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10/21/2025 10:29

Gesundheit für alle

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Das BUA-Projekt "Re-Scaling Global Health" untersucht das komplexe Zusammenspiel von medizinischen Herausforderungen, biologischer Vielfalt und Umweltveränderungen in Städten

    Das von der Berlin University Alliance geförderte Forschungsprojekt „Re-Scaling Global Health. Human Health and Multispecies Cohabitation on an Urban Planet“ untersucht, wie menschliche Gesundheit, biologische Vielfalt und Umweltveränderungen in Städten miteinander verflochten sind. Wissenschaftler*innen aus Architektur, Geografie, Geschichte, Medizin und Virologie arbeiten gemeinsam daran, das Konzept der „Planetary Health“ – die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als untrennbare Einheit – in die Stadtforschung zu integrieren. Ziel des bis Ende 2025 laufenden Projekts ist es, neue Strategien für gesunde Lebensräume in Zeiten von Klimawandel, Artensterben und Urbanisierung zu entwickeln und so Wege aufzuzeigen, wie Städte der Zukunft widerstandsfähiger und lebenswerter gestaltet werden können.

    „Ich denke oft: Gehört dieser Körper eigentlich mir? Er enthält mehr Bakterien und Virus-DNA als menschliches Erbgut. Zehn Prozent meines Trockengewichts bestehen aus Bakterien. Mein Immunsystem, meine Verdauungsorgane und viele meiner Körperfunktionen sind von ihnen abhängig. Ist das wirklich mein Körper?“ In seinem Buch „Animals, Justice, and the Politics of Violence“ beschreibt Dr. Ozan Zeybek die engen Verbindungen zwischen Menschen und den zahllosen Lebewesen, mit denen sie ihren Körper und ihren Lebensraum teilen.

    Forschung zwischen Mensch, Tier und Stadt

    Der Geograf arbeitet am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin und beschäftigt sich vor allem mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier in der Türkei. Der Umgang mit Straßenhunden in Istanbul ist dabei ebenso Thema wie die Probleme der Massentierhaltung. Aus eigener Anschauung kennt Zeybek zum Beispiel die Verhältnisse in industriell betriebenen Geflügelfarmen. „Ich habe dort Tiere gesehen, die nie aus dem Stall herauskommen, nie ihre Flügel spreizen oder irgendein natürliches Verhalten zeigen“, berichtet der Forscher. Und damit nicht genug: „Selbst die Luft in solchen Ställen ist voller Antibiotika.“ Der massive Einsatz dieser Medikamente aber fördert die Entwicklung von Erregern, die resistent dagegen sind. „Und das ist auch ein Problem für die menschliche Gesundheit“, sagt Ozan Zeybek.

    Das Projekt „Re-Scaling Global Health“

    Genau solche Verbindungen will er in seinem neuen Buch aufzeigen. Fertiggestellt hat er es im Rahmen des von der Berlin University Alliance geförderten Projekts „Re-Scaling Global Health“, an dem mit der TU Berlin, der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin alle vier BUA-Institutionen beteiligt sind. Im Rahmen des BUA-Grand-Challenges-Programms, das sich der Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen widmet, fällt es unter die Challenge „Global Health“. Ziel des bis Ende 2025 laufenden Vorhabens ist es, neue Lösungen für die gesundheitlichen Herausforderungen in Städten zu entwickeln. Dazu untersuchen Fachleute der unterschiedlichsten Disziplinen das komplexe Zusammenspiel von menschlicher Gesundheit, biologischer Vielfalt und Umweltveränderungen.

    Vom engen Blick zur globalen Perspektive

    Dass ein räumlich und thematisch zu enger Blick auf medizinische Fragen nicht weiterführt, ist schon länger klar. Schließlich reisen Krankheitserreger heutzutage per Flugzeug um die Welt, SARS, Ebola oder Covid-19 haben in den letzten Jahren immer wieder zu massiven Problemen geführt. Doch auch historisch betrachtet verbreiteten sich Epidemien wie Cholera, Malaria oder Grippe immer wieder weltweit und töteten Millionen von Menschen. Um diesen grenzübergreifenden Gefahren etwas entgegenzusetzen, wurden im 20. Jahrhundert internationale Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegründet. „Global Health“ ist seither ihr Ziel – eine Verbesserung der Gesundheitssituation weltweit.

    Von „Global Health“ zu „Planetary Health“

    Der Fokus liegt dabei allerdings fast ausschließlich auf dem Menschen. Um all die Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen, mit denen er zusammenlebt, geht es dagegen kaum. „Dieser Ansatz greift etwas zu kurz“, findet Prof. Dr. Dorothee Brantz, Direktorin des Center for Metropolitan Studies und Co-Sprecherin des BUA-Projekts. Wenn schon ein einzelner Mensch eine mitunter schwer durchschaubare Wohngemeinschaft aus verschiedenen Organismen mit sich herumträgt – wie komplex muss dann erst das Zusammenleben in einer Stadt sein? Millionen von Einwohner*innen der unterschiedlichsten Arten von Lebewesen und eine Fülle von Umweltfaktoren beeinflussen sich dort gegenseitig. „Wir sollten deshalb nicht nur an unsere eigene Gesundheit denken“, betont Dorothee Brantz. „Entscheidend ist die des gesamten Planeten und aller, die darauf leben.“

    Städte als komplexe Ökosysteme

    Dieses unter dem Begriff „Planetary Health“ bekannt gewordene Konzept hat in der Stadtforschung bis vor Kurzem noch nicht viel Beachtung gefunden. Doch das ändert sich gerade. Denn zunehmend wird klar, dass etliche alte Denkweisen in den Städten der Zukunft nicht mehr gut funktionieren werden. Allein schon die Herausforderungen des Klimawandels zwingen zu neuen und gut durchdachten Ideen. Und zu der Erkenntnis, dass es nicht der Mensch allein ist, der Städte gestaltet und die dort geltenden Regeln bestimmt.

    Alte Erkenntnisse, neue Herausforderungen

    Für Dorothee Brantz wird das zum Beispiel deutlich, wenn sie den Einfluss der Jahreszeiten auf das Stadtleben um die Jahre 1900 und 2000 vergleicht. „Überraschend viel von dem, was wir heute erleben, war schon damals bekannt“, sagt die Historikerin. So traten Erkältungskrankheiten oder Allergien in bestimmten Monaten gehäuft auf – ein Phänomen, das man mit Hitze, Kälte oder Niederschlag in Zusammenhang brachte. Und auch die Tatsache, dass die Blütezeit bestimmter Pflanzen einen starken Einfluss auf die menschliche Gesundheit haben kann, war längst kein Geheimnis mehr.

    Wenn der Klimawandel krank macht

    „Heuschnupfen gab es schon in der Antike“, sagt Dorothee Brantz. „Und im 19. Jahrhundert fand man wissenschaftliche Erklärungen dafür.“ Was genau bei einer Allergie im Immunsystem vorgeht, wusste damals zwar noch niemand. Man hatte aber durchaus schon erkannt, dass Allergien auch Zivilisationskrankheiten sind. Ihr Auftreten habe etwas mit dem dichten Zusammenleben in Städten und der Entfremdung von der Natur zu tun, so die damalige Vorstellung. Verschrieben wurde dagegen oft eine Kur auf dem Land.

    Inzwischen ist bekannt, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, tatsächlich seltener eine Allergie entwickeln. Das könnte daran liegen, dass der ständige Kontakt zu allen möglichen Tieren und Mikroorganismen ihr Immunsystem besonders gut trainiert. Doch das immer häufigere Auftreten von fehlgeleiteten Immunreaktionen gegen harmlose Pollen hängt nicht nur damit zusammen, dass immer mehr Menschen in Städten leben. Auch der Klimawandel spielt dabei eine Rolle, weil er die Blütezeit der Allergieauslöser verlängert. Und in Städten, die sich als Wärmeinseln aus Beton und Asphalt noch stärker aufheizen als ihre Umgebung, ist dieser Effekt besonders groß.

    Neue Gesundheitsrisiken in der Stadt

    „Auch mit anderen Gesundheitsproblemen werden wir in Zukunft mehr zu kämpfen haben“, sagt Dorothee Brantz. Denn wärmeliebende tierische Nachbarn, die als Krankheitsüberträger berüchtigt sind, breiten sich im Zuge des Klimawandels auch in den gemäßigten Klimazonen aus. Tigermücken zum Beispiel. Oder tropische Zecken. Welche neuen oder altbekannten Krankheiten werden diese Profiteure der Erderwärmung mitbringen? Und was lässt sich dagegen tun? Auch mit solchen Fragen setzen sich Forscher*innen im Rahmen des BUA-Projekts auseinander.

    Schwammstädte und Stechmücken

    Ein Teilvorhaben beschäftigt sich zum Beispiel mit den sogenannten Schwammstädten, die als vielversprechende Antwort auf die zunehmenden Starkregenfälle gelten. Um Hochwasser zu vermeiden, das Stadtklima zu verbessern und einen Vorrat für die nächste Dürre anzulegen, sollen sie möglichst viel Wasser speichern. Was aber, wenn die dafür nötigen Überschwemmungsflächen zu Brutstätten für Moskitos werden? Kann das zu einer Ausbreitung von West-Nil-Virus, Chikungunyefieber, Denguefieber und anderen von Mücken übertragenen Krankheiten führen? Solchen Fragen gehen Geograf*innen der FU Berlin und Virolog*innen der Charité nach.

    Krankheitserreger zwischen Beton und Bäumen

    In einem weiteren Teilprojekt untersuchen Prof. Jörg Stollmann und Dr. Jamie-Scott Baxter vom Institut für Architektur der TU Berlin die Ausbreitung von pilzähnlichen Erregern der Gattung Phytophthora, die zu den berüchtigtsten Pflanzenschädlingen der Welt gehören. Die Forscher beschäftigen sich mit den Herausforderungen, die solche problematischen Organismen für die Stadt- und Landschaftsplanung mit sich bringen.

    Zusammenleben als Zukunftsaufgabe

    Doch nicht alle unsere Nachbarn, die zu anderen Arten gehören, machen Schwierigkeiten. Manche lassen sich womöglich auch als Mitstreiter gewinnen, um Herausforderungen besser bewältigen zu können. „Wir betrachten die gesundheitlichen Herausforderungen und das Zusammenleben der Arten in Städten also aus ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven“, resümiert Dorothee Brantz. Eines der bisher wichtigsten Ergebnisse des Projekts war es aus ihrer Sicht, diese verschiedenen Sichtweisen zu einem Gesamtbild zusammenzuführen. „Wir stoßen damit sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit auf großes Interesse“, berichtet die Historikerin. Woran es oft noch fehle, sei die Umsetzung der Ideen. „Flächen zu entsiegeln, um einen natürlichen Wasserhaushalt wiederherzustellen, finden alle gut. Bis dann die Frage aufkommt, wie sich das mit dem Schaffen von zusätzlichem Wohnraum vereinbaren lässt.“

    Forschung mit Blick auf die Zukunft

    Trotzdem wollen sie und das Projektteam auch nach dem Ende des BUA-Projekts weiter an neuen Ideen für die Städte der Zukunft arbeiten. Gelegenheit dazu haben sie beispielsweise in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Netzwerk zum Thema „Planetary Health – Planetary Thinking in the Social Sciences and Humanities“, das an der Universität Leipzig angesiedelt ist und an dem Prof. Dr. Ulrike Beisel von der FU Berlin und Dorothee Brantz von der TU Berlin beteiligt sind.

    Grenzenlose Mitbewohner

    Je genauer sie hinschauen, umso mehr spannende Stadtbewohner der unterschiedlichsten Lebensformen fesseln ihre Aufmerksamkeit. Und umso enger werden deren Verflechtungen. „Manche leben noch, wenn ich schon gestorben bin. Und manche sterben, damit ich überleben kann“, schreibt Ozan Zeybek in seinem Buch. „Ich versuche vergeblich, Grenzen zu ziehen. Sie fliegen durch die Öffnungen, krabbeln unter der Tür durch und durchdringen meine Haut. Ich habe Ameisen in der Küche. Ist das noch mein Haus?“


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Dorothee Brantz
    Direktorin des Center für Metropolitan Studies
    Fachgebietsleitung Neuere und Neuste Geschichte, Stadtgeschichte
    Fakultät I Geistes- und Bildungswissenschaften
    E-Mail: dorothee.brantz@tu-berlin.de
    Tel.: +49 30 314-28402


    More information:

    https://multispecieshealth.com/ Website "Multispecies Health"


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Construction / architecture, Environment / ecology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Oceanology / climate
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research projects
    German


     

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