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12/19/2025 17:00

Die Stellschrauben für ein nachhaltiges Agrar- und Ernährungssystem

Ulrich von Lampe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

    Eine große Modellstudie zeigt jetzt, welchen Beitrag das weltweite Agrar- und Ernährungssystem beim Kampf gegen die Erderhitzung leisten kann. Sie benennt 23 Stellschrauben, kalkuliert ihre Wirkungskraft – und trifft die Aussage: Eine entschlossene Transformation allein dieses Bereichs, ohne die unverzichtbare Energiewende, kann den globalen Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf 1,85 Grad bis zum Jahr 2050 begrenzen. Zudem wird die Ernährung gesünder und preiswerter, und die Landwirtschaft wird besser vereinbar mit dem Schutz der Biodiversität. Die Studie wurde geleitet vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und publiziert in Nature Food.

    Ausgangspunkt der Studie sind drei mögliche Zukunftsverläufe: das in der Wissenschaft gängige Basisszenario „SSP2“ mit der Fortschreibung bisheriger Trends, ein Szenario des schnellen Umbaus im Agrar- und Ernährungssystem sowie ein erweitertes Szenario mit mehr Nachhaltigkeit auch in anderen Wirtschaftssektoren. Ein leistungsfähiger, am PIK entwickelter Analyserahmen aus mehreren Modellen auch anderer Institute, mit dem PIK-Agrar- und Ernährungsmodell MAgPIE im Zentrum, ermittelt nicht nur die Effekte auf das Klima, sondern auch auf Gesundheit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftskraft.

    „Unsere Studie zeigt den großen Stellenwert des Agrar- und Ernährungssystems“, erklärt Benjamin Bodirsky, PIK-Forscher und Leitautor der Studie. „Wenn wir diesen Sektor entschlossen in Richtung Nachhaltigkeit umbauen, bremsen wir nicht nur die Erderhitzung deutlich, sondern bewegen uns auch in Richtung vieler anderer wünschenswerter Ziele. So erhöht sich die Lebenserwartung, die Überdüngung mit Stickstoff nimmt ab, auch die weltweite Armut geht leicht zurück. Und: Wenn wir auch in anderen Sektoren umsteuern, lässt sich sogar der Klimawandel auf weit unter 2 Grad begrenzen.“ (Kurzvideo mit Leitautor Benjamin Bodirsky siehe hier: https://youtu.be/b9ye4z_MZwg).

    Vom Speiseplan bis zu Landwirtschaft und Welthandel

    Das Forschungsteam modellierte den Umbau des Agrar- und Ernährungssystems sehr konkret und analysierte den Einfluss von 23 relevanten Stellschrauben. Einige beziehen sich auf die im Jahr 2019 vom PIK mitentwickelte Planetary Health Diet, die die Gesundheit des Menschen ebenso verbessert wie die des Planeten: weniger Zucker, Fleisch und Milchprodukte, mehr Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Nüsse und Vollkorn. Die Studie untersucht zudem, wie sich eine Reduktion von Hunger, Überernährung und Lebensmittelabfällen auf die globalen Produktionssysteme und die Umwelt auswirkt. Wieder andere Stellschrauben beziehen sich auf den Erhalt der Umwelt und nachhaltige Landwirtschaft. Und schließlich geht es um Auswirkungen niedrigerer Handelsbarrieren, eines freieren Agrarhandels, existenzsichernder Löhne in der Landwirtschaft von ärmeren Ländern und weniger kapitalintensiver Produktion in reicheren Ländern.

    Die Studie zeigt zum einen detailliert, wie allein die Transformation des Agrar- und Ernährungssektors die diversen Ziele, von Klimaschutz bis zu gesunder und erschwinglicher Nahrung, erreichen hilft: Die Aktivierung jeder einzelne Stellschraube hat Vor- und Nachteile, erst die Kombination führt zum klar positiven Ergebnis. Und zum anderen zeigt die Studie, was passiert, wenn die Transformation eingebettet ist in eine noch breitere Veränderung. Zu diesem Zweck dreht das Team an fünf weiteren Stellschrauben außerhalb von Landwirtschaft und Ernährung: geringeres Bevölkerungswachstum, nachhaltigere wirtschaftliche und soziale Entwicklung, schnellere Abkehr von fossilen Brennstoffen sowie mehr Biokunststoffe statt Plastik und mehr Holz als Baumaterial statt Stahl und Beton.

    Studie hilft, das Ambitionsniveau von Politik zu beurteilen

    In diesem erweiterten Nachhaltigkeitsszenario der Modellstudie werden im Jahr 2050 das 1,5-Grad-Limit mit 38 Prozent Wahrscheinlichkeit und die 2,0-Grad-Marke mit 91 Prozent Wahrscheinlichkeit eingehalten. Ernährungsbedingte Gesundheitsrisiken wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Krankheiten gehen zurück, die Wirtschaftskraft liegt deutlich höher als im Basisszenario. Und die Zahl der Menschen in extremer Armut liegt nicht nur geringfügig, sondern immerhin um drei Viertel niedriger als im Basisszenario. Zugleich kommt die Schädigung der Biosphäre zum Stillstand – ein entscheidender Erfolg für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

    „Die Transformation des Agrar- und Ernährungssystems ist entscheidend für den Schutz der Artenvielfalt“, erklärt Alexander Popp, Leiter des PIK-Labs Landsystemtransformation und ein Co-Autor der Studie: „Durch die Kombination von Maßnahmen – vom Schutz von Biodiversitäts-Hotspots über vielfältigere Fruchtfolgen und besser strukturierte Landschaften bis hin zu pflanzenbetonten Ernährungsmustern – kann der Druck auf die Biodiversität deutlich verringert werden.“

    Hermann Lotze-Campen, Leiter der PIK-Forschungsabteilung Klimaresilienz und ein Co-Autor der Studie, stellt klar: „Über welche Politik-Instrumente man all diese Stellschrauben verändern kann und wie sich das vermitteln und durchsetzen lässt, ist ganz bewusst nicht Gegenstand dieser Studie. Diese Arbeit schafft eine positive Zukunftsvision, beziffert die Wirkungszusammenhänge und hilft dadurch, das Ambitionsniveau von Politik zu beurteilen. Mit dieser ganzheitlichen Betrachtung, die auch Gesundheit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit mit einbezieht, unterstützen wir den intensiver werdenden gesellschaftlichen und politischen Diskurs zur Zukunft unserer Ernährung.“


    Original publication:

    Bodirsky, B., Beier, F., Humpenöder, F., Leip, D., Crawford, M., Chen, D., von Jeetze, P., Springmann, M., Soergel, B., Nicholls, Z., Strefler, J., Lewis, J., Heinke, J., Müller, C., Karstens, K., Weindl, I., Stevanović, M., Rein, P., Sauer, P., Mishra, A., Bacca, E., Köberle, A., Wang, X., Singh, V., Hunecke, C., Collignon, Q., Schreinemachers, P., Dietz, S., Kanbur, R., Dietrich, J., Lotze-Campen, H., Popp, A., (2025): Food system transformation pathway reconciles 1.5° global warming with improved health, environment and social inclusion. – Nature Food. [DOI: 10.1038/s43016-025-01268-y]
    https://www.nature.com/articles/s43016-025-01268-y


    Images

    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Energy, Environment / ecology, Nutrition / healthcare / nursing, Oceanology / climate, Politics
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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