Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat erstmals systematisch untersucht, wie der Westantarktische Eisschild (WAIS) während einer natürlichen Warmzeit, dem Marine Isotopen Stadium 11 (MIS11) vor etwa 400.000 Jahren, auf Temperaturerhöhungen des Südozeans reagierte. Die Ergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, liefern wertvolle Hinweise, unter welchen Bedingungen der WAIS bereits in der geologischen Vergangenheit instabil wurde und welche Parallelen dies für heutige und zukünftige Erwärmungsszenarien haben könnte.
Der Westantarktische Eisschild (WAIS) zählt zu den dynamischsten Regionen des antarktischen Kontinentes. Sein Untergrund liegt über weite Teile unter dem Meeresspiegel, was die Region besonders sensibel für die Erwärmung des Ozeans macht. Die Entwicklung des WAIS spielt dabei eine zentrale Rolle für das Verständnis zukünftiger Meeresspiegelveränderungen. Würde der WAIS vollständig abschmelzen, könnte der globale Meeresspiegel mehr als vier Meter ansteigen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Westantarktische Eisschild in der Vergangenheit empfindlich auf Erwärmungen des Südozeans, insbesondere des Zirkumpolaren Tiefenwassers, reagierte“, sagt Erstautorin Lena Jebasinski, Doktorandin am Institut für Geowissenschaften der CAU. „Das ist ein wichtiges Warnsignal, da wir heute in der Region gleiche Trends in der Temperaturentwicklung beobachten und die Stabilität des antarktischen Eisschildes auf kurz oder lang damit gefährdet sein könnte. Die damaligen Bedingungen und die heutigen Entwicklungen weisen deutliche Parallelen auf.“
Einblick in die Warmzeit der Zukunft
Die untersuchte Warmphase vor rund 400.000 Jahren ist als Marines Isotopenstadium 11 (MIS 11) bekannt. Sie gilt als eine der längsten und stabilsten Warmzeiten der vergangenen Millionen Jahre und wird in der Klimaforschung häufig als Vergleichsperiode zur Gegenwart und Zukunft betrachtet. Damals lagen die globalen Temperaturen bis zu zwei Grad Celsius über vorindustriellen Werten, während die CO₂-Konzentrationen ähnlich hoch waren wie in der vorindustriellen Zeit. Der Meeresspiegel lag etwa sechs bis 13 Meter über dem heutigen, was darauf hindeutet, dass der Westantarktische Eisschild damals stark zurückgegangen war.
Spuren im Ozeanboden: Hinweise aus fossilen Mikroschalen
Für ihre Studie untersuchte das internationale Forschungsteam aus Deutschland, den USA und Großbritannien die chemische Zusammensetzung fossiler Foraminiferen, winzige einzellige Meeresorganismen, die in Sedimentkernen aus dem Pazifischen Sektor des Südozeans erhalten geblieben sind. Diese Kalkschalen speichern Informationen über vergangene Umweltbedingungen. Die Forschenden fanden wiederkehrende Phasen während des MIS 11, in denen das Tiefenwasser im Pazifischen Südozean geringere Sauerstoffkonzentrationen aufwies, also Sauerstoffminimum-Ereignisse. Diese Phasen traten meist zeitgleich mit einer Erwärmung des aufsteigenden Zirkumpolaren Tiefenwassers auf, das an der Basis der Eisschelfe unter bestimmten Bedingungen den Kontakt zum Antarktischen Eisschild findet. Eine solche Erwärmung fördert das Abschmelzen der Schelfeise und beeinträchtigt damit die Stabilität des Hinterlandeises. Der dadurch verstärkte Eintrag von Schmelzwasser in den Ozean führte vermutlich zu einer Abnahme der Bildung von dichtem Antarktischen Bodenwasser, eine entscheidende Komponente der globalen Umwälzzirkulation. „Dies könnte erklären, warum der Westantarktische Eisschild während der untersuchten Warmzeit deutlich kleiner war als heute und damit auch der globale Meeresspiegel deutlich über dem heutigen lag,“ erläutert die Paläoklimaforscherin Lena Jebasinski, die über das Thema promoviert.
Innovative Methodik ermöglicht Blick in die Vergangenheit
Um die damaligen Umweltbedingungen im Südozean zu rekonstruieren, kombinierte das Forschungsteam mehrere geochemische Verfahren. Sie untersuchten vor allem Foraminiferen. Um die Schalen der winzigen Meeresorganismen lagern sich unter sauerstoffarmen Bedingungen feste Uranverbindungen im Sediment ab. Diese Signatur ermöglichte Rückschlüsse auf vergangene Sauerstoffdefizite im Bodenwasser des zentralen Pazifischen Südozeans. Zusätzlich bestimmten die Forschenden das Neodym-Isotopenverhältnis, einen biologisch unabhängigen Indikator für Wassermassen-Zirkulation, der belegt, dass die beobachteten Sauerstoffminimum-Ereignisse auf physikalische Veränderungen im Ozean und nicht allein auf Schwankungen biologischer Aktivität zurückzuführen sind. Ergänzend wurden die Foraminiferen-Schalen auf Bodenwassertemperatur-Indikatoren analysiert. Durch die Kombination dieser Methoden konnte das Team erstmals ein detailliertes Bild der Wechselwirkungen zwischen Temperatur des Zirkumpolaren Zwischenwassers, Sauerstoffgehalt und Ozeanzirkulation während der Warmzeit vor 400.000 Jahren erstellen.
Weitreichende Instabilität des Westantarktischen Eisschilds
„Bisher konnten diese Sauerstoffminimum-Ereignisse nur im Atlantischen Teil des Südozeans nachgewiesen werden. Unsere Daten zeigen nun erstmals, dass auch der pazifische Teil zeitgleich betroffen gewesen sein könnte. Die damalige Instabilität des Westantarktischen Eisschildes muss also weiträumiger als bisher angenommen gewesen sein“, erklärt Professorin Dr. Julia Gottschalk, Leiterin der Arbeitsgruppe Paläozeanographie und Marine Geologie an der CAU und Co-Autorin der Studie. Sollten sich heutige Trends in der Erwärmung des Südozeans fortsetzen, werden Störungen in der Massenbilanz von WAIS und der Tiefenwasserbildung des Antarktischen Bodenwasser künftig wahrscheinlicher.
Die neuen Ergebnisse basieren auf Sedimentkernen der Expedition 383 „Dynamics of the Pacific Antarctic Circumpolar Current (DYNAPACC) des Internationalen Ozean Bohrprogramms (International Ocean Discovery Program/IODP), die an Bord des Forschungsschiffs JOIDES Resolution in 2019 gewonnen wurden. Professorin Julia Gottschalk, Leiterin der Arbeitsgruppe Paläozeanographie und Marine Geologie an der CAU, war selbst an der Expedition beteiligt. „Solche langen Bohrkerne sind einmalige Archive unseres Klimasystems. Wir können aus ihnen lesen, wie eng Ozean und Eis in den südlichen hohen Breiten über Jahrtausende miteinander verflochten sind“, betont Gottschalk. „Indem wir diese Prozesse in der Vergangenheit verstehen, gewinnen wir entscheidende Hinweise darauf, wie die Antarktis und damit auch der globale Meeresspiegel unter wärmeren Klimarandbedingungen als heute reagieren könnten,“ blickt Julia Gottschalk in die Zukunft.
An der neuen Studie beteiligt sind neben der Universität Kiel, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (Bremerhaven), die Universität Delaware (Newark/USA), die Columbia Climate School der Columbia Universität (New York/USA) und die Universität Portsmouth (UK).
Fotos zum Download:
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/172-westantarktisches-eisschild
Lena Jebasinski
Institut für Geowissenschaften
Paläozeanographie und Marine Geologie
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
E-Mail: lena.jebasinski@ifg.uni-kiel.de
Jebasinski, L., Frick, D. A., Kapuge, A. K. I. U., Basak, C., Saavedra-Pellitero, M., Winckler, G., Lamy, F. et al. (2025). Southern Ocean evidence for recurring West Antarctic Ice Sheet destabilization during Marine Isotope Stage 11. Nature Communications, 16(1). https://doi.org/10.1038/s41467-025-65002-9
https://joidesresolution.org/expedition/383/ Link zur Expedition mit der Joides Resolution mit weiterführenden Infos
https://www.paleoceanography.ifg.uni-kiel.de/de Über die CAU-Arbeitsgruppe Paläozeanographie und Marine Geologie
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Geosciences, Oceanology / climate
transregional, national
Research results
German
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