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10/22/2025 10:14

Inklusives Wohnen: Modellprojekt mit positivem Effekt

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    In der Gemeinde Klingenberg läuft seit 2021 ein in Bayern einzigartiges Modellprojekt: Vier Frauen mit Komplexer Behinderung leben in einer WG zusammen. Forschende aus Würzburg und Darmstadt haben das Projekt begleitet. Ihr Abschlussbericht liegt nun vor.

    Menschen mit Komplexer Behinderung leben in der Regel in ihren Familien oder in Wohnheimen. Anders sieht es bei vier Frauen in Klingenberg (Landkreis Miltenberg) aus: Sie bilden seit 2021 eine ambulant unterstützte Wohngemeinschaft. Solche alternativen Wohnformen sind in Deutschland selten. In Bayern ist die Klingenberger Initiative einzigartig. Möglich wurde sie nur als Modellprojekt, weil sie wissenschaftlich begleitet wurde.

    Die WG-Bewohnerinnen verfügen über soziale Unterstützungsnetzwerke. Diese bestehen im Wesentlichen aus den Eltern, weiteren Familienangehörigen und Freunden der Eltern. Dazu kommen die in der WG beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort auch am Wochenende und nachts Dienst tun, sowie die Beschäftigten der Tagesförderstätten, in denen die vier Frauen von Montag bis Freitag ihre Zeit verbringen.

    Gefördert vom Gesundheitsministerium des Freistaats

    Wie steht es um die Lebensqualität der Frauen in der WG, wie um die gesellschaftliche Teilhabe und Vernetzung, die sie in ihrem Wohnumfeld und ihrer Gemeinde erreichen können? Welche Faktoren beeinflussen die erreichte Qualität?

    Um diese Fragen drehte sich das dreieinhalbjährige Forschungsprojekt IWoK – Inklusives Wohnen mit Komplexer Behinderung. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention hatte damit zwei Wissenschaftler beauftragt: Professor Christoph Ratz vom Institut für Sonderpädagogik der Universität Würzburg und Professor Peter Groß von der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Mit zum Team gehörte Fabian Riemen, Doktorand von Christoph Ratz.

    Ihre Ergebnisse stellten die Forscher am 18. September 2025 bei einer Info-Veranstaltung im Universitätsgebäude am Wittelsbacherplatz vor.

    Hohes subjektives Wohlbefinden in der WG

    „Die Datenlage zur Lebensqualität erlaubt die Einschätzung, dass das subjektive Wohlbefinden der vier Frauen in ihrer WG hoch ist“, sagt Christoph Ratz. Es bestünden auch erste soziale Kontakte zur Nachbarschaft und zu einem Verein im Ort – das zeige, dass soziale Teilhabe möglich ist. Nach dem Umzug in die WG habe es bei den Frauen keine nennenswerten persönlichen Rückschritte gegeben. Vielmehr würden sie sich positiv entwickeln.

    Doch die Daten zeigen auch, dass die hohe Abhängigkeit der Frauen von alltäglichen Hilfen auch in der selbst gewählten Wohnform zu einem hohen Maß an Fremdbestimmung führt. Trotz der hohen Lebensqualität hätten die Frauen im Verlauf des Modellprojekts bislang noch keine soziale Inklusion im Gemeinwesen verwirklichen können, so die Forscher. Dies schränke die Teilhabequalität ein. Gründe hierfür sind unter anderem Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie.

    Das Projekt habe zudem klar gemacht, wie herausfordernd es für Menschen mit Komplexer Behinderung ist, ihre Bedürfnisse und Interessen in einer eindeutigen Art und Weise mitzuteilen. Hier sehen die Forscher Bedarf an spezifischen Fort- und Weiterbildungen, um unterstützende Fachkräfte noch besser in Kommunikationstechniken und Arbeiten im Assistenzmodell zu schulen.

    Zehn wissenschaftliche Methoden eingesetzt

    Wie fühlen sich Menschen mit Komplexer Behinderung, welche Bedürfnisse und Wünsche haben sie? „Diese Fragen sind mit wissenschaftlichen Methoden ausgesprochen schwer zugänglich“, sagt Christoph Ratz.

    Für das Projekt haben die Forscher daher einen multi-methodalen Zugang entwickelt, der versucht, alle relevanten Aspekte zu integrieren. Zu den zehn Methoden, die auf eine Beschreibung der Vernetzungs-, Lebens- und Teilhabequalitäten abzielen, gehören unter anderem Interviews mit Eltern und anderen Bezugspersonen, teilnehmende Beobachtungen sowie deren Interpretation durch einen Rat aus Fachpersonen und anderen Betroffenen.

    Wissenschaftspreis der Stiftung „Leben pur“

    Für ihren Abschlussbericht haben die Forscher im Frühjahr den Wissenschaftspreis 2025 der Stiftung „Leben pur“ erhalten. Die Stiftung prämiert damit seit 2018 alljährlich wissenschaftlich hochwertige Arbeiten, die eine zukunftsweisende Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit komplexen Behinderungen aufzeigen.

    Das Preisgeld von 5.000 Euro stammte von der Stiftung Wohnhilfe. Die ausgezeichneten Wissenschaftler haben es direkt weitergegeben: Sie spendeten es der Klingenberger Frauen-WG; verwendet wurde es für neue Stühle.

    Wie es mit der WG weitergeht? „Wir Wissenschaftler haben versucht, die Vor- und Nachteile des Modellprojekts so gut wie möglich zu beschreiben“, sagt Christoph Ratz. Nun sei es Sache der Politik, über die weitere Verfahrensweise zu entscheiden.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Christoph Ratz, Institut für Sonderpädagogik, Universität Würzburg, christoph.ratz@uni-wuerzburg.de


    Original publication:

    Riemen, Fabian; Groß, Peter; Ratz, Christoph: Inklusives Wohnen mit Komplexer Behinderung – IWoK. Abschlussbericht. Würzburg: Universität Würzburg, 2025.
    DOI: 10.25972/OPUS-42438 [18.09.2025]


    More information:

    https://projekt-iwok.de/ Webseite des IWoK-Projekts
    https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/frontdoor/index/index/docId/42438 Abschlussbericht der Wissenschaftler
    https://www.stiftung-leben-pur.de/preise-stipendien/wissenschaftspreise.html Wissenschaftspreise „Leben pur“


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    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Nutrition / healthcare / nursing, Social studies, Teaching / education
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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