Die mittelniederdeutsche Textkultur hat zentralen Anteil am kulturellen Erbe Nordeuropas. Das neue Langzeitforschungsvorhaben „Mittelniederdeutsche Grammatik“ liefert vertieftes Wissen über die sprachlichen Strukturen des Mittelniederdeutschen. Ziel des Forschungsprojekts ist es, in den kommenden 18 Jahren eine multidimensionale und webbasierte mittelniederdeutsche Grammatik für Forschung und Lehre zu erarbeiten. Das Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, das in Kooperation mit der Universität Hamburg durchgeführt wird, nimmt am 1. Januar 2026 seine Arbeit auf.
Es wird gefördert im Rahmen des Akademienprogramms, das von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert wird. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) des Bundes und der Länder hat am 28. November 2025 das Akademienprogramm 2026 mit einem Gesamtvolumen von rund 82 Millionen Euro beschlossen.
Mittelniederdeutsch war vom 13. bis ins 17. Jahrhundert hinein im norddeutschen Sprachraum verbreitet. Darüber hinaus diente es als Handelssprache im Ostseeraum und in den Niederlassungen der Hanse von London über Brügge und Bergen bis nach Nowgorod. Mittelniederdeutsche Texte bilden somit das sprachliche Fundament der vielfältigen hansestädtischen Kultur. Solide Kenntnisse des Mittelniederdeutschen helfen grundlegend dabei, nordeuropäische Stadtgeschichte (etwa auf dem Gebiet des Stadtrechts und der Sozialstrukturen), Wirtschaftsgeschichte (Handel, Seefahrt, Zünfte und Gilden) und Religionsgeschichte zu erforschen. Die geistesgeschichtliche und kulturelle Entwicklung spiegelt sich in der sprachlichen Variation und im Wandel des Mittelniederdeutschen wider. Eine mittelniederdeutsche Grammatik zu erstellen verfolgt somit auch das Ziel, die spezifische sprachliche Aneignung etwa von Natur und Gesellschaft zu rekonstruieren.
Die geplante Mittelniederdeutsche Grammatik dient in erster Linie dazu, historische Texte zu erschließen. Zugleich bietet sie das notwendige vertiefte Wissen über die sprachlichen Strukturen des Mittelniederdeutschen, das die germanistische und allgemeine Sprachwissenschaft etwa für sprachvergleichende und typologische Forschungen in Europa benötigt. Denn strukturell ist das Mittelniederdeutsche zwischen dem Hochdeutschen auf der einen Seite und dem Niederländischen und Englischen auf der anderen Seite einzuordnen. Es hat zudem die skandinavischen Sprachen stark beeinflusst.
Eine umfassende wissenschaftliche Grammatik des Mittelniederdeutschen, die dem heutigen Forschungsstand entspricht, existiert nicht. Um das Mittelniederdeutsche in seiner Struktur angemessen beschreiben zu können, setzt die geplante Grammatik aktuelle Anforderungen moderner Grammatikschreibung um. Ihre innovativen Charakteristika sind:
• die Variationssensitivität, das heißt, dass sprachliche Unterschiede, die durch Raum, Zeit und Textsorte bedingt sind, systematisch einbezogen werden;
• der Korpusbezug, das heißt, dass für die Analyse grammatischer Einheiten ein umfangreiches strukturiertes Textkorpus in digitaler Form genutzt wird.
Zielgruppen der Mittelniederdeutschen Grammatik sind sowohl Forschende als auch Studierende, deren spezifischen Bedürfnissen die Grammatik gerecht werden soll. Für den akademischen Unterricht muss sie als kompakte Gebrauchsgrammatik verwendet werden können, um die mittelniederdeutsche Sprache zu vermitteln und zu analysieren. Für die Forschung soll sie als wissenschaftliche Grammatik die sprachliche Struktur umfassend dokumentieren und bis in große Detailtiefe beschreiben.
Für diese sehr unterschiedlichen Nutzungsszenarien ist ein interaktives Webinterface geplant, das Nutzerinnen und Nutzern die gewünschten grammatischen Informationen gezielt anzeigen kann. Das Webinterface erlaubt zudem einen Zugriff sowohl auf das Untersuchungskorpus selbst und dessen quantitative Auswertungen als auch auf weitere Ressourcen – zum Beispiel ausgewählte sprachhistorische Datenbanken (u.a. Wortfamilien diachron) oder das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch. Über eine Schnittstelle wird die Mittelniederdeutsche Grammatik mit dem im Aufbau befindlichen Portal des NFDI-Konsortiums Text+ vernetzt. Neben der digitalen Publikation wird auch eine Printausgabe entstehen.
Den Antrag für das Forschungsprojekt haben zwei Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler erfolgreich gemeinsam gestellt; sie werden das Projekt inhaltlich kooperativ leiten:
Prof. Dr. Ingrid Schröder von der Universität Hamburg ist seit 2002 Professorin für Linguistik des Deutschen und für Niederdeutsche Sprache und Literatur am Institut für Germanistik, seit 2025 an gleicher Stelle als Seniorprofessorin.
➤ https://www.slm.uni-hamburg.de/germanistik/personen/schroeder.html
Prof. Dr. Chris Biemann von der Universität Hamburg ist seit 2016 Professor für Sprachtechnologie im Fachbereich Informatik und seit 2021 dort Direktor im Hub of Computing and Data Science.
➤ https://www.inf.uni-hamburg.de/en/inst/ab/lt/people/chris-biemann.html
Prof. Dr. Sarah Ihden von der Universität Rostock ist dort seit Wintersemester 2025 Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen.
➤ https://www.germanistik.uni-rostock.de/personen/professuren/prof-dr-sarah-ihden/
Prof. Dr. Ingrid Schröder, Projektleiterin: „Durch die neue Mittelniederdeutsche Grammatik kann endlich eine große Forschungslücke in der Historischen Sprachwissenschaft geschlossen werden. Wir freuen wir uns sehr darüber, dass unser Vorhaben bald im Akademienprogramm seine Arbeit aufnimmt. Erstmals können wir diese Sprache, die für Nordeuropa als Lingua franca des hansischen Handels von enormer Bedeutung war, in ihrer strukturellen Vielfalt präzise beschreiben. Durch innovative digitale Darstellungsmethoden ist es möglich, Studierenden wie Forschenden ein bedarfsgerechtes Lern- und Forschungsinstrument in die Hand zu geben“
Prof. Dr. Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg: „Die Akademie freut sich über das neue Forschungsprojekt. Damit betreiben insgesamt acht Langzeitvorhaben an der Akademie geistes- und sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung. Die Akademie leistet so einen Beitrag, um das kulturelle Erbe der Menschheit auch zu sichern und zugänglich zu machen für die Gesellschaft.“
Kompletter Titel des Langzeitvorhabens: „Mittelniederdeutsche Grammatik (MndGram)“
Laufzeit: 1. Januar 2026 bis zum 31. Dezember 2043
Fördermittel für die gesamte Laufzeit: 11,88 Millionen Euro
Kontakt für Medienanfragen:
Akademie der Wissenschaften in Hamburg
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Dagmar Penzlin M.A.
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Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg
Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg vereint Spitzenforscherinnen und -forscher aus allen Bereichen der Wissenschaft in Norddeutschland. Sie trägt dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen Fächern, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Institutionen zu intensivieren. Sie fördert Forschungen zu gesellschaftlich bedeutenden Zukunftsfragen und wissenschaftlichen Grundlagenproblemen und macht es sich zur besonderen Aufgabe, Impulse für den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu setzen. Präsident der Akademie ist seit 2022 Prof. Dr. Mojib Latif. Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg ist Mitglied der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Grundausstattung der Akademie wird von der Freien und Hansestadt Hamburg finanziert.
Das Akademienprogramm
Das gemeinsame Forschungsprogramm der deutschen Wissenschaftsakademien dient der Erschließung, Sicherung und Erforschung des kulturellen Erbes weltweit und ist das derzeit größte geisteswissenschaftliche Langzeitforschungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland. Das Akademienprogramm umfasst in diesem Jahr bei einem Finanzvolumen von 79 Millionen Euro insgesamt 127 Vorhaben mit rund 192 Arbeitsstellen.
Die Universität Hamburg
Als größte Forschungs- und Ausbildungseinrichtung Norddeutschlands und eine der größten Universitäten in Deutschland vereint die Exzellenzuniversität Hamburg ein vielfältiges Lehrangebot mit exzellenter Forschung. Sie bietet ein breites Fächerspektrum mit zahlreichen interdisziplinären Schwerpunkten und verfügt über ein weitreichendes Kooperationsnetzwerk mit Spitzeneinrichtungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.
Projektleiterin Prof. Dr. Ingrid Schröder
https://www.slm.uni-hamburg.de/germanistik/personen/schroeder.html
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
Cultural sciences, Economics / business administration, Information technology, Language / literature, Religion
transregional, national
Research projects
German

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