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11/12/2025 07:35

Teilzeitkrankschreibung besser als Lohnsenkung

Bastian Thüne Presse und Redaktion
ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim

    Deutschland verzeichnet weltweit mit die höchsten krankheitsbedingten Fehlzeiten. Dazu trägt auch die sehr großzügige Lohnfortzahlung in Deutschland bei, wie Studien belegen. Deshalb fordern einige Vertreter/innen aus Politik und Wirtschaft unbezahlte Krankheitstage („Karenztage“) oder alternativ eine Absenkung des Lohns während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit (AU) auf etwa 80 Prozent („Lohnersatzrate“). Diese Maßnahmen wären jedoch kontraproduktiv, wie eine Studie des ZEW Mannheim zeigt, die kürzlich im Fehlzeiten-Report 2025 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO) veröffentlicht wurde.

    Besser wären demnach die Einführung von Teilzeitkrankschreibungen sowie mehr betriebliche Initiativen für Grippeimpfungen im Herbst.

    „Die Deutschen empfinden es als sozial ungerecht, wenn man für das Kranksein bestraft würde. Zwar zeigen Studien, dass Maßnahmen wie Karenztage oder das Senken der Lohnersatzrate durchaus wirken. Würde etwa die Lohnersatzrate um 20 Prozent sinken, ginge die Anzahl der AU-Tage etwa um denselben Wert zurück, allerdings nur bei gut einem Drittel aller Beschäftigten in der Privatwirtschaft, die von der Maßnahme effektiv betroffen wären. Auf der anderen Seite würden eine Kürzung der Lohnfortzahlung sowie Karenztage zu mehr Präsentismus führen, also dem Verhalten, dass Menschen arbeiten, auch wenn sie infektiös sind – und dann andere Beschäftigte anstecken. Außerdem zeigt eine Studie aus Schweden, dass Karenztage zu einer unnötigen Ausweitung von langen Krankheitsdauern führen würden“, sagt Prof. Dr. Nicolas Ziebarth, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“.

    Teilzeitkrankschreibungen in Schweden bewährt

    Ziebarth schlägt stattdessen vor: „Eine gute Maßnahme wären Teilzeitkrankschreibungen, die sich bereits in den skandinavischen Ländern bewährt haben. Je nach Krankheitsbild und Beruf ist es in gewissen Fällen sehr wohl möglich, einen halben statt eines ganzen Arbeitstages zu arbeiten: das gilt etwa für stundenweise Arbeit bei leichten Erkältungskrankheiten im Homeoffice, bei Rückenschmerzen oder psychischen Erkrankungen. Dabei müssten jedoch die AU-ausstellenden Ärzte entsprechend geschult sein. Gelänge es, nur zehn Prozent der gut 900 Millionen AU-Tage in Halbtagskrankschreibungen umzuwandeln, entstünde der deutschen Wirtschaft ein Plus von etwa 45 Millionen Arbeitstagen, ungefähr so viel wie bei der Streichung eines nationalen Feiertages.“

    Belohnungen und Anreize statt Strafen

    Weitere Möglichkeiten könnten Unternehmen selbst umsetzen: „Studien aus der Psychologie und Verhaltensökonomie zeigen, dass Belohnungen effektiver als Strafen sind. Unternehmen könnten positive Anreizsysteme entwickeln, bei denen Beschäftigte mit weniger Fehltagen Geldprämien erhalten, also „Anwesenheitsprämien“. Weil Fehlzeiten auch immer die Arbeitszufriedenheit der Belegschaft widerspiegeln, sollten Unternehmen gezielt Maßnahmen zu deren Senkung entwickeln. Im internationalen Vergleich sind die Grippeimpfquoten in Deutschland mit einem Drittel der Erwachsenen sehr gering – und das bei einem deutlichen Anstieg von Fehlzeiten aufgrund verschiedener Erkältungskrankheiten. Dem könnte man sehr sinnvoll entgegensteuern, indem man Beschäftigte motiviert und einfache Möglichkeiten zur Grippeimpfung über das betriebliche Gesundheitsmanagement anbietet.“

    Lohnsenkungen scheiterten bereits in den 90er Jahren

    1996 führte die damalige Bundesregierung aus CDU/FDP aufgrund einer ähnlichen Debatte die Lohnsenkung auf 80 Prozent des Bruttolohns für sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit ein. „Diese wurde jedoch von den meisten Gewerkschaften erfolgreich in Tarifverhandlungen wegverhandelt. Damals erklärten sich die Arbeitgeber fast aller Branchen bereit, freiwillig weiterhin 100 Prozent Lohnfortzahlung zu zahlen und machten die gesetzliche Absenkung somit zu einem stumpfen Schwert. Zudem erhöhte sie die Ungleichheit, weil in erster Linie nicht tarifgebundene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in weniger gut bezahlten Berufen von der Kürzung betroffen waren. Die Reform war deshalb nur begrenzt wirksam. 1999 wurde sie dann von der neu gewählten rot-grünen Regierung wieder rückgängig gemacht. Auch im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 wurde das Thema von keiner Partei auf die Agenda gesetzt“, erläutert Ziebarth.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Nicolas Ziebarth
    Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“
    Tel.: +49 (0)621 1235-151
    E-Mail: nicolas.ziebarth@zew.de


    Original publication:

    https://ftp.zew.de/pub/zew-docs/policybrief/de/pb14-25.pdf


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    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Economics / business administration, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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