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10/28/2025 11:44

Mehr Prävention und Aufklärung zu K.O.-Tropfen und Spiking für besseren Opferschutz

Claudia Staat Kommunikation
Frankfurt University of Applied Sciences

    Suchtforscher Prof. Dr. Bernd Werse fordert intensivere Forschung zu psychoaktiven Substanzen und Regulierung statt Kriminalisierung

    Im Hinblick auf die geplante Änderung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG) durch die Bundesregierung¹ lehnt der Frankfurter Suchtforscher Prof. Dr. Bernd Werse ein pauschales Verbot bestimmter psychoaktiver Substanzen ab.
    Er fordert stattdessen eine bessere legale Regulierung und mehr Ursachen- und Grundlagenforschung insbesondere zu so genannten K.O.-Tropfen (Knockout-Tropfen) und dem „Spiking“ genannten Verabreichen von Substanzen ohne Wissen oder Einverständnis der betroffenen Person.

    Eine fundierte Aufklärung sei „dringend nötig für einen besseren Schutz potenzieller Opfer und um gezielt ein Bewusstsein sowohl in der Bevölkerung als auch in der Medizin und bei Strafverfolgungsbehörden zu schaffen“, so Werse bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zum NpSG-Gesetzentwurf. Der Leiter des Instituts für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) war hierzu mit weiteren Gesundheitsexpert*innen und Vertreter*innen von Strafverfolgungs- und Industrieverbänden als Experte eingeladen.

    Erweiterung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes
    Ziel des neuen Gesetzes ist es, die allgemeine Verfügbarkeit gefährlicher Industriechemikalien wie Distickstoffmonoxid (auch als Lachgas bezeichnet) zu Rauschzwecken zu regulieren und im Zuge dessen auch den Missbrauch von Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol (BDO), die teils zu Rauschzwecken, teils unter Ausnutzung der Rauschwirkung als Mittel zur Begehung von Straftaten, z.B. gegen die sexuelle Selbstbestimmung, verwendet werden, einzudämmen. Denn während GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure, Szenename ehemals „Liquid Ecstasy“) in Deutschland als Betäubungsmittel eingestuft ist, sind GBL und BDO als Ausgangssubstanz u.a. für industrielle Lösungs- oder Reinigungsmittel grundsätzlich legal und aus dem Ausland über Onlineshops leicht zu beschaffen.

    Klar, geruchlos, legal: Risikosubstanz GBL
    Er begrüße es ausdrücklich, dass es nach mehreren Jahren der flächendeckenden Verbreitung von großen Lachgas-Behältern eine Regulierung geben soll, die erstmals Jugendschutz für diese Substanz gewährleistet, so Werse. Auch für GBL und BDO sei es wünschenswert, eine ähnliche legale Regulierung mit strengeren Auflagen einzuführen: ebenfalls mit Apothekenpflicht, Pflichtaufklärung und Werbeverbot sowie erweiterten Warnhinweisen und Sicherungsmaßnahmen.
    GBL – eine klare, geruch- und geschmacklose Flüssigkeit, die nur wenige Stunden im Blut und Urin nachweisbar ist – bzw. GHB-Analoga sind laut Werse im Vergleich zu Lachgas als riskanter einzuschätzen, da sie ein hohes Abhängigkeits- und Überdosisrisiko aufweisen und zudem als „Vergewaltigungsdroge“ missbraucht werden können. Prävention ist nach Werses Überzeugung zielführender als die Kriminalisierung von Konsument*innen.

    „Beim Phänomen ,K.O.-Tropfen‘ ist bereits der Begriff problematisch, da er suggeriert, dass Fälle, in denen Personen unwissend psychoaktive Substanzen verabreicht bekommen, stets eine Bewusstlosigkeit der betreffenden Person beinhalten – was gerade bei perfiden Täterstrategien, bei denen auch GBL zum Einsatz kommen kann, eher nicht der Fall sein dürfte, sondern eher eine gezielte Berauschung, die noch das Wegführen der ‚gespikten‘ Person ermöglicht“, so Werse. „GBL ist dabei nur eine von vielen Substanzen, die verwendet werden können. Die relativ leicht aus dem medizinischen Bereich erhältlichen Benzodiazepine etwa dürften für Täter mit Absicht der Ausübung (sexueller) Gewalt z.B. ‚nützlicher‘ sein, da auch das Gedächtnis des Opfers stark beeinträchtigt wird.“

    Erkenntnisse aus Frankreich
    Eine Untersuchung aus Frankreich, wo entsprechende Straftaten bereits seit mehr als 20 Jahren systematisch dokumentiert werden, ergab sogar, dass GBL nur in etwa einem Zehntel der Fälle zum Einsatz kommt und neben Benzodiazepinen auch stimulierend und enthemmend wirkende Drogen wie MDMA bzw. Ecstasy oder Kokain häufiger verwendet werden.

    „Zudem ist zu betonen, dass die Verabreichung von Drogen zwecks Ausübung sexueller Gewalt nur eine Erscheinungsform des Phänomens Spiking ist. Es ist inzwischen davon auszugehen, dass sich die Bandbreite u.a. von üblen ;Scherzen‘ unter Bekannten über das ,Spiken‘ Unbekannter in der Öffentlichkeit ohne anschließende weitere Delikte bis hin zu einzelnen oder auch systematischen Fällen von sexueller Gewalt („chemische Unterwerfung“), wie sie auch für Deutschland dokumentiert wurden, reichen können.

    Gleichzeitig ist das Phänomen wegen der häufig ohnehin involvierten Berauschung bzw. Alkoholisierung sowie der kurzen Nachweisbarkeit relevanter Substanzen mit vielen Unsicherheiten belegt“, so der Wissenschaftler. Es sei festzustellen, dass sich Spiking-Fälle seit einiger Zeit gehäuft haben und es liege die Vermutung nahe, dass sich in bestimmten Umfeldern Hemmungen reduziert haben, derartige Akte, die juristisch immer als gefährliche Körperverletzung einzuschätzen sind, zu begehen.

    Aufklärung statt Kriminalisierung
    Das Problem: Forschung zu dem Thema ist bislang rar gesät. Welche Substanzen gibt es und wie werden sie verwendet? Wie ist die Verbreitung, wie hoch sind die Fallzahlen? „Um die gezielte und niedrigschwellige Aufklärung zu verbessern, ist verstärkte Grundlagenforschung dringend notwendig“, fordert Werse. Derzeit arbeitet er mit der Gewalt- und Vulnerabilitätsforscherin Prof. Dr. Claudia Peter, Lehrbeauftragte am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS, an neuen Ansätzen, u.a. um Erscheinungsformen und Tragweite des Problems, aber auch Tätermotive näher zu ergründen „Dadurch würde möglichen Opfern weitaus besser geholfen als durch die im NpSG-Gesetzentwurf geplante Kriminalisierung einer der vielen für entsprechende Fälle einsetzbaren Substanzen, die im Hinblick auf die Verbreitung ebendieser vermutlich weitgehend wirkungslos bliebe.“

    ¹ Gesetzentwurf zur Änderung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes / Drucksache 21/1504, siehe https://dserver.bundestag.de/btd/21/015/2101504.pdf

    Zur Person:
    Prof. Dr. Bernd Werse ist Diplom-Soziologe, hat die Professur für sozialwissenschaftliche Suchtforschung inne und ist seit Juni 2024 Leiter des Instituts für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences. Zuvor forschte er mehr als zwei Jahrzehnte am Centre for Drug Research (CDR) der Goethe-Universität Frankfurt, dessen Mitbegründer er ist. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Drogentrendforschung, neue psychoaktive Substanzen (NPS), Drogenkleinhandel und offene Drogenszenen. Werse ist Mitglied im Vorstand der European Society for Social Drug Research sowie im Editorial Board des International Journal of Drug Policy und nimmt als Sachverständiger regelmäßig bei Anhörungsverfahren im Bundestag rund um Drogen und Sucht Stellung.


    Contact for scientific information:

    Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit, Institut für Suchtforschung (ISFF), Prof. Dr. phil. Bernd Werse, Telefon: +49 69 1533-2617, E-Mail: bernd.werse@fra-uas.de


    More information:

    https://www.frankfurt-university.de/isff (Informationen zum Institut für Suchtforschung der Frankfurt UAS)


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    Prof. Dr. Bernd Werse, sozialwissenschaftlicher Suchtforscher der Frankfurt UAS.
    Prof. Dr. Bernd Werse, sozialwissenschaftlicher Suchtforscher der Frankfurt UAS.
    Source: NÓI CREW
    Copyright: NÓI CREW


    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications
    German


     

    Prof. Dr. Bernd Werse, sozialwissenschaftlicher Suchtforscher der Frankfurt UAS.


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