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12/11/2025 13:05

Zukunft des Meeresspiegelanstiegs: Forschungsmission in der Antarktis bohrt nach Hinweisen zu vergangenen Klimaperioden

Greta Clasen Öffentlichkeitsarbeit
LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG)

    Ein internationales Forschungsteam hat rund 700 Kilometer von der nächsten Forschungsstation, Neuseelands Scott Base, entfernt ein Camp auf dem Eis eingerichtet. Dort planen die Forschenden eine Bohrung, um Sedimente und Gesteine unterhalb von 500 Metern Eis zu gewinnen und die geologische Schichtabfolge im Bohrloch zu messen. Die Daten liefern entscheidende Hinweise darauf, wie empfindlich der westantarktische Eisschild in vergangenen Wärmeperioden reagierte. Dies ermöglicht wissensbasierte Rückschlüsse auf sein Abschmelzen und den Meeresspiegelanstieg in einer sich derzeit wieder erwärmenden Erde. Mehrere deutsche Institute sind beteiligt, ein deutscher Wissenschaftler startet ins Camp.

    Eisschild-Schmelze als Risikofaktor für den Meeresspiegelanstieg

    Der westantarktische Eisschild enthält genug Eis, um den globalen Meeresspiegel um vier bis fünf Meter ansteigen zu lassen, falls er vollständig abschmilzt. An einer Seite wird er vom Ross-Schelfeis gestützt – der größten schwimmenden Eismasse der Welt. Dieses wirkt wie ein Stützpfeiler und bremst den Abfluss von Gletschern und Eisströmen in Richtung Ozean. Mit der fortschreitenden Erwärmung gilt das Ross-Schelfeis als zunehmend verwundbar. Unklar ist jedoch, bei welcher globalen Temperaturerhöhung ein unaufhaltsames Abschmelzen des Schelfeises und damit der Verlust des westantarktischen Eisschildes ausgelöst wird.

    Temperatur-Kipppunkt: Forschungsprojekt SWAIS2C bohrt in die Vergangenheit

    Einen Temperatur-Kipppunkt im westantarktischen Eisschild anhand der Analyse von Sedimenten und Gesteinen nachzuweisen, ist das Ziel des Projekts SWAIS2C („Sensitivity of the West Antarctic Ice Sheet to 2°C“ – Empfindlichkeit des westantarktischen Eisschildes gegenüber 2 °C). Das Projekt ist eine Zusammenarbeit von Forschenden aus zehn Ländern – Neuseeland, USA, Deutschland, Australien, Italien, Japan, Spanien, Republik Korea, Niederlande und dem Vereinigten Königreich – mit mehr als 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Aus Deutschland sind Forschende von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR, Hannover), vom Alfred-Wegener-Institut (AWI, Bremerhaven), vom LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG, Hannover) und von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU, Kiel) beteiligt.

    Forschungsteam mehrere Wochen mitten im Eis – ein deutscher Wissenschaftler

    Ein On-Ice-Team aus 29 Projektteilnehmenden hat sich auf den dritten Versuch vorbereitet, einen 200 Meter langen Sedimentkern aus dem Untergrund unterhalb von 500 Metern Eis am Crary Ice Rise auf dem Ross-Schelfeis zu erbohren und im Bohrloch zu messen – Letzteres übernimmt Dr. Arne Ulfers vom LIAG. Der Crary Ice Rise ist ein sogenannter „Pinning-Point“ für das Ross-Schelfeis – ein Bereich, in dem der Meeresboden unter dem schwimmenden Schelfeis angehoben ist und die Basis des Eises berührt. Dadurch wird das Schelfeis gewissermaßen am Untergrund verankert und der Abfluss des Eises vom Kontinent weg gebremst.

    „Durch die Sedimentkernanalysen und die Messungen im Bohrloch entsteht ein räumlich und zeitlich hochaufgelöstes Bild von den geologischen Ablagerungen und den damaligen Umweltbedingungen“, erklärt Dr. Arne Ulfers, Geowissenschaftler am LIAG-Institut für Angewandte Geophysik, der in diesem Jahr als einziger Forscher aus Deutschland in das Camp auf dem Eis reist. „Kurz gesagt: Wir forschen als interdisziplinäres Team in den Archiven der Vergangenheit, um besser zu verstehen, welche Zukunft den 680 Millionen Menschen an den tiefliegenden Küsten dieser Welt bevorstehen könnte.“

    Bis zu 23 Millionen Jahre alte Klimahinweise erwartet

    Die Sediment- und Gesteinsschichten bilden eine relative junge Vergangenheit ab, gleichzeitig werden aber auch bis zu 23 Millionen Jahre alte Schichten erwartet – und damit Hinweise auf Wärmeperioden der Erdgeschichte, in denen es 2 °C wärmer war als heute.

    „Wir werden die Proben analysieren, um Umweltdaten darüber zu gewinnen, wie das Ross-Schelfeis in diesen früheren Warmzeiten reagiert hat. Dieses Archiv aus der Vergangenheit hilft uns, ein deutlich klareres Bild davon zu zeichnen, bei welcher Temperatur sich der westantarktische Eisschild zurückzieht und ein erheblicher Meeresspiegelanstieg ausgelöst wird“, erklärt Dr. Andreas Läufer, Geologe an der BGR und deutscher Koordinator des SWAIS2C-Wissenschaftsteams.

    „Konkret können wir zukünftige Kipppunkte identifizieren, jenseits derer sich der Rückzug des Eisschildes nicht mehr aufhalten lässt“, ergänzt die Mikropaläontologin Prof. Dr. Denise Kulhanek, Professorin an der Universität Kiel und eine der leitenden Wissenschaftlerinnen im SWAIS2C-Projekt. „Das ist besonders wichtig, da sich unser Klima weiter erwärmt und das Schelfeis zunehmend Gefahr läuft, sich weiter landeinwärts zurückzuziehen.“

    Für das AWI betont Sedimentologe Dr. Johann P. Klages die wissenschaftliche Bedeutung des Projekts: „Für uns ist es ein zentrales Ziel, zu verstehen, wie sich der westantarktische Eisschild in vergangenen warmen Klimaphasen mit hohen CO₂-Konzentrationen verhalten hat. SWAIS2C steht in direkter Verbindung zu unserer für Anfang 2027 geplanten Polarstern-Expedition „EvoWAIS“, bei der wir weitere Hinweise auf frühere Zusammenbrüche des Eisschildes untersuchen werden.“

    Das Forschungsteam wird zudem in den Sedimenten nach winzigen Mikrofossilien mariner Algen suchen – Organismen, die Licht zum Überleben benötigen. Ihr Vorkommen deutet auf offene Ozeanbedingungen und damit auf einen Rückzug des Ross-Schelfeises hin.

    Herausforderung Forschung: Extremer Roadtrip, nie dagewesenes Bohrvorhaben

    Noch nie ist es gelungen, einen so tiefen Sedimentkern in so großer Entfernung von einer Station und so nahe am Zentrum des westantarktischen Eisschildes zu gewinnen. In den vergangenen zwei Antarktissommern hat SWAIS2C versucht, am Standort KIS3 – rund 260 Kilometer vom Crary Ice Rise entfernt – zu bohren. Beide Versuche konnten jedoch durch technische Probleme mit dem speziell entwickelten Bohrsystem nicht umgesetzt werden. „Was wir hier versuchen, ist echte Pionierarbeit – technisch, logistisch und wissenschaftlich hoch anspruchsvoll. In den ersten beiden Saisons haben wir große Fortschritte gemacht und das Bohrsystem so angepasst, dass wir in diesem Jahr bessere Chancen auf Erfolg haben“, sagt dazu Huw Horgan, SWAIS2C-Co-Chefwissenschaftler von der Victoria University of Wellington und der ETH Zürich.

    Das Bohren in der „Deep Field“-Region, so weit von der nächsten Station entfernt, erfordert große Mengen an Ausrüstung – sowohl für den Bohrvorgang selbst als auch für den Betrieb des Camps, das komplett neu aufgebaut werden muss. Auf ihrer 1100 Kilometer langen Route über das Ross-Schelfeis nutzte das Team ein bodendurchdringendes Radar, um gefährliche Gletscherspalten zu erkennen und zu umgehen. Zudem wird das Team mehrere Wochen auf dem Eis verbringen.

    Hintergründe

    2024 war das erste Kalenderjahr, in dem der durchschnittliche Anstieg der globalen Oberflächentemperatur die 1,5-°C-Zielmarke des Pariser Abkommens überschritten hat. Ein Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter bis zum Jahr 2100 ist unvermeidbar; bei hohen Emissionen könnte der Anstieg jedoch bereits ein bis zwei Meter erreichen.


    Contact for scientific information:

    LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG)
    Dr. Arne Ulfers (vsl. bis 16.1.2026 in der Antarktis)
    Arne.Ulfers@liag-institut.de

    Kontaktaufnahme für Online-Interviews/Wünsche zu Videoaufnahmen über Greta Clasen, greta.clasen@liag-institut.de, 0511 643 2066 (Pressereferentin LIAG)


    More information:

    http://www.swais2c.aq/ Projektwebseite
    ?si=8xbPo7dL0iPUgaLV Video über das Projekt: Saison 2024/2025.


    Images

    Abfahrt aus der Forschungsstation: Mit PistenBully-Polarfahrzeugen, die Treibstoff, wissenschaftliche Ausrüstung, Bohrgeräte und Vorräte für den etwa achtwöchigen Camp-Aufenthalt transportieren, ging es für einige im Team bereits Anfang November los.
    Abfahrt aus der Forschungsstation: Mit PistenBully-Polarfahrzeugen, die Treibstoff, wissenschaftlich ...
    Source: Anthony Powell / Antarctica NZ
    Copyright: Anthony Powell / Antarctica NZ

    Ankunft der letzten Gruppe vom On-Ice-Team in der Antarktis: Darunter der deutsche Forscher Dr. Arne Ulfers vom LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (links).
    Ankunft der letzten Gruppe vom On-Ice-Team in der Antarktis: Darunter der deutsche Forscher Dr. Arne ...
    Source: SWAIS2C
    Copyright: SWAIS2C


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    attachment icon Karte mit der geplanten Bohrstelle auf dem Crary Ice Rise (CIR).

    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
    Environment / ecology, Geosciences, History / archaeology, Oceanology / climate, Social studies
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research projects
    German


     

    Abfahrt aus der Forschungsstation: Mit PistenBully-Polarfahrzeugen, die Treibstoff, wissenschaftliche Ausrüstung, Bohrgeräte und Vorräte für den etwa achtwöchigen Camp-Aufenthalt transportieren, ging es für einige im Team bereits Anfang November los.


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    Ankunft der letzten Gruppe vom On-Ice-Team in der Antarktis: Darunter der deutsche Forscher Dr. Arne Ulfers vom LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (links).


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