhersagbaren und kontrollierbaren Prozess.
„Metallorganische Precursoren sind die Arbeitspferde des komplexen Oxidwachstums“, sagte die Erstautorin Nadire Nayir, Leiterin der Arbeitsgruppe Computational Materials Science am PDI. „Das Verständnis ihrer Reaktionspfade ermöglicht die präzise Einbindung von Elementen, senkt die Verdampfungstemperaturen und verbessert die Kontrolle über Materialzusammensetzung und Stöchiometrie. Die eigentliche Herausforderung“, erklärte sie, „liegt jedoch in der Komplexität der Reaktionen. Moleküle verzweigen sich in mehrere Pfade – einige führen zu nützlichen Produkten, andere enden in metastabilen Nebenprodukten oder Sackgassen. Diese können den Prozess verlangsamen oder sogar blockieren. Jahrzehntelang hatten Chemiker Schwierigkeiten vorherzusagen, welche Pfade erfolgreich sein würden.“
Nayir hob die Hingabe der talentierten und selbstständig arbeitenden Doktorand*innen hervor – Benazir Yalcin Fazlioglu (betreut von Roman Engel-Herbert und Adri van Duin) und Cem Sanga (betreut von Nayir) – die sich dieser Herausforderung stellten. Die Teamarbeit führte zur Entwicklung eines Multiphysik-Rahmenwerks, das – anders als frühere Modelle – thermodynamische Triebkräfte und kinetische Einschränkungen überbrückt und damit zuverlässige Vorhersagen in komplexen Systemen ermöglicht, die für Gleichgewichtsmodelle unerreichbar sind. „Diese Strategie erlaubt es uns, Reaktionen zu verstehen und schließlich zu kontrollieren, die zuvor undurchsichtig waren“, sagte Nayir. „Wie Harald Schäfer vor 50 Jahren feststellte: ‚Ohne Kenntnis der Reaktionspfade kann man sie weder kontrollieren noch nutzen.‘ Jetzt können wir Reaktionsausgänge vorhersagen und unsere Modelle in Echtzeit verfeinern.“
Zusammenarbeit war entscheidend: Simulationen wurden am PDI durchgeführt, mit Beiträgen von Penn State und der Istanbul Technical University. „Einer der spannendsten Aspekte dieses Projekts war der ständige Dialog mit den Experimentatoren, der entscheidend für die Ausgestaltung und Verfeinerung unseres Modells war“, fügte sie hinzu und würdigte Roman Engel-Herbert, Direktor des PDI und Leiter der h-MBE-Experimentalarbeiten, für seine wertvollen Diskussionen und seine Unterstützung.
Engel-Herbert betonte die Wirkung dieser Zusammenarbeit: „Vor dieser Arbeit war der Prozess gewissermaßen eine Black Box. Die enge Zusammenarbeit mit dem Simulationsteam ermöglichte es uns, unsere Experimente anders zu betrachten. Jetzt sehen wir die Reaktionslandschaft, einschließlich metastabiler Zwischenprodukte und Sackgassenpfade, was uns hilft, intelligentere Synthesestrategien zu entwickeln.“ Er fuhr fort: „Dieses Projekt zeigt die Kraft des Dialogs zwischen Theorie und Experiment, der es uns ermöglicht, Probleme durch die Augen der jeweils anderen zu sehen.“
Das Projekt förderte auch junge Talente. Durch die Outreach-Bemühungen des PDI leistete die Physik-Studentin Irem Erpay von der Istanbul Technical University bedeutende Beiträge zur Forschung und zeigte, dass Spitzenforschung nicht auf die Promotionsebene beschränkt ist.
Durch das Öffnen der Black Box der Precursor-Chemie legt das Team den Grundstein für eine effizientere, vorhersagbare und skalierbare Herstellung von Nanomaterialien. „Dies ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagte Nayir. „Unser eigentliches Ziel ist es, von Versuch-und-Irrtum-Chemie zu prädiktiver Synthese überzugehen – schnellere Materialentwicklung, weniger Abfall und präzise atomare Kontrolle – ein großer Schritt hin zu effizienter und zuverlässiger Dünnschichtherstellung.“
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Über PDI
Das Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik (PDI) in Berlin ist ein führendes Forschungsinstitut, das sich auf grundlegende und angewandte Forschung an der Schnittstelle von Materialwissenschaft, Festkörperphysik und Bauelementetechnologie spezialisiert hat. Mit einem besonderen Fokus auf niedrigdimensionale Halbleiterstrukturen ist es die Mission des PDI, neue Funktionalitäten für zukünftige Technologien zu inspirieren und zu demonstrieren. Das Institut ist Teil des Forschungsverbunds Berlin und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. www.pdi-berlin.de
Assoc. Prof. Nadire Nayir, Gruppenleiterin Computational Thin Films
Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik (PDI)
nayir@pdi-berlin.de
+49 30 20377 243
Publikation
Titel: Multi-physics Predictive Framework for Thermolysis of Titanium(IV)-Isopropoxide
Autoren: Benazir Fazlioglu-Yalcin, Cem Sanga, Irem Erpay, Dundar Yılmaz, Adri CT van Duin, Roman Engel-Herbert, Nadire Nayir
Quelle: npj Comput Mater 11, 296 (2025)
DOI: 10.1038/s41524-025-01782-4
https://www.pdi-berlin.de/news-events/latest-news/from-guesswork-to-predictive-c...
From Guesswork to Predictive Control: Decoding Metal-Organic Precursor Chemistry
Source: PDI
Copyright: PDI / npj Comput. Mater.
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
Materials sciences, Physics / astronomy
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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