Seit 25 Jahren versucht ein internationales Forschungsteam ein seltenes Verhalten des Riesenabendseglers, Europas größter Fledermausart, zu dokumentieren. Nun zeigen Senderdaten erstmalig, dass diese Fledermäuse nicht nur kleine Vögel fressen – sie jagen und fangen sie mehr als einen Kilometer über dem Boden und verzehren sie, ohne zu landen. In einer am 9. Oktober 2025 in der Fachzeitschrift „SCIENCE“ veröffentlichten Studie analysierte das Team Daten von Riesenabendseglern, die in der biologischen Station Doñana in Spanien mit Mini-Biologgern markiert wurden, und rekonstruiert detailliert, wie die Fledermäuse die Jagd und die Mahlzeit in der Luft bewältigen.
Jedes Jahr migrieren Milliarden von Singvögeln zwischen ihren Brutgebieten und Überwinterungsgebieten. Viele Arten fliegen in großer Höhe und während der Nacht, um tagaktiven Raubtieren auszuweichen. Dies macht die Reise jedoch nicht völlig risikofrei – denn nachts jagen Fledermäuse. Die neue Studie unter der Leitung von Laura Stidsholt von der Universität Aarhus sowie Carlos Ibáñez und Elena Tena von der Biologischen Station Doñana zeigt, dass einige Fledermäuse hoch in den Nachthimmel fliegen, um Vögel aufzuspüren und zu jagen. Das Team stattete Riesenabendsegler (Nyctalus lasiopterus) mit winzigen „Rucksäcken” mit Biologgern aus, welche die Position, Beschleunigung, Höhe und die akustischen Signale der Fledermäuse und ihrer Umgebung aufzeichneten und auf diese Weise ihre Jagdtechnik offenbarten.
Eine Jagd, rekonstruiert anhand von Biologger-Daten
Unter den mehr als 600 erfassten Jagdflügen von 14 besenderten Riesenabendseglern, die das Team auswertete, stachen zwei hervor: Im Gegensatz zur üblichen Jagd auf Insekten, die durch eine kurze Verfolgung von meist weniger als 10 Sekunden und niedrige Flughöhen von durchschnittlich 53 Metern über dem Boden gekennzeichnet ist, stiegen die Fledermäuse in diesen Fällen hoch in den Himmel, starteten den Angriff durch eine schnelle Folge kurzer Echoortungsrufe und verfolgten Singvögel in steilen, rasanten Sturzflügen in Richtung Boden. Sie stürzten sich 30 beziehungsweise 176 Sekunden lang senkrecht nach unten und beschleunigten weiter mit schnellen und kräftigen Flügelschlägen, während sie schnelle Folgen von Echoortungsrufen ausstießen. Eine gab die Jagd nach 30 Sekunden schließlich auf – Vögel sind in der Luft mindestens genauso wendig wie Fledermäuse. Die zweite Fledermaus jedoch fing ihre Beute – ein Rotkehlchen – in Bodennähe nach fast dreiminütiger Verfolgung. Das Mikrofon des Loggers zeichnete 19 Rufe des verfolgten Vogels auf, gefolgt von 23 Minuten deutlich vernehmbaren Kaugeräuschen der Fledermaus, die noch immer in geringer Höhe flog.
In Kombination mit Röntgen- und DNA-Analysen der Flügel von Singvögeln, die unter den Jagdgebieten der Fledermäuse gefunden wurden, zeichnen die Daten ein klares Bild von der Jagd: Die Riesenabendsegler töten die Vögel mit einem kräftigen Biss und beißen ihnen dann die Flügel ab – wahrscheinlich, um Gewicht und Luftwiderstand zu reduzieren. Die Forschenden nehmen an, dass die Fledermäuse dann die Membran zwischen ihren Hinterbeinen wie einen Beutel nach vorne stülpen und den Vogel während des Fluges fressen.
„Wir wissen, dass Singvögel tagsüber wilde Ausweichmanöver wie Loopings und Spiralen ausführen, um Beutegreifern wie Falken zu entkommen – und nachts wenden sie dieselben Taktiken gegen Fledermäuse an. Es ist faszinierend, dass Fledermäuse sie nicht nur fangen, sondern auch töten und fressen können, während sie fliegen. Ein solcher Vogel wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus selbst – das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilogramm schweres Tier fangen und essen“, sagt Laura Stidsholt, Assistenzprofessorin in der Abteilung für Biologie der Universität Aarhus. Stidsholt ist die Erstautorin des Science-Aufsatzes und hat die Biologger-Technologie in ihrer Fledermausforschung mehrere Jahre lang verfeinert und angewendet, was zu zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen – und Entdeckungen – geführt hat. Als sie die Datenerhebung abschloss und die Analyse für diese Arbeit durchführte, war Stidsholt Postdoktorandin in der Fledermausforschungsgruppe von Prof. Christian Voigt am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin.
Forschende ertappen eine Fledermaus auf frischer Tat und lösen ein 25 Jahre altes Rätsel
Seit einigen Jahrzehnten ist bekannt, dass mindestens drei große Fledermausarten sich von kleinen Vögeln ernähren, die sie in der Luft jagen und fangen. Ein Großteil dieses Wissens stammt aus der Arbeit des spanischen Fledermausforschers Carlos Ibáñez und seiner Kollegen an der Biologischen Station Doñana in Spanien. Vor fast 25 Jahren entdeckte Ibáñez Federn im Kot von Riesenabendseglern und sammelte seitdem immer mehr Beweise dafür, dass diese Fledermausart Singvögel fangen und fressen. Jahrelang versuchten die Forschenden herauszufinden, wie die Fledermäuse diesen gewagten Stunt in luftigen Höhen bewerkstelligen. „Wir wussten, dass der Riesenabendsegler Insekten im Flug fängt und frisst, also nahmen wir an, dass er das auch mit Vögeln tut – aber wir mussten es beweisen“, sagt Ibáñez. Die Hypothese stieß in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zunächst auf Skepsis, da einige Vögel fast halb so schwer sind wie die Fledermaus selbst und somit die Flugfähigkeit der Fledermäuse beeinträchtigen könnten.
Da Fledermäuse nachts jagen, ist es unmöglich, die Jagd zu filmen. Stattdessen versuchten Forschende es mit Überwachungskameras an Schlafplätzen, Militärradar, Ultraschallrekordern an Heißluftballons und GPS-Trackern. Die größte Herausforderung bestand darin, Geräte zu finden, die leicht genug für die Fledermäuse waren. Solche leichten Mini-Biologger wurden an der Universität Aarhus entwickelt. Jetzt – kurz vor der Pensionierung von Carlos Ibáñez – konnte das Team endlich die Jagd eines Riesenabendseglers auf einen Singvogel dokumentieren. Für Elena Tena, ebenfalls eine der Hauptautorinnen der Studie, war es nach so vielen Jahren der Arbeit ein intensiver Moment, die Tonaufnahme der Stressrufe des Vogels zu hören, gefolgt von plötzlicher Stille und langen Kaugeräuschen: „Es weckt zwar Mitgefühl für die Beute, aber es ist Teil der Natur. Wir wussten, dass wir etwas Außergewöhnliches dokumentiert hatten. Für das Team bestätigte es, wonach wir so lange gesucht hatten. Ich musste es mir mehrmals anhören, um vollständig zu begreifen, was wir aufgenommen hatten.“
Riesenabendsegler stellen keine Bedrohung für Singvögel-Bestände dar – und sind selbst eine bedrohte Art
Glücklicherweise gibt es kaum Grund zur Sorge, dass Fledermäuse die Bestände von Singvögeln bedrohen könnten. Der Riesenabendsegler ist äußerst selten und in vielen Regionen vom Aussterben bedroht, da seine Lebensräume in naturnahen Wäldern verschwinden. Prof. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW, sagt: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir sowohl Zugvögel als auch ihre Fressfeinde schützen. Für die Riesenabendsegler bedeutet dies insbesondere den Erhalt von natürlichen Wäldern mit alten Bäumen, die reich an Höhlen sind.“
Dr. Laura Stidsholt [Englisch, Dänisch]
Assistenzprofessorin in der Sektion Zoophysiologie
Universität Aarhus
Telefon: +45 28717824
E-Mail: laura.stidsholt@bio.au.dk
Elena Tena [Spanisch, Englisch]
Wissenschaftlerin
Doñana Biological Station
Telefon: +34 600791109
E-Mail: etenalopez@gmail.com
Prof. Dr. Christian Voigt [Deutsch, Englisch]
Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Telefon: +49 30 5168 511
E-Mail: voigt@izw-berlin.de
Stidsholt L, Tena E, Foskolos I, Nogueras J, de la Hera I, Sánchez-Navarro S, García-Mudarra JL, Ibáñez C (2025): Greater noctule bats prey on and consume passerines in flight. SCIENCE. DOI: 10.1126/science.adr2475
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Riesenabendsegler mit Federn im Maul
Source: Jorge Sereno
Copyright: Jorge Sereno
Datenvisualisierung der Studie zum Jagdverhalten der Riesenabendsegler
Source: Laura Stidsholt
Copyright: Laura Stidsholt
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Environment / ecology, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results
German
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