Die kombinierten Ergebnisse erweitern das Verständnis der Physik und bestätigen die beeindruckende Zusammenarbeit zweier konkurrierender – aber sich ergänzender – Experimente
Physikerinnen und Physiker gehen davon aus, dass zu Beginn des Universums Materie und Antimaterie in gleichen Mengen vorhanden waren. Wäre dies jedoch der Fall gewesen, hätten sich Materie und Antimaterie gegenseitig vollständig aufgehoben, was zu einer totalen Vernichtung geführt hätte. Und doch sind wir hier. Die Materie hat sich gegenüber der Antimaterie durchgesetzt – aber wir wissen immer noch nicht, wie und warum.
Forschende vermuten, dass die Antwort in dem mysteriösen Verhalten der reichlich vorhandenen, aber schwer fassbaren Teilchen namens Neutrinos liegen könnte. Insbesondere könnten uns weitere Erkenntnisse über ein Phänomen namens Neutrinooszillation, bei dem Neutrinos während ihrer Bewegung ihren Typ oder ihr „Flavour” ändern, einer Antwort näherbringen.
Die internationalen Kollaborationen, die zwei Neutrinoexperimente vertreten, T2K in Japan und NOvA in den Vereinigten Staaten von Amerika, haben kürzlich ihre Kräfte gebündelt und ihre ersten gemeinsamen Ergebnisse erzielt, die heute in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden. Diese erste gemeinsame Analyse liefert einige der präzisesten Messungen der Neutrinooszillation in diesem Bereich.
Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist in diesen Kooperationen durch die Mitglieder der lokalen T2K-Gruppe vertreten, die von Prof. Dr. Alfons Weber und Dr. Lukas Koch aus der Gruppe für Experimentelle Teilchen- und Astroteilchenphysik am Institut für Physik geleitet wird.
„Ich war an beiden dieser fantastischen Experimente beteiligt. Es ist großartig zu sehen, wie die beiden Kollaborationen eng zusammenarbeiten, um ein Ergebnis zu erzielen, das wir allein nicht hätten erreichen können. Wir haben nun ein fundierteres Verständnis der Natur von Neutrinos und ich bin gespannt, was wir in Zukunft noch erreichen können“, sagt Weber, Mitglied des Exzellenzclusters PRISMA+.
„Für mich ist der spannendste Teil dieses gemeinsamen Ergebnisses die Methodik, die wir entwickelt haben, um es zu ermöglichen“, fügt Koch hinzu. „Es ist alles andere als trivial, die Daten zweier Experimente mit unterschiedlichen Analysemethoden, Unsicherheitsmodellen und Software-Frameworks zu kombinieren. Diese großartige Arbeit wird die Grundlage für zukünftige kombinierte Ergebnisse sein, nicht nur von T2K und NOvA, sondern auch von den Neutrino-Strahl-Experimenten der nächsten Generation, Hyper-Kamiokande und DUNE.“
Unterschiedliche Experimente, gemeinsame Ziele
Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit sind Neutrinos sehr schwer nachzuweisen und zu untersuchen. Obwohl sie erstmals in den 1950er Jahren beobachtet wurden, sind diese geisterhaften Teilchen nach wie vor ein Rätsel. Die Lücken in unserem Wissen über Neutrinos und ihre Eigenschaften zu schließen, könnte grundlegende Erkenntnisse über das Universum liefern.T2K und NOvA zählen beide zu den sogenannten long-baseline-Experimenten: Sie schießen jeweils einen intensiven Neutrinostrahl ab, der sowohl einen Detektor in der Nähe der Neutrinoquelle als auch einen Detektor in Hunderten von Kilometern Entfernung durchläuft. Beide Experimente vergleichen die in den einzelnen Detektoren aufgezeichneten Daten, um mehr über das Verhalten und die Eigenschaften von Neutrinos zu erfahren.
NOvA, das NuMI Off-axis νe Appearance Experiment, sendet einen Neutrinostrahl über eine Entfernung von 810 Kilometern von seiner Quelle im Fermi National Accelerator Laboratory des US-Energieministeriums in der Nähe von Chicago, Illinois, zu einem 14.000 Tonnen schweren Flüssigszintillator-Detektor in Ash River, Minnesota.
Der Neutrinostrahl des T2K-Experiments legt 295 Kilometer von Tokai nach Kamioka zurück – daher der Name T2K. In Tokai befindet sich der Japan Proton Accelerator Research Complex (J-PARC) und in Kamioka der Super-Kamiokande-Neutrinodetektor, ein riesiger Tank mit ultrareinem Wasser, der sich einen Kilometer unter der Erde befindet.
Da die Experimente ähnliche wissenschaftliche Ziele verfolgen, aber unterschiedliche Basislinien und Neutrinoenergien haben, können Physikerinnen und Physiker durch die Kombination ihrer Daten mehr Erkenntnisse gewinnen. „Durch eine gemeinsame Analyse erhält man präzisere Messwerte, als jedes Experiment für sich allein liefern könnte“, sagt Dr. Liudmila Kolupaeva, Mitarbeiterin bei NOvA. „In der Regel unterscheiden sich Experimente in der Hochenergiephysik in ihrer Ausgestaltung, auch wenn sie dasselbe wissenschaftliche Ziel verfolgen. Gemeinsame Analysen ermöglichen es uns, die komplementären Merkmale dieser Ausgestaltungen zu nutzen.“
Als long-baseline-Experimente eignen sich NOvA und T2K ideal für die Untersuchung von Neutrinooszillationen, einem Phänomen, das Aufschluss über offene Fragen wie die Verletzung der Ladungsparität und die Neutrinomassenordnung geben kann. Zwei Experimente mit unterschiedlichen Basislinien und Energien haben bessere Chancen, die beiden Effekte zu entwirren, als ein Experiment allein.
Was kommt als Nächstes?
Diese ersten gemeinsamen Ergebnisse lösen zwar noch keine Rätsel um Neutrinos endgültig, erweitern jedoch das Wissen der Physikerinnen und Physiker über diese Teilchen. Außerdem bestätigen sie die beeindruckende Zusammenarbeit zwischen zwei konkurrierenden, sich jedoch ergänzenden Experimenten.
Die NOvA-Kollaboration besteht aus mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Ingenieurinnen und Ingenieuren aus 49 Institutionen in acht Ländern. Die T2K-Kollaboration hat mehr als 560 Mitglieder aus 75 Institutionen in 15 Ländern. Die beiden Kollaborationen begannen 2019 mit der aktiven Arbeit an dieser gemeinsamen Analyse. Sie kombiniert sechs Jahre Daten von NOvA, das 2014 mit der Datenerfassung begann, und ein Jahrzehnt Daten von T2K, das 2010 an den Start ging. Prof. Weber entwickelte ursprünglich die Elektronik für den T2K-Nahdetektor. Jetzt untersucht sein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Team mit dem verbesserten T2K/ND280-Detektor, wie das Vorhandensein von Neutronen in Neutrino-Wechselwirkungen die Ergebnisse beeinflusst. Dr. Koch ist seit 2012 Teil der T2K-Kollaboration und leitet seit 2024 die Analysegruppe für Neutronen im Nahdetektor.
Beide Experimente sammeln weiterhin Daten, und es werden bereits Anstrengungen unternommen, um die gemeinsame Analyse mit den neuen Daten zu aktualisieren. „Die gemeinsame Analysearbeit ist beiden Kollaborationen zugutegekommen“, sagt Prof. Dr. Patricia Vahle, Co-Sprecherin von NOvA. „Wir haben ein viel besseres gegenseitiges Verständnis für die Stärken und Herausforderungen der verschiedenen Versuchsaufbauten und Analysetechniken.“
„Wie diese Analyse zeigt, gibt es keine wirklich ‚konkurrierenden‘ Experimente, da sie alle das gemeinsame Ziel verfolgen, ein Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen“, sagt Dr. Tomáš Nosek, Mitglied von T2K. „Die Zusammenarbeit ist natürlich wichtig für den Transfer von Wissen, Know-how und Erfahrung sowie für den Austausch von Ressourcen, Ideen und Werkzeugen. Die T2K-NOvA-Kollaboration ist nicht nur die Summe der T2K- und NOvA-Kollaborationen. Sie ist viel, viel mehr.“
Professor Dr. Alfons Weber
Exzellenzcluster PRISMA+
Institut für Physik
Johannes Gutenberg Universität Mainz
55099 Mainz
E-Mail: a.weber@uni-mainz.de
https://www.etap.physik.uni-mainz.de/prof-alfons-weber/
Dr. Lukas Koch
Institut für Physik
Johannes Gutenberg Universität Mainz
55099 Mainz
E-Mail: Lukas.Koch@uni-mainz.de
The NOvA Collaboration., The T2K Collaboration. Joint neutrino oscillation analysis from the T2K and NOvA experiments. Nature (2025)
DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-025-09599-3
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Physics / astronomy
transregional, national
Cooperation agreements, Research results
German
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