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11/10/2025 11:34

Studie: Stärkt ein Studium demokratische Orientierungen?

Kerstin Martin Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Das Hochschulrahmengesetz gibt seit 1976 den Hochschulen auf, ihre Studierenden „zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat“ zu befähigen. Vor dem Hintergrund erodierender demokratischer Normen gewinnt dieser Auftrag an Dringlichkeit. Wird er auch tatsächlich eingelöst? Ein BMBF-gefördertes Verbundprojekt von Universität Potsdam und HoF hat demokratische Orientierungen und Teilhabefähigkeit als Dimensionen des Studienerfolgs analysiert.

    Ein wesentliches Ergebnis ist: Das Konstrukt „Studienerfolg“ muss vor allem auf der qualitativen Ebene weiter gedacht werden, als dies bisher der Fall ist. Studienerfolg sollte nicht allein anhand fachbezogener Qualifikationen, Studiendauer, formaler Abschlüsse und beruflicher Einstiegserfolge indiziert werden. Einzubeziehen ist vielmehr auch die Frage: Welche Voraussetzungen haben bisherige Studierende, die dann Absolvent.innen sind, durch ihr Studium mitbekommen, um zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt zu sein? Um dies zu prüfen, wurden vier Zugänge gewählt:

    Die Ergebnisse einer Längsschnittbefragung von Studenten und Absolventinnen an der Universität Potsdam fielen eher ernüchternd aus. Das dortige Studium führt offenbar nicht zu einer Stärkung der Teilhabe. Weder gibt es Anzeichen dafür, dass die Akkumulation von Wissen gleichsam automatisch die Teilhabe stärkt, noch bewahrheitet sich die Vermutung, dass häufiger Kontakt mit einer deliberativen Diskussionskultur zu diesem Ziel beiträgt.

    Stellt die Universität Potsdam in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar? Eine Dokumentenanalyse der organisationalen Schauseite (etwa Leitbilder für die Lehre) und der Formalseite (z.B. Akkreditierungsberichte), unternommen für 24 Hochschulen, zeigt: Die Ermöglichung demokratischer Teilhabe und Ausprägung demokratischer Orientierungen ist vor allem in Dokumenten der Schauseite präsent. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Ziels sind dort nur selten auszumachen, überfordern wohl auch die Textsorte. Haben diese Befunde der Universität Potsdam auch an anderen Standorten Bestand?

    Um dies näher zu erkunden, wurden Experteninterviews mit Leitungspersonen aus dem Qualitätsmanagement Studium und Lehre an zehn Hochschulen geführt. Demnach wird die Umsetzung des Bildungsauftrags zu demokratischer Teilhabe weder in den Hochschulleitungen oder im Qualitätsmanagement explizit thematisiert, noch hat sie bislang (bis auf eine Ausnahme) Eingang in die Profilbildung und strategischen Entwicklungspläne gefunden. Es werden aber Hemmnisse berichtet: Unklarheit der Zielformulierungen in den gesetzlichen Vorgaben, der normative Gehalt des demokratischen Bildungsauftrags, damit eng zusammenhängend ein ungeklärtes Verhältnis von Wissenschaft und Politik (Gebot der Neutralität?) respektive Wissenschaft und Demokratie, fachkulturelle Unterschiede mit differenzierten Zugangshürden zur Thematik, mehr oder weniger starke Taktungen der Studiengänge, didaktische Herausforderungen und fehlende zeitliche Ressourcen.

    Schließlich wurden mit Absolventinnen und Studienabbrechern der Universität Potsdam narrative Interviews zu deren politischer Sozialisation und Persönlichkeitsbildung geführt. Deutlich wird hier, dass es grundlegende Veränderungen des politischen Interesses während des Studiums nicht gab. Während einige der Interviewten die Universität als politischen Raum erlebt hatten, blieb dies für andere weitgehend unbemerkt. Ein weiterer Hinweis ergab sich in Bezug auf politisch konnotierte Diskussionen in Lehrveranstaltungen: So wurde erinnert, dass konträre Meinungen, die dem wahrgenommenen vorherrschenden Konsens widersprechen, eher nicht geäußert wurden. Als bedeutsam für dennoch stattfindende Politisierungen oder deren Ausbleiben während des Studiums erweisen sich der Einfluss von Peergroups und strukturelle Bedingungen. Letztere betreffen den hohen Workload des Studiums, der vielen Studierenden wenig bis keinen Raum für Partizipation lässt. Das gibt auch erste Hinweise dazu, wie das bislang verfehlte Ziel der Ermöglichung von Teilhabe ggf. doch erreicht werden kann.

    Abschließend wird danach gefragt, ob und wie sich Umstände stärken oder herstellen ließen, unter denen das Ziel „Befähigung zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat“ erreicht werden könnte. Die Beantwortungen werden in einen doppelten Zusammenhang gerückt: Neben dem Erwerb demokratiebezogener Kompetenzen werden den Hochschulen auch zahlreiche weitere normative Anliegen und Querschnittsthemen angesonnen. Zugleich aber müssen die Studiengänge vor Überforderungen geschützt werden. Deshalb wird argumentiert: Weniger die zahlreichen Anliegen selbst sollten im Vordergrund stehen, sondern die Voraussetzungen, welche das Erreichen der Anliegen ermöglichen können. Als solche Voraussetzungen werden wissenschaftlich basierte Urteilsfähigkeit und milieuübergreifende Kommunikationsfertigkeiten bestimmt und begründet. Hierzu finden sich Möglichkeiten ihrer curricularen Verankerung erörtert.

    Angesichts der international seit längerem beobachtbaren Erosion demokratischer Werte erweist sich die Bearbeitung des Themas an den Hochschulen als dringlich.


    Contact for scientific information:

    Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
    PD Dr. Britta Behm (HoF), britta.behm@hof.uni-halle.de
    Prof. Peer Pasternack (HoF), peer.pasternack@hof.uni-halle.de
    Prof. Ulrich Kohler (Uni Potsdam), ulrich.kohler@uni-potsdam.de


    Original publication:

    Britta Behm / Ulrich Kohler / Peer Pasternack (Hg.): Schafft Wissen Demokratie? Gesellschaftlich-demokratische Teilhabe als Dimension des Studienerfolgs, Springer VS, Wiesbaden 2025, 226 S.
    Online unter: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-48981-6


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    Behm/Kohler/Pasternack (Hg.): Schafft Wissen Demokratie?
    Behm/Kohler/Pasternack (Hg.): Schafft Wissen Demokratie?


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, Students
    Media and communication sciences, Politics, Psychology, Social studies, Teaching / education
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Behm/Kohler/Pasternack (Hg.): Schafft Wissen Demokratie?


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